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Schleswig-Holstein muss die 5 %-Klausel bei Kommunalwahlen abschaffen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Klausel verstößt gegen das Grundgesetz. Verletzt ist der Grundsatz der Chancengleichheit und der Wahlrechtsgleichheit. Hinreichende Gründe für eine Eingriff in diese Grundsätze seien nicht ersichtlich.
Der Antrag der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Landesverband Schleswig-Holstein, der sich gegen die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlgesetz richtet, war erfolgreich. Die Partei DIE LINKE, Landesverband Schleswig-Holstein war dem Antrag beigetreten. Das Bundesverfassungsgericht stellte nun fest, dass der Landtag Schleswig-Holstein in das Recht der Antragstellerin auf
Das schleswig-holsteinische Kommunalwahlgesetz sieht seit 1959 eine 5 %-Sperrklausel vor. Danach werden bei der Verteilung der Sitze nur diejenigen Parteien oder Wählergruppen berücksichtigt, die mindestens fünf Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erzielt haben.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legte im Mai 2006 dem schleswig-holsteinischen Landtag einen Gesetzesentwurf vor, der unter anderem die Abschaffung der 5 %-Sperrklausel vorsah. Zur Begründung wurde angeführt, dass in mehreren (landes-)verfassungsgerichtlichen Entscheidungen festgestellt worden sei, dass die 5 %-Sperrklausel eine Einschränkung der
Der Gesetzesentwurf wurde zur weiteren Beratung und Anhörung in den Innen- und Rechtsausschuss des Landtags überwiesen. Dieser gab diversen Institutionen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf. Im Dezember 2006 wurde der Gesetzesentwurf mit der Mehrheit der Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) abgelehnt.
Die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Landesverband Schleswig-Holstein, macht im Wege der Organklage geltend, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag durch die Ablehnung des Gesetzesentwurfs das Recht der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf
Im Oktober erklärte die Partei DIE LINKE, Landesverband Schleswig-Holstein, gemäß § 65 Abs. 1 BVerfGG den Beitritt zu dem Verfahren auf der Seite der Antragstellerin. Die Beigetretene sei als Rechtsnachfolger der "Linkspartei", ehemals PDS am 2. September 2007 gegründet worden und sei von der Verfassungswidrigkeit der Sperrklausel ebenso betroffen wie die Antragstellerin. Sie mache sich deren Vortrag zu Eigen.
I. Mit 7 : 1 Stimmen bejahte der Zweite Senat die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens. Die Ablehnung des Gesetzesantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abschaffung der Fünf-Prozent-Sperrklausel bildet hier einen zulässigen Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren. Der Antragsgegner hat sich mit der Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Schleswig-Holsteinischen Kommunalwahlrecht inhaltlich befasst und einen ausdrücklich auf die Abschaffung der Sperrklausel gerichteten Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren abgelehnt. Damit steht im vorliegenden Fall die Ablehnung des Gesetzentwurfes dem als Maßnahme zu wertenden Erlass eines Gesetzes gleich. In beiden Fällen befasst sich der Gesetzgeber im parlamentarischen Verfahren inhaltlich mit der Frage der Sperrklausel im Kommunalwahlrecht und trifft eine Entscheidung, die in die Statusrechte der Antragstellerin eingreift.
II. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlgesetz bewirkt eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen. Sie werden hinsichtlich ihres Erfolgswerts ungleich behandelt, je nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, oder für eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Sperrklausel gescheitert ist. Letztere Wählerstimmen bleiben ohne Erfolg. Zugleich wird durch die Fünf-Prozent-Sperrklausel das Recht der Antragstellerin auf
1. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie dem Zweck diene, verfassungsfeindliche oder (rechts-)extremistische Parteien von der Beteiligung an kommunalen Vertretungsorganen fernzuhalten. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel wirkt nicht nur gegen (unerwünschte) extremistische Parteien, sondern trifft alle Parteien gleichermaßen, ebenso wie kommunale Wählervereinigungen und Einzelbewerber. Für die Bekämpfung verfassungswidriger Parteien steht das Parteiverbotsverfahren zur Verfügung.
2. Auch in der Sicherung der Gesamtwohlorientierung politischer Kräfte kann gegenwärtig kein zwingender Grund für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel gesehen werden. Aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung folgt, dass die Auslese der Kandidaten für die kommunalen Vertretungskörperschaften jedenfalls auch nach partikularen Zielen möglich sein muss und daher nicht ausschließlich den ihrem Wesen und ihrer Struktur nach in erster Linie am Staatsganzen orientierten politischen Parteien vorbehalten werden darf. Es muss daher auch ortsgebundenen, lediglich kommunale Interessen verfolgenden Wählergruppen das Wahlvorschlagsrecht und ihren Kandidaten eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen gewährleistet sein.
3. Aus der Erforderlichkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel für Bundestags- oder Landtagswahlen kann nicht ohne weiteres auf die Erforderlichkeit der Sperrklausel auch für Kommunalwahlen geschlossen werden. Bei gesetzgebenden Körperschaften sind klare Mehrheiten zur Sicherung einer politisch aktionsfähigen Regierung unentbehrlich. Anders als staatliche Parlamente üben Gemeindevertretungen und Kreistage dagegen keine Gesetzgebungstätigkeit aus. Vielmehr sind ihnen in erster Linie verwaltende Tätigkeiten anvertraut.
4. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Ziel der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung mit dem Gebot der Wahlgleichheit und der
Hinreichende Gründe, die die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erforderlich machen, sind nicht ersichtlich. Bei der Prognoseentscheidung des Gesetzgebers kommt der Ausgestaltung des Kommunalverfassungsrechts in Schleswig-Holstein entscheidendes Gewicht zu.
a) Mit der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister in hauptamtlich verwalteten Gemeinden sowie der Landräte ist das zentrale Element weggefallen, das bislang die Rechtfertigung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht gestützt hat. Nach der Änderung der Kommunalverfassung in Schleswig-Holstein im Jahr 1995 sind für die Wahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte stabile Mehrheitsverhältnisse, die durch das Auftreten von Splitterparteien in Kommunalvertretungen und Kreistagen gefährdet werden könnten, nicht mehr notwendig. Die Direktwahl des Bürgermeisters bzw. des Landrats garantiert zudem weitgehend eine funktionierende Gemeindeverwaltung unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Gemeindevertretung. Denn der Bürgermeister trägt in eigener Zuständigkeit die alleinige umfassende Verantwortung für die Leitung der Gemeindeverwaltung.
Der Umstand, dass in ehrenamtlich verwalteten Gemeinden die Gemeindevertretung nach wie vor für die Wahl des Bürgermeisters zuständig ist, kann die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht rechtfertigen. In sämtlichen ehrenamtlich verwalteten Gemeinden muss ein Wahlbewerber, um sicher einen Sitz in der Gemeindevertretung zu erlangen, ohnehin mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Dies beruht darauf, dass alle ehrenamtlich verwalteten Gemeinden in Schleswig-Holstein weniger als 10.000 Einwohner haben, was dazu führt, dass maximal 19 Gemeindevertreter zu wählen sind. Bei einem zu wählenden Gremium mit 19 Sitzen beträgt schon die faktische Sperrklausel fünf Prozent. Der Wegfall der gesetzlich normierten Fünf-Prozent-Sperrklausel würde sich in den ehrenamtlich verwalteten Gemeinden - und damit in nahezu 95 Prozent aller schleswig-holsteinischen Gemeinden - praktisch nicht auswirken.
b) Auch bei einer größeren Anzahl von Fraktionen oder Einzelvertretern in der Gemeindevertretung oder im Kreistag drohen keine nachhaltigen Gefahren für die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretung. Für Sachentscheidungen reicht bereits eine relative Abstimmungsmehrheit aus. Bei Wahlen gilt grundsätzlich das Meiststimmenverfahren. Danach ist der Kandidat gewählt, auf den mindestens eine Stimme mehr entfällt als auf eine andere vorgeschlagene Person.
c) Darüber hinaus liegt eine gänzliche Funktions- und Entscheidungsunfähigkeit in Anbetracht der Regelungen der Gemeinde- und der Kreisordnung fern, die insbesondere die Entscheidungsfähigkeit der Kommunalvertretungen auch dann sicherstellen, wenn das übliche Quorum der Beschlussfähigkeit nicht zu erreichen ist. In der Praxis betrifft dies vor allem die Fälle, in denen die Beschlussunfähigkeit von mehreren Mitgliedern der Gemeindevertretung oder des Kreistags durch Verlassen einer Sitzung herbeigeführt wird.
d) Auch eine Gefährdung der Arbeit in den Ausschüssen ist nicht ernstlich zu befürchten. Die Gemeinde kann die Zahl der Mitglieder der ständigen Ausschüsse frei bestimmen. Dabei ist nicht von Belang, ob durch die Größe des Ausschusses gewährleistet ist, dass alle Fraktionen darin mitwirken können. Eine bestimmte Anzahl von Sitzen in der Gemeindevertretung berechtigt Fraktionen nicht, eine Erhöhung der Ausschusssitze zu verlangen, um dann dort berücksichtigt zu werden.
e) Schließlich können die in den anderen Ländern ohne Fünf-Prozent-Sperrklausel gemachten Erfahrungen bei der Prognoseentscheidung nicht gänzlich außer Betracht gelassen werden. Seit der Reformierung der Kommunalverfassungen bestehen in nahezu allen Flächenländern wesentliche Übereinstimmungen in den Kommunalverfassungen. Daher spielt für die Prognoseentscheidung auch eine Rolle, dass schwerwiegende Störungen der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen aus anderen Ländern ohne Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht bekannt geworden sind.
Nur die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane kann die Fünf-Prozent-Sperrklausel rechtfertigen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 13.02.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 16/08 des BVerfG vom 13.02.2008
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