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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.10.2017
2 B 11451/17.OVG -

Privatsender SAT.1 ist vorläufig zur Ausstrahlung von Sendezeiten für unabhängige Dritte verpflichtet

Öffentliches Interesse an Gewährleistung der Meinungsvielfalt hat Vorrang vor ungeschmälerter Ausstrahlung des eigenen privaten Fernsehprogramms durch SAT.1

Das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz hat den Privatsender SAT.1 im Rahmen eines Eilverfahrens vorläufig dazu verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des derzeit noch in der ersten Instanz beim Verwaltungsgericht Neustadt anhängigen Klageverfahrens wöchentlich drei Stunden Sendezeiten für unabhängige Dritte ("Drittsendezeiten") in seinem Fernsehprogramm aufzunehmen.

Die rundfunkrechtliche Verpflichtung zur Einräumung von Drittsendezeiten in der Form von sogenannten Fensterprogrammen ergibt sich aus den Regelungen in dem zwischen den Bundesländern abgeschlossenen Rundfunkstaatsvertrag, denen insoweit Gesetzeskraft zukommt. Nach diesem Staatsvertrag wird seit Mitte der 90er Jahre die Genehmigung zur Ausstrahlung eines privaten Fernsehvollprogramms unter anderem davon abhängig gemacht, dass innerhalb dieses Programms bestimmte Zeitanteile unabhängigen Produzenten von Fernsehprogrammen (sogenannte Fensterprogrammveranstalter) eingeräumt werden. Diese Verpflichtung tritt immer dann ein, wenn der Privatsender bei Einleitung des Verfahrens im Durchschnitt der letzten zwölf Monate einen Zuschaueranteil von 10 % oder, falls der Privatsender einer Sendergruppe angehört, die Sendergruppe insgesamt einen Zuschaueranteil von 20 % erreicht oder überschritten hat. Diese Vorgaben sollen der Sicherung von Meinungsvielfalt im privaten Fernsehsektor dienen.

Drittsendezeiten werden von Landesanstalt für Medien und Kommunikation ermittelt und öffentlich ausgeschrieben

Ob bei einem Privatsender oder der Sendergruppe ein solcher Zuschaueranteil vorliegt, wird von der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) auf Veranlassung der zuständigen Landesmedienanstalt - in Rheinland-Pfalz die Landesanstalt für Medien und Kommunikation (LMK) - ermittelt. Die Drittsendezeiten werden anschließend von der LMK öffentlich ausgeschrieben. Die Auswahl der künftigen Fensterprogrammveranstalter erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren gemeinsam mit dem Hauptprogrammveranstalter sowie im Benehmen mit der KEK. Der Fensterprogrammveranstalter erhält sodann eine eigene rundfunkrechtliche Zulassung für die Dauer von fünf Jahren.

In früheren Zulassungszeiträumen wurde jeweils die auch im aktuellen Verfahren beteiligte Produktionsfirma dctp und eine - nicht mehr existente - weitere Anbieterin von der LMK berechtigt, im Programm von SAT.1 Fensterprogramme zu veranstalten. Die letzte Zulassung endete zum 31. Mai 2013. Für den danach beginnenden neuen Zulassungszeitraum wählte die LMK zunächst diese Anbieter nochmals aus.

OVG lässt Drittsendezeiten zunächst vorläufig entfallen

In dem seinerzeit von SAT.1 eingeleiteten ersten Eilverfahren wurden vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Rechtsfehler in der Ausschreibung und den Vergabeentscheidungen festgestellt und zunächst die sofortige Vollziehbarkeit der Zulassungsbescheide beseitigt (vgl. Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.09.2014 - 2 B 10323/14.OVG (v. 23.07.2014) und 2 B 10327/14.OVG -).

VG Neustadt hebt Zulassungsbescheide der LMK auf

Unmittelbar nach Ergehen der Eilentscheidungen stellte SAT.1 im September 2014 die Ausstrahlung der überregionalen Fensterprogramme ein. Im anschließenden Hauptsacheverfahren hob das Verwaltungsgericht Neustadt die Zulassungsbescheide der LMK auf (vgl. Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil v. 21.04.2015 - 5 K 752/13.NW, 5 K 695/13.NW und 5 K 749/13.NW -). Hiergegen legte (nur) dctp Berufung ein.

SAT.1 erhebt erneut Klage auf Beseitigung der enthaltenen Verpflichtung zur sofortigen Einräumung von Drittsendezeiten

Da das Oberverwaltungsgericht allerdings wegen des Überschreitens der Zuschaueranteile von 10 % bzw. 20 % bereits 2014 die grundsätzliche Verpflichtung von SAT.1 zur Einräumung von Drittsendezeiten festgestellt hatte, schrieb die LMK die Fensterprogramme - wegen des bei der Ausschreibung noch laufenden Berufungsverfahrens der früheren "Zulassungsrunde" unter Vorbehalt - neu aus. In diesem Verfahren wurden von der LMK und SAT.1 einvernehmlich drei Fensterprogrammveranstalter ausgewählt (darunter wiederum die Firma dctp) sowie SAT.1 verpflichtet, diesen im Hauptprogramm Sendezeiten (dienstags von 23.10 Uhr bis 01.15 Uhr und samstags von 19.00 Uhr bis 19.55 Uhr) einzuräumen. Hiergegen hat SAT.1 erneut sowohl Klage erhoben als auch einen weiteren Eilantrag gestellt, mit dem sie die in dem Bescheid zugleich enthaltene Verpflichtung zur sofortigen Einräumung von Drittsendezeiten beseitigen will.

LEK war aufgrund vorliegender maßgeblicher Zuschaueranteile zur Ausschreibung von Drittsendezeiten berechtigt

Während das Verwaltungsgericht dem Eilantrag von SAT.1 stattgab, bekräftigte das Oberverwaltungsgericht auf die von der LMK und dctp eingelegten Beschwerden die Verpflichtung von SAT.1, die Sendezeiten für unabhängige Dritte in ihrem Fernsehprogramm aufzunehmen. Anders als in früheren Eilverfahren konnte das Oberverwaltungsgericht keine Rechtsfehler in der Ausschreibung, der Auswahl und der Vergabe der Zulassungen der drei ausgewählten Fensterprogrammveranstalter erkennen. Der Zuschaueranteil der Sendergruppe sei von der KEK zutreffend mit 20,04 % festgestellt worden. Damit hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens die Zuschaueranteile einen Wert erreicht, der die LMK berechtigt habe, die zur Sicherung der Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk vorgesehenen Drittsendezeiten auszuschreiben. Die Zuschaueranteile seien während des laufenden Verfahrens auch nicht so stark zurückgegangen, dass die Verpflichtung zur Einräumung von Drittsendezeiten unverhältnismäßig erscheine. Weitere Fehler im Vergabeverfahren seien nicht festzustellen. Insbesondere hätten die beteiligten Organe der LMK innerhalb ihrer Zuständigkeit gehandelt. Das Verfahren habe auch schon beginnen dürfen, obwohl die Berufung in dem vorherigen Vergabeverfahren noch beim Senat anhängig gewesen sei. Insofern sei die Angelegenheit eilbedürftig gewesen, weil trotz des auch vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Überschreitens der Zuschaueranteile seit der Einstellung der Fensterprogramme im September 2014 mehr als drei Jahre keine überregionalen Fensterprogramme im Hauptprogramm von SAT.1 mehr ausgestrahlt worden seien. Diesen Zustand habe die LMK so schnell wie möglich beenden dürfen.

Öffentlichem Interesse an zeitnaher und effektiver Gewährleistung einer Meinungsvielfalt im Medienbereich ist Vorrang einzuräumen

Unabhängig von der nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts wohl nicht erfolgreichen Klage von SAT.1 in der Hauptsache hat das Gericht in dem rundfunkrechtlichen Eilverfahren aber auch eine Folgenabwägung getroffen. Danach sei dem öffentlichen Interesse an einer zeitnahen und effektiven Gewährleistung der Meinungsvielfalt im Medienbereich gegenüber dem Interesse von SAT.1 an einer ungeschmälerten Ausstrahlung ihres privaten Fernsehprogramms der Vorrang einzuräumen. Unter Zugrundelegung der gesamten Sendezeit der aus neun verschiedenen Programmen bestehenden Sendergruppe und bei einer unterstellten Sendedauer von 24 Stunden je Sender werde das Recht auf freie Programmgestaltung des Privatsenders lediglich in einer Größenordnung von noch nicht einmal 0,2 Prozent eingeschränkt. Die Grundrechtsbetroffenheit der Sendergruppe, für die SAT.1 agiere, könne deshalb in der Gesamtbetrachtung nur als geringfügig angesehen werden. Demgegenüber würde die bei einem Erfolg des Eilantrags von SAT.1 eintretende Fortschreibung des verfassungsrechtlich nicht tragbaren Zustands, bei dem trotz festgestellter Verpflichtung von SAT.1 zur Einräumung von Drittsendezeiten keine Fensterprogramme mehr ausgestrahlt würden, deutlich schwerer wiegen. Der neuerliche Eilantrag von SAT.1 würde im Ergebnis die Hauptsache allein durch Zeitablauf im Ergebnis vorwegnehmen.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 01.11.2017
Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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