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Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 17.06.2010
VG 15 K 239.09 V -

Ausländischer Familiennachzug: Abzug von Freibeträgen bei der Berechnung des Lebensunterhalts unzulässig

Freibeträge bei Erwerbstätigkeit dienen nicht zur Deckung des Lebensunterhalts und dürfen nicht mehr abgezogen werden

Bei der Berechnung des Lebensunterhalts eines Ausländers, der nach Deutschland einreisen will, sind vom Familieneinkommen nicht die Erwerbstätigenfreibeträge nach § 30 SGB II abzuziehen. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin und nahm erstmals Bezug auf die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der einer Klage zweier türkischer Kinder stattgegeben hatte, denen das Auswärtige Amt ein Visum unter Berufung auf nicht ausreichende finanzielle Mittel verweigert hatte.

Nach dem Aufenthaltsgesetz setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels für Ausländer voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Von dem bei der Berechnung zugrunde zu legenden Einkommen sind nach der bisherigen Rechtsprechung so genannte Freibeträge (§§ 11 Abs. 2, 30 SGB II) abzuziehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Praxis bislang mit dem Argument bestätigt, nur auf diese Weise werde dem Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen, keinen Ausländer nach Deutschland einreisen zu lassen, der sogleich Anspruch auf ergänzende Sozialhilfeleistungen habe.

Verwaltungsgericht bezieht sich auf Rechtsprechung des EuGH, der Familiennachzugsrichtlinie für nicht mehr zulässig hält

Das Verwaltungsgericht hält diese Praxis vor dem Hintergrund einer neueren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ("Chakroun") zur so genannten Familiennachzugsrichtlinie nicht mehr für zulässig. Der EuGH habe den Begriff der "Sozialhilfeleistung" als eine Hilfe definiert, die gewährt werde, um einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts auszugleichen. Daraus ergibt sich nach Auffassung der Richter, dass die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit nicht mehr abgezogen werden dürfen, weil diese nicht zur Deckung des Lebensunterhalts dienten, sondern einen Arbeitsanreiz darstellten. Im konkreten Fall durfte den Klägern daher der rechnerische Fehlbetrag von 87,39 Euro nicht entgegen gehalten werden.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 26.07.2010
Quelle: ra-online, Verwaltungsgericht Berlin

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