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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2018
5 S 1981/16 und 5 S 2138/16 -

Bahnprojekt Stuttgart 21: Klagen von Umweltvereinigungen gegen Plan­feststellungs­beschluss teilweise erfolgreich

Planung des Eisenbahn-Bundesamtes enthält Abwägungsmangel im Hinblick auf Umweltbelange

Der einheitliche Plan­feststellungs­beschluss des Eisenbahn-Bundesamts vom 14. Juli 2016 zum Plan­feststellungs­abschnitt (PFA) 1.3a des Bahnprojekts Stuttgart 21 der DB Netz AG und zur Straßenplanung "Südumgehung Plieningen" des Landes Baden-Württemberg ist rechtswidrig und nicht vollziehbar. Dies entschied der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg und gab damit den Klagen der Schutzgemeinschaft Filder e. V. und des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) Gruppe Stuttgart e. V. teilweise statt.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der PFA 1.3a umfasst einen Teil der parallel zur Autobahn A 8 verlaufenden Neubaustrecke (NBS) der Bahn entlang des Flughafens Stuttgart, einen neuen Tiefbahnhof für den Zugverkehr auf der NBS am Flughafen (Station NBS), den Flughafentunnel als Zubringer sowie als Folgemaßnahme die Umgestaltung der Anschlussstelle Plieningen der A 8. Diese Planung war ursprünglich Gegenstand des umfassenderen PFA 1.3, der nach einem Erörterungstermin im Herbst 2014 in die beiden Abschnitte 1.3a und 1.3b aufgespalten wurde. Der verbleibende PFA 1.3b mit der Zuführung der Gäubahn über die Rohrer Kurve, der Flughafenkurve und einer Erweiterung der Station Terminal am Flughafen ist Gegenstand eines noch laufenden Planfeststellungsverfahrens. Die Straßenplanung "Südumgehung Plieningen" umfasst die Verlegung der L 1204 mit Lückenschluss im Zuge der L 1192 entlang der NBS.

Vorteile und nachteiligen Auswirkungen des Vorhabens auf Belange der Umwelt nicht ausreichen gegeneinander abwogen

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg verwies in seiner Entscheidung darauf, dass es das Eisenbahn-Bundesamt versäumt habe, die mit dem Vorhaben "Südumgehung Plieningen" verbundenen Vorteile und die nachteiligen Auswirkungen dieses Vorhabens auf Belange der Umwelt unabhängig vom Eisenbahnvorhaben gegeneinander abzuwägen. Die Zulassung der Straßenplanung sei daher entgegen den gesetzlichen Vorgaben möglicherweise durch die für das Eisenbahnvorhaben sprechenden Gesichtspunkte maßgeblich beeinflusst. Dieser erhebliche Abwägungsfehler könne allerdings in einem ergänzenden Verfahren behoben werden. Im Übrigen sei der Planfeststellungsbeschluss rechtmäßig oder er weise jedenfalls keine erheblichen Rechtsmängel auf. Insoweit blieben die Klagen der beiden Umweltvereinigungen erfolglos.

Vor- und Nachteile für Straßenbauvorhaben sind gesondert abzuwägen

Zur weiteren Begründung der Entscheidungen führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, dass das Eisenbahn-Bundesamt bei seiner Abwägung verkannt habe, dass es sich bei dem Straßenbauvorhaben - trotz seiner verfahrensrechtlichen Verbindung mit dem Eisenbahnvorhaben in einem einheitlichen Planfeststellungsverfahren - um ein selbständiges Vorhaben handele, dessen Vor- und Nachteile gesondert abzuwägen seien. Insoweit halte der Verwaltungsgerichtshof an seiner in zwei vorangegangenen Eilverfahren vorläufig vertretenen gegenteiligen Rechtsauffassung nicht mehr fest (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 14. Februar 2017, Az. 5 S 2122/16, 5 S 2139/16). Die fehlende selbständige Abwägung müsse die Behörde nachholen und hierfür gegebenenfalls konkret ermitteln, mit welchen Entlastungswirkungen die Fertigstellung der Südumgehung für Plieningen verbunden wäre. Den Akten sei nicht zu entnehmen, dass dem Eisenbahn-Bundesamt entsprechende Erhebungen vorgelegen hätten.

Klagen wegen umweltbezogenen Abwägungsmangeln teilweise begründet

Da dieser Abwägungsmangel umweltbezogen sei, seien die Klagen ungeachtet dessen, dass für die Straßenplanung keine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen gewesen sei, teilweise begründet. Bestimmungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes über Einschränkungen der gerichtlichen Kontrolle bei Klagen von Umweltvereinigungen stünden dem nicht entgegen. Denn diese Bestimmungen seien im Lichte der sich aus der Aarhus-Konvention ergebenden Verpflichtung über den Zugang zu Gerichten so auszulegen, dass die klagenden Umweltvereinigungen zumindest die Verletzung umweltbezogener Vorschriften mit Erfolg geltend machen könnten.

Auseinandersetzung mit Alternativen zum Gesamtprojekt Stuttgart 21 sowie zu kleinräumigen Alternativen ausreichend

Im Übrigen leide der Planfeststellungsbeschluss, insbesondere in Bezug auf das im Vordergrund stehende Eisenbahnvorhaben, weder unter einem beachtlichen Verfahrensfehler noch unter einem materiellen Mangel. Die Eisenbahnplanung sei aus den mit ihr verfolgten verkehrspolitischen und städtebaulichen Ziele gerechtfertigt. Ihre Finanzierung sei hinreichend gesichert. Die in Teilen ungeklärten Einzelheiten der Finanzierung und die nach dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses bekannt gewordenen Kostensteigerungen seien nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im vorliegenden Verfahren. Das Eisenbahn-Bundesamt habe sich auch hinreichend mit Alternativen sowohl zum Gesamtprojekt Stuttgart 21 als auch zu kleinräumigen Alternativen im Filderraum auseinandergesetzt und diese vertretbar verworfen. Dabei habe es auch die fortgeschrittene Verwirklichung des Gesamtprojekts Stuttgart 21 auf Grundlage gerichtlich überprüfter bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse für andere Abschnitte (u. a. Stuttgarter Tiefbahnhof und Fildertunnel) berücksichtigen dürfen. Die Vor- und Nachteile des Konzepts Stuttgart 21 und alternativer Konzepte seien hinreichend gewürdigt worden. Dies betreffe auch die geplante künftige Führung der Gäubahn über den Flughafen anstatt über die bisherige "Panoramastrecke". Es sei nicht erkennbar, dass dieser Planung unüberwindbare Hindernisse entgegenstünden. Einzelheiten der Streckenführung zwischen der Rohrer Kurve und dem Flughafen seien Gegenstand des noch nicht abgeschlossenen Planfeststellungsverfahrens zum abgetrennten Abschnitt PFA 1.3b. Insbesondere mögliche negative Auswirkungen auf den Verkehr der S-Bahn und diesbezügliche Lösungsvorschläge bedürften daher im vorliegen Verfahren keiner Klärung. Die von den Klägern präferierte Schaffung eines Bahn-Haltepunktes unmittelbar an der NBS nördlich der Autobahn A 8 anstelle des Tiefbahnhofs habe sich dem Eisenbahn-Bundesamt insbesondere wegen der Entfernung zum Flughafenterminal und zur Messe nicht als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen müssen.

Brandschutzkonzept begegnet keinen durchgreifenden Bedenken

Schließlich begegne das für den Tiefbahnhof am Flughafen entwickelte Brandschutzkonzept keinen durchgreifenden Bedenken. Die diesbezüglichen Einwendungen der Schutzgemeinschaft Filder e. V., insbesondere gegen die von der DB Netz AG vorgelegte Evakuierungs- und Entrauchungssimulation, stellten die Tragfähigkeit des Brandschutzkonzepts nicht infrage. Einzelfragen des Brandschutzes könnten im Rahmen der vom Eisenbahn-Bundesamt zu genehmigenden Ausführungsplanung geklärt werden.

Keine weiteren erheblichen Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz von Natur und Landschaft und zum Artenschutz

Soweit die Kläger weitere Defizite der Umweltverträglichkeitsprüfung und andere Verfahrensmängel auch in Bezug auf das Eisenbahnvorhaben geltend gemacht hätten, seien mögliche Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich. Denn es könne ausgeschlossen werden, dass das Eisenbahn-Bundesamt in Bezug auf das Eisenbahnvorhaben bei fehlerfreier Durchführung des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Gleiches gelte für die Abwägung der für und gegen dieses Vorhaben sprechenden Belange. Angesichts des in den Akten zum Ausdruck kommenden eindeutigen Schwerpunktes der Abwägung in Bezug auf dieses Vorhaben sei zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossen, dass die parallele Straßenplanung die Entscheidung zugunsten des Eisenbahnvorhabens beeinflusst haben könnte. Schließlich lägen auch keine erheblichen Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz von Natur und Landschaft und zum Artenschutz vor.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 06.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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