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Das Therapieunterbringungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar, muss jedoch verfassungskonform ausgelegt werden. Die Unterbringung darf nur dann angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Der Richter Huber hat ein Sondervotum zur Gesetzgebungszuständigkeit abgegeben.
In dem zugrunde liegenden Fall wendet sich der Beschwerdeführer gegen seine gerichtlich angeordnete
Gegenstand des Verfahrens 2 BvR 2302/11 sind Beschlüsse des Landgerichts vom 2. September 2011 und des Oberlandesgerichts vom 30. September 2011 über die vorläufige Therapieunterbringung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten. Gegenstand des Verfahrens 2 BvR 1279/12 sind die Beschlüsse des Landgerichts vom 17. Februar 2012 und des Oberlandesgerichts vom 14. Mai 2012 über die bis zum 1. März 2013 befristete
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet, soweit sie mittelbar gegen die Vorschriften des Therapieunterbringungsgesetzes gerichtet sind. Dem Bundesgesetzgeber steht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu. Der Kompetenztitel „Strafrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) erfasst historisch betrachtet neben vergeltenden, schuldausgleichenden Sanktionen auch spezialpräventive Reaktionen auf eine Straftat. Daher ließen sich sowohl die - durch vorkonstitutionelle Gesetze eingeführte - primäre Sicherungsverwahrung als auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung dem historisch vorgefundenen Regelungsbestand des Strafrechts zuordnen. Diesem weiten kompetenzrechtlichen Begriffsverständnis steht die engere Bedeutung des Begriffs der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen.
Die Therapieunterbringung verfolgt - ebenso wie die Sicherungsverwahrung - den Zweck, Straftäter, deren Gefährlichkeit für hochrangige Rechtsgüter fortbesteht, im Anschluss an die verbüßte Strafhaft zum Schutz der Allgemeinheit sicher unterzubringen. Neben der spezifischen Anknüpfung an eine strafrechtlich sanktionierte Anlasstat stützt vor allem die Funktion des Therapieunterbringungsgesetzes, eine Lücke im Instrumentarium des Strafrechts zu schließen, die Zugehörigkeit zum selben Kompetenztitel. Das die Regelungslücke füllende Gesetz kann kompetenzrechtlich nicht anders beurteilt werden als das lückenhafte Gesetz selbst. Auch das freiheitsorientierte Therapiekonzept und die verfahrensrechtliche Ausgestaltung stehen der kompetenzrechtlichen Zuordnung zum Strafrecht nicht entgegen.
Bei verfassungskonformer Auslegung ist die
Die Therapieunterbringung ist eine nachträglich angeordnete freiheitsentziehende Maßnahme. Ihre Eingriffsintensität entspricht der der Sicherungsverwahrung. Auch § 1 Abs. 1 ThUG ermöglicht eine potenziell unbefristete Freiheitsentziehung. § 2 ThUG schreibt die
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es daher unter Berücksichtigung der Vorgaben aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, eine
Ebenso wenig entgegen steht der Einwand, dem Therapieunterbringungsgesetz verbleibe bei einer Übertragung der strengen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zur nachträglichen Sicherungsverwahrung kein Anwendungsbereich. Denn die Therapieunterbringung ist subsidiär zur Sicherungsverwahrung ausgestaltet mit der Folge, dass ein Zurücktreten hinter die Sicherungsverwahrung im Gesetz selbst angelegt ist. Überdies darf nicht außer Betracht bleiben, dass das Therapieunterbringungsgesetz zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht geklärt waren und auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch ausstand. Seinerzeit ging es dem Gesetzgeber darum, eine eng begrenzte Übergangsregelung bis zum Wirksamwerden der neu geordneten Sicherungsverwahrung zu schaffen.
Den verfassungsrechtlich gebotenen Abstand zur Vollstreckung der Strafhaft formuliert § 2 ThUG. Das Gesetz legt qualitative Maßstäbe für die Einrichtungen fest und schreibt die räumliche sowie organisatorische Trennung von Einrichtungen des Strafvollzuges vor. Zudem sollen die Betroffenen durch die
Das Tatbestandsmerkmal „psychische Störung“ im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG steht nicht im Widerspruch zu den Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Das Therapieunterbringungsgesetz definiert den Begriff der psychischen Störung nicht näher. Wie er zu verstehen ist, geht jedoch aus Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte hinreichend deutlich hervor. Gemäß der Gesetzesbegründung soll an die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, der eine Freiheitsentziehung bei „psychisch Kranken“ erlaubt, und an die Diagnoseklassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angeknüpft werden. Die Störung muss nicht von solcher Art sein, dass sie die strafrechtliche Verantwortung des Täters ausschließt oder in der psychiatrisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet wird; wohl aber muss sich ein klinisch erkennbarer Komplex von solchen Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die mit Belastungen und Beeinträchtigungen - auf der individuellen und oft auch der kollektiven oder sozialen Ebene - verbunden sind.
Unter systematischen Gesichtspunkten löst sich die Therapieunterbringung vom bisherigen zweigliedrigen System der
Die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sind gewahrt. Die Gesetzesbegründung knüpft an die restriktive Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „psychische Störung“ durch den EGMR an. Darüber hinaus lehnt sie sich an die in der Psychiatrie anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV an. Weitere Eingriffsschwellen entstehen durch das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der psychischen Störung und der Gefahr sowie durch die sonstigen Tatbestandsmerkmale des § 1 ThUG.
Auch Meinungsverschiedenheiten zu der Frage, ob ein subjektiver Leidensdruck des Betroffenen erforderlich ist, führen nicht zu einer unzureichenden Bestimmtheit. Mit dem Ziel des Gesetzgebers, einen möglichst nachhaltigen Schutz der Allgemeinheit zu erreichen, wäre ein solches Erfordernis nicht vereinbar; auch der Wortlaut der Vorschrift legt eine solche Auslegung nicht nahe.
Das Therapieunterbringungsgesetz verstößt in der hier maßgeblichen Fassung nicht gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.
Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet grundrechtseinschränkende Gesetze, die nicht allgemein sind, sondern nur für den Einzelfall gelten. Ein Gesetz ist allgemein, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des Tatbestandes nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle es Anwendung findet. Das schließt die Regelung eines Einzelfalls allerdings nicht aus, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird.
Dem Wortlaut nach ist § 1 Abs. 1 ThUG abstrakt gefasst und wird insoweit dem Allgemeinheitsgebot gerecht. Der Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft zwar einen eng begrenzten Personenkreis; eine Individualisierung der Betroffenen liegt in dieser abstrakten Begrenzung jedoch nicht.
Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes nicht zu vereinbaren. Sie verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zugrunde gelegt haben. Es kommt allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings der Ansatz des Oberlandesgerichts, demzufolge der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht an einer festen Prozentgrenze festgemacht werden könne, das Gewicht der prognostizierten Delikte in die Betrachtung mit einzubeziehen sei.
Soweit die Senatsmehrheit eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass des Therapieunterbringungsgesetzes bejaht, stimme ich dem zwar im Ergebnis zu. Eine Zuständigkeit des Bundes lässt sich jedoch nicht direkt aus dem Kompetenztitel „Strafrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), sondern lediglich aus dem Sachzusammenhang mit dem Strafrecht herleiten.
Die Auffassung der Senatsmehrheit überdehnt den Begriff des Strafrechts im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
Das Therapieunterbringungsgesetz soll ausschließlich der Abwehr von hochgradigen Gefahren schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten dienen, soweit sie ihre Grundlage in psychischen Störungen der Unterzubringenden haben. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens bestanden deutliche Unterschiede zum Recht der Sicherungsverwahrung. Dies ergibt sich aus den Anordnungsvoraussetzungen und aus den gesetzlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Vollzuges. Zudem lehnt sich das Verfahrensrecht an die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit an und begründet eine ausschließliche Zuständigkeit der Zivilkammern der Landgerichte. Sieht der Gesetzgeber ausdrücklich keinen Gleichlauf mit dem Strafprozessrecht vor, so kann die verfassungsrechtliche Beurteilung darüber nicht hinweggehen. Allein der Umstand, dass auch die Therapieunterbringung an eine Anlasstat anknüpft, qualifiziert diese noch nicht zu einer Reaktion auf strafrechtliches Unrecht. Vielmehr stellt die Anknüpfung an eine Anlasstat sicher, dass dieses tief eingreifende Instrument auf das unbedingt Erforderliche beschränkt bleibt.
Zwar ist anerkannt, dass die Maßregeln der Besserung und Sicherung dem Bereich des „Strafrechts“ zuzuordnen sind. Dieses weite Verständnis des Kompetenztitels „Strafrecht“ ist - wie die Senatsmehrheit hervorhebt - zum einen historisch kontingent und liegt zum anderen auch sachlich nahe. Nicht zuletzt ermöglicht die (teilweise) Verzahnung von Strafen und Maßregeln im zweispurigen deutschen Sanktionensystem freiheitsschonende Wirkungen. Genese und Leistungsfähigkeit des zweispurigen Sanktionensystems rechtfertigen es freilich nicht, dem Bund unter dem Titel „Strafrecht“ auch die Kompetenz zur Errichtung weiterer Säulen zuzusprechen. Bereits bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung war die Anknüpfung an die Anlasstat so stark relativiert, dass eine ausufernde Interpretation des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu Lasten der Länder befürchtet wurde. Für die Therapieunterbringung gilt dies erst recht.
Dem Bund steht gleichwohl eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs zu. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs stützt und ergänzt eine zugewiesene Zuständigkeit, wenn die entsprechende Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen in einen an sich den Ländern übertragenen Kompetenzbereich unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist.
Das Therapieunterbringungsgesetz weist starke Bezüge zu den Unterbringungsgesetzen der Länder auf. Jedoch richtet es sich - wegen der Anknüpfung an eine Anlasstat - nur an Straftäter. Dies vermag einen Sachzusammenhang mit dem Strafrecht zu begründen. Die Regelung der Therapieunterbringung ist für das vom Bundesgesetzgeber verfolgte Schutzkonzept unerlässlich. Sie ähnelt in ihrem Regelungsgehalt den Maßregeln der Besserung und Sicherung und besitzt darüber hinaus eine lückenfüllende Funktion. Daher besteht für den Bund eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs.
Diese kompetenzielle Zuordnung wird der Grundkonzeption der Art. 70 ff. GG besser gerecht als die Auffassung der Senatsmehrheit und trägt prospektiv auch zum Schutz der Gesetzgebungskompetenzen der Länder bei.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 08.08.2013
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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