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Deutschland hat mit der Gewaltandrohung gegen Gäfgen bei der Fahndung nach einem entführten Kind gegen das Folterverbot der Menschenrechtskonvention verstoßen. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) entschieden. Er war Deutschland zugleich eine mangelnde juristische Aufarbeitung der Folterandrohung vor und stellte fest, dass die deutschen Behörden Gäfgen bisher keine ausreichende Abhilfe für seine konventionswidrige Behandlung gewährt haben. Zugleich stellte das Gericht fest, dass Gäfgen aufgrund der Verhörmethoden der deutschen Polizei zwar eine konventionswidrige unmenschliche Behandlung erfahren hat, diese aber keine Auswirkung auf die Fairness des Strafverfahrens hatte.
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls, Magnus Gäfgen, ist deutscher Staatsbürger, 1975 geboren, und derzeit in der JVA Schwalmstadt in Haft.
Der Fall betraf in erster Linie die Beschwerde Magnus Gäfgens, dass er von der
Das elfjährige Kind hatte den Beschwerdeführer, der zur Tatzeit Jurastudent war, über seine Schwester kennengelernt. Am 27. September 2002 lockte der Beschwerdeführer J. in seine Wohnung, indem er vorgab, dass J.s Schwester dort eine Jacke vergessen habe. Dann erstickte er das Kind.
Anschließend legte der Beschwerdeführer eine Lösegeldforderung beim Haus von J.s Eltern ab, von denen er die Zahlung von einer Million Euro verlangte, um ihr Kind lebend wiederzusehen. Er ließ J.s Leiche unter dem Steg eines Weihers, eine Fahrtstunde von Frankfurt entfernt, zurück. Am 30. September 2002 gegen 1 Uhr nachts holte Magnus Gäfgen das Lösegeld an einer Straßenbahnhaltestelle ab. Von diesem Moment an wurde er von der
Bei der Befragung des Beschwerdeführers am 1. Oktober 2002 drohte ihm einer der Polizeibeamten, dass ihm erhebliche Schmerzen zugefügt würden, wenn er weiterhin den Aufenthaltsort des Kindes verschwiege. Der Beamte handelte dabei auf Anweisung des Vizepräsidenten der Frankfurter
Zu Beginn der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer beschloss das Landgericht Frankfurt am Main, dass sämtliche Geständnisse, die er im Verlauf des Ermittlungsverfahrens gemacht hatte, im
Der Beschwerdeführer wurde schließlich am 28. Juli 2003 des erpresserischen Menschenraubes und Mordes für schuldig befunden und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Obwohl er zu Beginn der Hauptverhandlung über sein Recht zu schweigen belehrt worden war sowie darüber, dass alle seine früheren Aussagen nicht als Beweis gegen ihn verwendet werden dürften, gestand der Beschwerdeführer dennoch erneut, J. entführt und getötet zu haben. Die Tatsachenfeststellungen des Gerichts über das Verbrechen beruhten im Wesentlichen auf diesem Geständnis. Sie wurden zudem von anderen Beweismitteln untermauert: den infolge des ersten erpressten Geständnisses erlangten Beweisen, nämlich dem Obduktionsbericht und den Reifenspuren am Weiher sowie von weiteren Beweismitteln, die infolge der Beschattung des Beschwerdeführers erlangt wurden, seitdem er das Lösegeld abgeholt hatte.
Der Beschwerdeführer legte Revision zum Bundesgerichtshof ein, die dieser im Mai 2004 verwarf. Seine anschließend eingelegte Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht am 14. Dezember 2004 nicht zur Entscheidung an. Es bestätigte allerdings die Feststellung des Landgerichts, dass die Bedrohung des Beschwerdeführers mit Schmerzen, um eine Aussage von ihm zu erpressen, eine nach innerstaatlichem Recht verbotene Vernehmungsmethode war und Artikel 3 der Konvention verletzte.
Im Dezember 2004 wurden die zwei Polizeibeamten, die an der Bedrohung des Beschwerdeführers beteiligt waren, wegen Nötigung im Amt bzw. Verleitung eines Untergebenen zur Nötigung im Amt verurteilt und verwarnt; die Verurteilung zu Geldstrafen wurde vorbehalten.
Im Dezember 2005 beantragte der Beschwerdeführer
Der Beschwerdeführer beklagte sich, dass er während seiner Befragung durch die
Die Beschwerde wurde am 15. Juni 2005 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Die Eltern von J. sowie die Menschenrechtsorganisation Redress Trust erhielten die Erlaubnis, als Drittparteien zu intervenieren.
In einem Kammerurteil vom 30. Juni 2008 urteilte der Gerichtshof mit sechs Stimmen zu einer, dass der Beschwerdeführer nicht mehr behaupten konnte, Opfer einer Verletzung von Artikel 3 der Konvention zu sein und dass keine Verletzung von Artikel 6 vorlag.
Am 1. Dezember 2008 wurde der Fall auf Antrag des Beschwerdeführers an die Große Kammer verwiesen. Am 18. März 2009 fand eine mündliche Verhandlung am Gerichtshof in Straßburg statt.
Nach den Feststellungen der deutschen Strafgerichte war der Beschwerdeführer von einem Polizeibeamten auf Anweisung des Vizepräsidenten der Frankfurter
Der Gerichtshof erkannte an, dass die Polizeibeamten von dem Bemühen getrieben waren, das Leben eines Kindes zu retten. Er unterstrich aber, dass das absolute Verbot unmenschlicher Behandlung völlig unabhängig vom Verhalten des Opfers oder der Beweggründe der Behörden gilt und keine Ausnahmen zulässt, nicht einmal wenn ein Menschenleben in Gefahr ist. Der Gerichtshof befand, dass die unmittelbaren Drohungen gegen den Beschwerdeführer im vorliegenden Fall mit der Absicht, Informationen zu erpressen, schwerwiegend genug waren, um als unmenschliche Behandlung im Sinne von Artikel 3 zu gelten. Unter Berücksichtigung seiner eigenen Rechtsprechung und den Einschätzungen anderer internationaler Institutionen des Menschenrechtsschutzes gelangte der Gerichtshof allerdings zu der Auffassung, dass die Verhörmethode, der der Beschwerdeführer unterzogen worden war, nicht einen solchen Schweregrad erlangt hatte, dass sie als Folter gelten könnte.
Der Gerichtshof war überzeugt, dass die deutschen Gerichte, sowohl im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer als auch in demjenigen gegen die Polizeibeamten, ausdrücklich und eindeutig anerkannt hatten, dass die Behandlung des Beschwerdeführers bei seinem Verhör gegen Artikel 3 verstoßen hatte.
Er stellte jedoch fest, dass die der Nötigung im Amt bzw. Verleitung eines Untergebenen zur Nötigung im Amt für schuldig befundenen Polizeibeamten nur zu sehr geringen Geldstrafen auf Bewährung verurteilt worden waren. Die deutschen Gerichte hatten eine Reihe von mildernden Umständen berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass die Beamten in der Absicht handelten, J.s Leben zu retten. Der Gerichtshof erkannte zwar an, dass der vorliegende Fall nicht vergleichbar war mit Beschwerden über brutale Willkürakte von Staatsbeamten. Dennoch erwog er, dass die Bestrafung der Polizeibeamten nicht den notwendigen Abschreckungseffekt hatte, um vergleichbaren Konventionsverletzungen vorzubeugen. Zudem gab die Tatsache, dass einer der Beamten später zum Leiter einer Dienststelle ernannt worden war, Anlass zu grundlegenden Zweifeln, ob die Behörden angemessen auf den Ernst der Lage angesichts einer Verletzung von Artikel 3 reagiert hatten.
Im Hinblick auf eine mögliche
Angesichts dieser Überlegungen war der Gerichtshof der Auffassung, dass die deutschen Behörden dem Beschwerdeführer keine ausreichende Abhilfe für seine konventionswidrige Behandlung gewährt hatten. Der Gerichtshof kam daher, mit elf zu sechs Stimmen, zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer weiter beanspruchen kann, Opfer einer Verletzung von Artikel 3 der Konvention zu sein und dass eine Verletzung von Artikel 3 vorlag.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt die Verwertung von Beweismitteln, die unter Verletzung von Artikel 3 erlangt worden waren, die Fairness eines Strafverfahrens ernsthaft in Frage. Der Gerichtshof hatte folglich darüber zu befinden, ob im vorliegenden Fall das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer insgesamt unfair war, weil solche Beweismittel verwendet worden waren.
Der Gerichtshof stellte fest, dass der wirksame Schutz des Einzelnen vor Ermittlungsmethoden entgegen Artikel 3 es in der Regel erfordert, Beweismittel von einem Strafverfahren auszuschließen, die unter Verletzung dieses Artikels erlangt worden waren. Dieser Schutz und die Fairness des Verfahrens insgesamt stehen allerdings nur dann auf dem Spiel, wenn die unter Verletzung von Artikel 3 erlangten Beweismittel einen Einfluss auf die Verurteilung des Beschuldigten und auf das Strafmaß hatten. Im vorliegenden Fall war aber vielmehr das neue Geständnis des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung – nach seiner Belehrung, dass alle seine früheren Aussagen nicht als Beweis gegen ihn verwendet werden dürften – die Grundlage seiner Verurteilung. Die angefochtenen Beweismittel waren folglich nicht erforderlich, um seine Schuld zu beweisen oder das Strafmaß festzulegen.
Im Hinblick auf die Frage, ob die Verletzung von Artikel 3 während der Ermittlungen einen Einfluss auf das Geständnis des Beschwerdeführers vor dem Strafgericht hatte, bemerkte der Gerichtshof, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung unterstrichen hatte, dass er sein Geständnis freiwillig, aus Reue und um Verantwortung für sein Verbrechen zu übernehmen, ablege und dies trotz der Drohungen der
Im Angesicht dieser Überlegungen befand der Gerichtshof, dass die Entscheidung der deutschen Gerichte, die strittigen, unter Androhung von unmenschlicher Behandlung erlangten Beweismittel nicht auszuschließen, unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles keinen Einfluss auf Urteil und Strafmaß hatte. Da die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers respektiert worden waren, musste das
Der Gerichtshof kam daher, mit elf zu sechs Stimmen, zu dem Schluss, dass keine Verletzung von Artikel 6 vorlag.
Der Beschwerdeführer stellte keinen Anspruch auf
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 31.12.2010
Quelle: ra-online, EGMR (pm/pt)
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