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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die bei der Europawahl 2009 (7. Wahlperiode) geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel unter den gegenwärtigen Verhältnissen gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien verstößt, und daher die der Sperrklausel zugrunde liegende Vorschrift des § 2 Abs. 7 Europawahlgesetz (EuWG) für nichtig erklärt. Demgegenüber hat der Senat die von einem Beschwerdeführer gerügte Verhältniswahl auf der Grundlage „starrer“ Listen nicht beanstandet. Die Verfassungswidrigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel führt jedoch nicht dazu, die Wahl zum Europäischen Parlament des Jahres 2009 für ungültig zu erklären und eine Neuwahl anzuordnen.
Lesetipp - refrago:
Das Bundesverfassungsgericht begründete sein Urteil im Wesentlichen damit, dass das Europawahlgesetz als deutsches Bundesrecht an den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der
Die Fünf-Prozent-Sperrklausel bewirkt eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswerts, weil diejenigen Wählerstimmen, die für Parteien abgegeben worden sind, die an der
Differenzierende Regelungen bei der
Für Differenzierungen verbleibt dem Gesetzgeber nur ein eng bemessener Spielraum. Die Ausgestaltung des Europawahlrechts unterliegt einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle, weil die Gefahr besteht, dass der deutsche Wahlgesetzgeber mit einer Mehrheit von Abgeordneten die Wahl eigener Parteien auf europäischer Ebene durch eine
Nach diesen Maßstäben durfte die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht beibehalten werden. Die bei der Europawahl 2009 gegebenen und fortbestehenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bieten keine hinreichenden Gründe, die den mit der
Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass das Europäische Parlament mit dem Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werde, kann sich nicht auf ausreichende tatsächliche Grundlagen stützen und trägt den spezifischen Arbeitsbedingungen des Europäischen Parlaments sowie seiner Aufgabenstellung nicht angemessen Rechnung. Zwar ist zu erwarten, dass ohne
Gleiches gilt für die Fähigkeit der Fraktionen, durch Absprachen in angemessener Zeit zu Mehrheitsentscheidungen zu kommen. Die „etablierten“ Fraktionen im Europäischen Parlament haben sich in der parlamentarischen Praxis kooperationsbereit gezeigt und sind in der Lage, die erforderlichen Abstimmungsmehrheiten zu organisieren. Es ist nicht ersichtlich, dass bei Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel mit Abgeordneten kleiner Parteien in einer Größenordnung zu rechnen wäre, die es den vorhandenen politischen Gruppierungen im Europäischen Parlament unmöglich machen würde, in einem geordneten parlamentarischen Prozess zu Entscheidungen zu kommen. Schließlich zeigt die Entwicklung des Europäischen Parlaments, dass entsprechende Anpassungen der parlamentarischen Arbeit an veränderte Gegebenheiten wie etwa eine Zunahme der Zahl fraktionsloser Abgeordneter zu erwarten sind. Zwar ist von den in der mündlichen Verhandlung gehörten Sachkundigen und Abgeordneten des Europäischen Parlaments übereinstimmend die Erwartung geäußert worden, dass mit dem Einzug weiterer Kleinparteien in das Europäische Parlament die Mehrheitsgewinnung erschwert werde. Damit allein ist jedoch noch keine hinreichend wahrscheinlich zu erwartende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments dargelegt.
Des Weiteren sind die Aufgaben des Europäischen Parlaments durch die europäischen Verträge so ausgestaltet, dass es an zwingenden Gründen, in die Wahl- und
Die gegen die Wahl nach „starren“ Listen erhobene Rüge greift dagegen nicht durch. Nach dem Unionsrecht bleibt es den Mitgliedstaaten vorbehalten, sich entweder für eine Wahl mit gebundenen - durch den Wähler nicht veränderbaren - Listen oder für offene - die Möglichkeit der Veränderung der Reihenfolge der Wahlbewerber auf den Wahlvorschlägen gewährende - Listen zu entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits für nationale Wahlen wiederholt festgestellt, dass die Wahl nach „starren“ Listen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Neue Argumente, die für die Europawahl Anlass zu einer anderen Beurteilung geben könnten, sind nicht vorgetragen worden.
Die
Die Richter Di Fabio und Mellinghoff tragen die Entscheidung in Ergebnis und Begründung nicht mit. Sie sind der Auffassung, dass die Senatsmehrheit durch eine zu formelhafte Anlegung der Prüfungsmaßstäbe den Eingriff in die
Die Fünf-Prozent-Sperrklausel sei keine bereits dem Grunde nach verbotene Differenzierung. Sie stelle vielmehr eine ergänzende Regelung zum Verhältniswahlrecht dar. Das Verhältniswahlsystem mit der Annexbedingung einer Fünf-Prozent-Sperrklausel sei aus Sicht der Erfolgswertgleichheit weitaus weniger einschneidend als ein - vom Grundgesetz ebenfalls erlaubtes - einstufiges Mehrheitswahlsystem, welches dazu führen könne, dass sogar mehr als 50 % der im Wahlkreis abgegebenen Stimmen ohne jede Mandatswirkung blieben. Die Wahlgrundsätze aus Art. 38 GG nötigten nicht zur Ausgestaltung eines reinen Wahlsystems, sondern ließen Modifikationen und Mischungen zu. Die verfassungsgerichtliche Prüfung dürfe kein einzelnes Element eines Wahlsystems herausgreifen und daran strenge Gleichheitsanforderungen richten. Wahlrechtsfragen seien der politischen Gestaltung des Gesetzgebers unterworfen, dessen Regelungsauftrag angesichts der Allgemeinheit der Wahlgrundsätze dem Bundesverfassungsgericht Zurückhaltung auferlege.
Die Fünf-Prozent-Sperrklausel sei sachlich gerechtfertigt, um für das deutsche Kontingent eine zu weitgehende Zersplitterung der im Europaparlament vertretenen politischen Parteien zu verhindern. Dabei trage Deutschland zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten insgesamt Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments. Gerade die Staaten mit größeren Mandatskontingenten leisteten in ihrem Gestaltungsrahmen durchaus Beiträge gegen eine weitere Zergliederung des Europaparlaments. Neben Sperrklauseln enthielten die Wahlsysteme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch wahltechnische Ausgestaltungen, die ohnehin zu Differenzen in der Erfolgswertgleichheit führten. Mit der isolierten Aufhebung der deutschen Fünf-Prozent-Sperrklausel durch den Senat werde daher im europäischen Umfeld ein Sonderweg beschritten. Der Differenzierungsgrund der Funktionsbeeinträchtigung des Parlaments werde durch den Senat letztlich auf eine Funktionsunfähigkeit begrenzt, ohne dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierfür eine Grundlage biete. Ein sachlicher Grund für die Rechtfertigung der Fünf-Prozent-Sperrklausel bestehe bereits in der Verringerung möglicher Funktionsbeeinträchtigungen des Europaparlaments und liege nicht erst dann vor, wenn dessen künftige Handlungsunfähigkeit zu erwarten sei.
Der Umstand, dass es dem Europaparlament bisher - unter Bedingungen großer Heterogenität - gelungen sei, eine mehrheitsfähige Willensbildung herbeizuführen, könne kein Argument dafür sein, dass die Verhinderung einer zusätzlichen parlamentarischen Zergliederung die
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 09.11.2011
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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Dokument-Nr. 12533
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