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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 26.04.2012
C-419/10 -

"Führerscheintourismus": Europäischer Gerichtshof setzt keine neue Schranke

Aufdeckung von "Scheinwohnsitzen" bleibt maßgeblicher Ansatzpunkt für Bekämpfung des so genannten "Führerscheintourismus"

Eine im EU-Ausland ab dem 19. Januar 2009 ausgestellte Fahrerlaubnis muss in Deutschland auch dann anerkannt werden, wenn dem Betroffenen vorher in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen worden ist. Dies hat - entgegen vieler Erwartungen - der Gerichtshof der Europäischen Union im Grundsatz entschieden.

Zu Grunde gelegen hatte ein so genanntes "Vorabentscheidungsersuchen" des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss v. 16.08.2010 - 11 B 10.1030 -). Einem Autofahrer aus dem Allgäu war 2007 die deutsche PKW-Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr entzogen worden. Am 19. Januar 2009 erwarb er eine tschechische Fahrerlaubnis. In einem im Juli 2009 erlassenen Bescheid stellte die zuständige deutsche Fahrerlaubnisbehörde fest, dass diese tschechische Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtige. Die hiergegen vom Autofahrer erhobene Klage wurde zunächst vom Verwaltungsgericht Augsburg abgewiesen, wogegen der Kläger Berufung zum Verwaltungsgerichtshof erhob. Der Verwaltungsgerichtshof legte die Sache schließlich dem Gerichtshof der Europäischen Union vor. Dabei machte der Verwaltungsgerichtshof deutlich, dass eine solche ausländische EU-Fahrerlaubnis seiner Auffassung nach in Deutschland weder anerkannt werden muss noch überhaupt anerkannt werden darf.

VGH erbittet Entscheidung zur Übertragbarkeit der so genannten "zweiten Führerschein-Richtlinie" auf die für den Fall maßgebliche "dritte Führerschein-Richtlinie"

Im Kern ging es im Verfahren vor dem Gerichtshof darum, ob seine Rechtsprechung zur so genannten "zweiten Führerschein-Richtlinie" auf die für den Fall maßgebliche "dritte Führerschein-Richtlinie" übertragbar ist. Die Rechtsprechung zur zweiten Führerschein-Richtlinie stellt den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsländern ausgestellten Führerscheine in den Vordergrund. Eine im EU-Ausland erteilte Fahrerlaubnis darf demnach grundsätzlich nur unter zwei Voraussetzungen nicht anerkannt werden: Erstens, wenn die Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis während einer im Inland laufenden Sperrfrist erfolgt ist. Zweitens, wenn der Führerschein ausgestellt worden ist, ohne dass der Betroffene im Ausstellerstaat seinen Wohnsitz hatte und der fehlende Wohnsitz durch Angaben im Führerschein oder behördliche Auskünfte des Ausstellerstaates belegt ist.

In dem genau am 19. Januar 2009 in Kraft getretenen Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der dritten Führerschein-Richtlinie heißt es nun aber: Ist in einem Mitgliedsstaat einem Betroffenen vorher die Fahrerlaubnis entzogen worden, so lehnt dieser Mitgliedsstaat die Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Fahrerlaubnis ab.

Deutschland plädiert vor Europäischen Gerichtshof gegen die Anerkennung der neuerlangten EU-Fahrerlaubnis

Der durch die Landesanwaltschaft vertretene Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union deutlich gegen die Anerkennung plädiert. Dabei wurde auch ein mögliches Gegenargument aufgegriffen: Wird einem Betroffenen in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen und zieht er danach um ins EU-Ausland, so muss für ihn natürlich die Möglichkeit bestehen, im Staat des neuen Wohnsitzes eine auch in Deutschland gültige Fahrerlaubnis zu erwerben. Als Lösung wurde hierfür eine Konsultationspflicht zwischen den Fahrerlaubnisbehörden des Wohnsitzstaates und des Entziehungsstaates vorgetragen. Der bayerischen und bundesdeutschen Position war zuletzt auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof gefolgt.

EuGH sieht keine Berechtigung zur Verweigerung der Anerkennung

Der Gerichtshof der Europäischen Union begründet seine abweichende Auffassung sah jedoch keine Berechtigung zur Verweigerung der Anerkennung bei vorangegangener Entziehung und begründete dies im Wesentlichen mit folgenden Argumenten:

- Die Unterschiede im Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen der zweiten und dritten Führerschein-Richtlinie seien nicht derart wesentlich, als dass sie die Übertragung der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Anerkennung von Fahrerlaubnissen auf die dritte Führerschein-Richtlinie in Frage stellen könnten.

- Den Materialien zur Entstehungsgeschichte der Dritten Führerschein-Richtlinie lasse sich keine In-Frage-Stellung der bisherigen Rechtsprechung entnehmen.

- Eine Konsultationspflicht würde die Errichtung eines komplexen Systems erfordern, das in der dritten Führerschein-Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Aufgrund des EuGH-Urteils wird maßgeblicher Ansatzpunkt für die Bekämpfung des so genannten "Führerscheintourismus" die Aufdeckung von "Scheinwohnsitzen" bleiben müssen. Die erhoffte zusätzliche Schranke hat der EuGH nicht gesetzt.

Dem Allgäuer Kläger hilft das Urteil des Europäischen Gerichtshofs allerdings auch nicht weiter: Nach Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis ist er im Inland wieder mit einer Trunkenheitsfahrt auffällig geworden. Das zuständige deutsche Amtsgericht hat ihm die tschechische Fahrerlaubnis für den Bereich des Bundesgebietes mittlerweile entzogen.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 14.06.2012
Quelle: Landesanwaltschaft Bayern/ra-online

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