Die drei Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls sind deutsche Staatsbürger. Zwei von Ihnen sind derzeit in der JVA Aachen in Haft; ein Beschwerdeführer lebt in Freiburg.
Alle drei sind mehrfach vorbestraft und wurden zuletzt zu Haftstrafen wegen schwerer Straftaten verurteilt: K. wurde im Mai 1993 vom Landgericht Bochum wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. M. wurde im Juli 1991 vom Landgericht Duisburg wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Nötigung, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Nötigung sowie wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, begangen 1990, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. S. wurde im März 1985 vom Landgericht Stuttgart wegen Vergewaltigung in zwei Fällen sowie wegen Entführung, versuchter Vergewaltigung und Freiheitsberaubung, begangen 1984, zu fünf Jahren Haft verurteilt. In allen drei Fällen ordneten die Gerichte zugleich die Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung an.
Nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen wurden alle drei Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung untergebracht, deren Fortdauer von den Gerichten mehrfach angeordnet wurde. In allen drei Fällen verlängerten die Gerichte die Sicherungsverwahrung der Beschwerdeführer über die Gesamtdauer von zehn Jahren hinaus. Sie stützten sich dabei in den Fällen von K. und M. auf psychiatrische Sachverständigengutachten und im Fall von S. auf ein neurologisches Sachverständigengutachten, die alle feststellten, dass von den Beschwerdeführern im Falle ihrer Freilassung weitere schwere Straftaten mit Folge erheblicher psychischer oder körperlicher Schäden der Opfer zu erwarten seien.
Die Gerichte beriefen sich auf § 67 d Absatz 3 des Strafgesetzbuches (StGB) in seiner Fassung nach der Änderung von 1998. Mit der Änderung, die auch auf die vor der Neuregelung angeordneten Fälle von Sicherungsverwahrung anzuwenden war, wurde die vorher vorgeschriebene Höchstgrenze von zehn Jahren bei einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung gestrichen.
Alle drei Beschwerdeführer legten Verfassungsbeschwerden gegen diese Gerichtsentscheidungen ein, die das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung annahm. In den Fällen von S. und K. berief sich das Gericht, im März 2004 bzw. Januar 2007, auf sein Leiturteil vom 5. Februar 2004, in dem es festgestellt hatte, dass § 67 d Absatz 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
In späteren Urteilen, im Juli bzw. August 2010, lehnte es das Oberlandesgericht Köln ab, die Unterbringung von M. und K. in der Sicherungsverwahrung im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. gegen Deutschland für beendet zu erklären, in dem der Gerichtshof festgestellt hatte, dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers gegen Artikel 5 § 1 und Artikel 7 § 1 EMRK verstieß (vgl. Oberlandesgericht Köln, Beschluss v. 14.07.2010 - 2 Ws 431/10 -). In den Fällen von M. und K. befand das Oberlandesgericht Köln, dass das geltende deutsche Recht nicht im Einklang mit diesem Urteil ausgelegt werden könne und dass es folglich Aufgabe des Gesetzgebers sei, das Urteil umzusetzen.
Im Gegensatz dazu erklärte das Oberlandesgericht Karlsruhe im September 2010 die Unterbringung von S. in der Sicherungsverwahrung für beendet und ordnete seine Führungsaufsicht an. Das Gericht argumentierte, dass das deutsche Strafrecht im Einklang mit dem Urteil im Fall M. gegen Deutschland ausgelegt werden könne. Folglich stellte es im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung fest, dass die rückwirkende Anwendung einer neuen rechtlichen Bestimmung zum Nachteil der betroffenen Person unzulässig sei und das zur Tatzeit gültige Gesetz Anwendung finden müsse. S. wurde am selben Tag entlassen und steht seitdem unter ständiger Polizeibeobachtung.
Unter Berufung insbesondere auf Artikel 5 § 1 und Artikel 7 § 1 beklagten sich alle drei Beschwerdeführer über ihre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Anschluss an die vollständige Verbüßung ihrer jeweiligen Freiheitsstrafen über die zur Tatzeit zulässige Höchstdauer hinaus. Die Beschwerde von K. wurde am 17. April 2007 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt, die Beschwerde von M.’ wurde am 24. April 2007 und die Beschwerden von S., über die der Gerichtshof zusammen in einem Urteil entschied, wurden am 10. Juli 2004 bzw. am 4. September 2007 eingelegt.
Alle der Fälle waren, hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs der Geschehnisse, Folgefälle zum Fall M. gegen Deutschland. Der Gerichtshof sah folglich keinen Grund, von seinen Schlussfolgerungen in diesem Urteil abzuweichen. Wie im Fall M. gegen Deutschland war die Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung vor Ablauf der Zehnjahresfrist als Freiheitsentzug „nach Verurteilung“ durch ein zuständiges Gericht im Sinne von Artikel 5 § 1 (a) zulässig.
Im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung über die Zehnjahresfrist hinaus stellte der Gerichtshof hingegen fest, dass es keinen ausreichenden Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung der Beschwerdeführer und ihrem fortdauernden Freiheitsentzug gab, um Artikel 5 § 1 (a) zu genügen. Zum Zeitpunkt, als die zuständigen Gerichte die Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung anordneten, bedeutete die jeweilige Entscheidung, dass sie nur für eine klar festgeschriebene Höchstdauer in dieser Form der Freiheitsentziehung bleiben konnten. Ohne die Änderung des StGB 1998 hätten die Strafvollstreckungskammern der jeweils zuständigen Gerichte die Dauer der Sicherungsverwahrung nicht verlängern können.
Die fortwährende Sicherungsverwahrung der Beschwerdeführer war auch nicht nach einem der anderen Unterabsätze von Artikel 5 § 1 zulässig. Insbesondere war sie nicht gerechtfertigt durch die von den Gerichten festgestellte Gefahr, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Freilassung weitere schwere Straftaten begehen könnten, da diese potentiellen Straftaten nicht konkret und spezifisch genug waren, um Artikel 5 § 1 (c) zu genügen.
Der Gerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass die Sicherungsverwahrung der Beschwerdeführer über die Zehnjahresfrist hinaus Artikel 5 § 1 verletzt bzw. verletzte. Der Gerichtshof begrüßte, dass die deutschen Gerichte die Unterbringung S. in der Sicherungsverwahrung im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs beendet hatten. Seine Freilassung ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass er im Hinblick auf seine Sicherungsverwahrung über die Zehnjahresfrist hinaus weiterhin behaupten kann, Opfer einer Verletzung von Artikel 5 zu sein.
Auch im Hinblick auf die Beschwerden gemäß Artikel 7 § 1 bezog sich der Gerichtshof auf sein Urteil im Fall M. gegen Deutschland. Darin war er zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um eine Strafe im Sinne von Artikel 7 § 1 handelt. Diese Form der Unterbringung bedeutet genau wie eine gewöhnliche Haftstrafe einen Freiheitsentzug und in der Praxis sind Häftlinge in der Sicherungsverwahrung in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht. Zwar werden ihnen Verbesserungen bei den Haftbedingungen eingeräumt, was jedoch nichts an der grundlegenden Ähnlichkeit zwischen dem Vollzug einer normalen Haftstrafe und einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ändert.
Nach der gesetzlichen Neuregelung von 1998 gab es keine Höchstdauer mehr für die Sicherungsverwahrung und die Bedingung für ihre Aussetzung zur Bewährung – nämlich, dass vom Straftäter keine Gefahr mehr ausgehen darf – war schwer zu erfüllen. Mithin handelte es sich um eine der härtesten Maßnahmen, die nach dem StGB angewendet werden konnten.
Da die Beschwerdeführer nach der Rechtslage zur Tatzeit nur für eine Höchstdauer von zehn Jahren in der Sicherungsverwahrung hätten untergebracht werden können, stellte die Verlängerung eine zusätzliche Strafe dar, die ihnen nachträglich auferlegt worden war. Der Gerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass eine Verletzung von Artikel 7 § 1 vorlag.
Der Gerichtshof nahm zur Kenntnis, dass das Oberlandesgericht Köln die Unterbringung von M. und K. in der Sicherungsverwahrung verlängert hatte, obwohl dem Gericht angesichts des Urteils im Fall M. gegen Deutschland bewusst war, dass diese nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen die Konvention darstellte. Im Gegensatz dazu hatten mehrere andere Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof befunden, dass es möglich sei, das deutsche Recht im Einklang mit dem Urteil im Fall M. gegen Deutschland auszulegen. In ihren Stellungnahmen zu den Fällen von M. und K. hatte die deutsche Bundesregierung dieser Auffassung zugestimmt. Vor diesem Hintergrund sah es der Gerichtshof zwar nicht als notwendig an, auf spezifische oder allgemeine Maßnahmen hinzuweisen, die Deutschland in der Umsetzung der Urteile in den Fällen von M. und K. zu treffen hat. Allerdings mahnte er die deutschen Behörden, insbesondere die Gerichte, ihre Verantwortung wahrzunehmen, das Recht der beiden Beschwerdeführer auf Freiheit, eines der Kernrechte der Konvention, zügig umzusetzen.
Nach Artikel 41 (gerechte Entschädigung) entschied der Gerichtshof, dass Deutschland K. 30.000 Euro, M. 25.000 Euro und S. 70.000 für den erlittenen immateriellen Schaden zu zahlen hat.