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Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 14.07.2010
2 Ws 431/10 -

Sicherungsverwahrung – Keine automatische Entlassung nach 10 Jahren

Gerichte müssen trotz Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sensibel zwischen Freiheitsrechten der Sicherungsverwahrten und staatlicher Schutzpflicht für Allgemeinheit abwägen

Ein in Sicherungsverwahrung untergebrachter Straftäter muss nicht aufgrund des in anderer Sache ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach Ablauf von 10 Jahren sofort entlassen werden. Dies entschied das Oberlandesgericht Köln.

Die Sicherungsverwahrung war im vorliegenden Fall im Jahre 1990 durch das Landgericht München II zusätzlich zu einer 9-jährigen Freiheitsstrafe wegen beabsichtigter schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung angeordnet worden. Der heute 66-jährige Verurteilte hatte u. a. zwei Frauen nach einem Streit mit einem Fleischermesser angegriffen und auf diese eingestochen. Einem der beiden Opfer trennte er die Beinvene oberhalb des Knies und wesentliche Teile der Nerven und Muskeln durch. Zuvor war der Mann wegen versuchten Totschlags an seiner geschiedenen Ehefrau im Jahre 1981 zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. Diese hatte er ebenfalls mit einem Fleischermesser lebensgefährlich verletzt. Daneben war er in 21 weiteren Fällen verurteilt worden, häufig wegen Körperverletzungsdelikten gegen Frauen, die erhebliche Verletzungen davongetragen hatten.

EGMR sieht in nachträglicher Sicherungsverwahrung Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention

Zur Zeit der Verurteilung im Jahre 1990 galt für die erstmalige Anordnung der Sicherungsverwahrung noch eine Höchstfrist von 10 Jahren, die im Jahre 1998 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten aufgehoben wurde. In dieser nachträglichen Verlängerung über die zulässige Höchstdauer zur Tatzeit hinaus hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einer anderen Sache in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 einen Verstoß gegen Art. 5 I und Art. 7 I Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gesehen.

Gerichte können Entscheidung des EGMR innerstaatlich nicht sofort im Wege der Auslegung des einfachen Gesetzesrechts umsetzen

Das Oberlandesgericht Köln hat es - in Übereinstimmung mit den Oberlandesgerichten Stuttgart, Koblenz, Nürnberg und Celle - abgelehnt, die Sicherungsverwahrung allein wegen des Ablaufs der 10- Jahres-Frist für erledigt zu erklären, obwohl auch hier ein so genannter "Altfall" wie bei der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugrunde lag. Die Entscheidung des Gerichtshofs könne innerstaatlich nicht sofort durch die Gerichte im Wege der Auslegung des einfachen Gesetzesrechts umgesetzt werden, vielmehr bedürfe es eines Eingreifens des Gesetzgebers.

Urteil des EGMR kommt nicht von sich aus Gesetzeskraft zu

Der geltende § 67 d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sehe eine Erledigung der Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren nur dann vor, wenn keine Gefahr mehr bestehe, dass der Untergebrachte weitere erhebliche Straftaten begehe. Diese Regelung sei auch in den Altfällen anwendbar, da nach § 2 Abs. 6 des Strafgesetzbuches über die Sicherungsverwahrung nach dem Recht zu entscheiden sei, dass zur Zeit der Entscheidung, also heute, gelte. Dem Urteil des EGMR komme nicht schon von sich aus Gesetzeskraft zu.

Sofortige Entlassung aus Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren darf nicht zum Automatismus werden

Zudem habe der Gesetzgeber im Jahre 1998 ausdrücklich die Altfälle erfassen und die Bevölkerung auch vor bereits bekannten und gefährlichen Rückfalltätern schützen wollen. Gegen diesen erklärten und bekannten Willen des Gesetzgebers könnten die Gesetze heute nicht einfach anders ausgelegt werden. Es sei zwar richtig anzunehmen, dass der Gesetzgeber nicht dauerhaft gegen die Europäische Menschenrechtskonvention habe verstoßen wollen. Dies bewirke entgegen der Meinung anderer Oberlandesgerichte wie Hamm und Frankfurt aber keinen Automatismus dahin, dass Sicherungsverwahrte nach Ablauf von 10 Jahren sofort zu entlassen seien. Es sei vielmehr anzunehmen, dass der Gesetzgeber nach anderen Wegen zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Rückfalltätern gesucht hätte, wie z. B. durch eine Reform der Führungsaufsicht, wäre ihm der Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention schon seinerzeit bewusst gewesen.

Schematische Entlassung nach 10 Jahren würde Abwägung zwischen Freiheitsrecht und Schutzpflicht verfassungsrechtlich aus dem Gleichgewicht bringen

Die Gerichte seien nicht befugt, durch einfache Gesetzesauslegung schon jetzt im Vorgriff auf ein Gesetzgebungsverfahren Fakten zu schaffen. Sie haben weiterhin sensibel zwischen den Freiheitsrechten der Sicherungsverwahrten und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit abzuwägen und auch die Grundrechte potentieller Opfer zu berücksichtigen. Eine schematische Entlassung nach 10 Jahren brächte diese Abwägung in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise aus dem Gleichgewicht. Nachdem die Entscheidung des EGMR im Mai 2010 endgültig geworden sei, sei das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene zügig eingeleitet worden; dessen Ergebnis bleibe zunächst abzuwarten.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 23.07.2010
Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Köln

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