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Das Thüringer Oberlandesgericht Jena hat in einem Verfahren wegen Rückzahlung europarechtswidrig gewährter Beihilfen der Klage des Insolvenzverwalters der Beihilfeempfängerin, die darauf gerichtet war, an die öffentliche Hand zurückgewährte Beihilfen in Höhe von rund 18 Mio € in die Insolvenzmasse zu erstatten, überwiegend stattgegeben.
Der späteren Insolvenzschuldnerin sind im Rahmen der Umstrukturierung eines CD-Werkes in Albrechts/Thüringen von der öffentlichen Hand finanzielle Mittel in Höhe von insgesamt über 550 Mio DM zugeflossen. 1994 übernahmen Einrichtungen der Thüringer Wirtschaftsförderung, darunter auch die beklagte Thüringer Aufbaubank, sämtliche Geschäftsanteile der Schuldnerin. Die genannten Einrichtungen haben der Schuldnerin in der Folgezeit weitere finanzielle Zuwendungen erbracht. Die EG-Kommission stellte im Jahr 2000 fest, dass Deutschland die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen habe, um „von den jeweiligen Empfängern“ die unter Verstoß gegen das Beihilfeverbot des EG-Vertrags rechtswidrig erlangten Beihilfen in Höhe von insgesamt 426,87 Mio DM zurückzufordern. Das Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften bestätigte mit Urteil vom 19.10.2005 den Rückforderungsbescheid in den für das anhängige Verfahren wesentlichen Punkten. Der Kommissionsbescheid wurde teilweise dadurch vollzogen, dass direkt oder indirekt Rückzahlungen der späteren Insolvenzschuldnerin an die Beklagte erfolgten. Diese Leistungen verlangt der Insolvenzverwalter zurück.
Entgegen dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Erfurt hat der 6. Zivilsenat des Thüringer OLG der Klage in weiten Teilen stattgegeben. Während das LG Erfurt noch davon ausging, dass eine Rückforderung durch den Insolvenzverwalter auf eine Umgehung des Beihilfeverbots hinauslaufe und daher europarechtlich nicht zulässig sei, gelangte das Berufungsgericht zu der Auffassung, dass den Zielen des Europäischen Beihilferechts auch bei einer Rückführung der Beihilfen an die insolvente Empfängerin hinreichend Rechnung getragen wird.
Der Vollzug des europäischen Beihilferechts erfolgt grundsätzlich nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, wobei dieses in der Weise auszulegen ist, dass es der europarechtlichen Zielsetzung nicht entgegenstehen darf (sog. Vereitelungsverbot).Deswegen ist das nationale Recht nicht anzuwenden, wenn es der Rückforderung europarechtswidrig geleisteter Beihilfen entgegenstehen würde.
Der EuGH hat bereits früher festgestellt, dass dem Ziel des Beihilferechts – nämlich die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrung – genüge getan ist, wenn in der Insolvenz des Beihilfeempfängers die Forderungen der öffentlichen Hand auf Rückführung der Beihilfe zur Insolvenztabelle angemeldet wird. Die öffentliche Hand müsse sich in diesen Fällen wie ein gewöhnlicher Gläubiger behandeln lassen. Das Insolvenzverfahren gewährleiste die Beseitigung einer Wettbewerbsverzerrung.
Diese Grundsätze hat der Zivilsenat auf Sachverhalte übertragen, in denen die Insolvenz des Rückzahlungsschuldners zwar noch nicht eingetreten, bei Rückforderung der Beihilfe aber unvermeidbar war. Nachvollziehbare Gründe den Fall der Rückforderung von Eröffnung des Insolvenzverfahrens anders zu behandeln als danach, seien., so der Senat, nicht ersichtlich. Das deutsche Kapitalerhaltungs- und Insolvenzrecht dient dem Schutz der Gläubiger. Würden diese Gläubigerschutzvorschriften bei der Rückforderung von europarechtswidrigen Beihilfen keine Anwendung finden, entstünde ein Wettlauf zwischen gewöhnlichen Gläubigern auf der einen und der öffentlichen Hand als besonderem Gläubiger hinsichtlich der Beihilferückforderung auf der anderen Seite. Dies wäre nicht sachgerecht.
Neben den generell anwendbaren Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) wurde der Klaganspruch auf die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Rückgewähr kapitalersetzender Darlehen (§§ 30, 31 GmbHG analog) gestützt. Denn die Beklagte hatte die streitgegenständlichen Beihilfen als Gesellschafterdarlehen gewährt und war daher gehindert, sie in der Krise der Schuldnerin zum Nachteil der übrigen Gläubiger abzuziehen.
Unbeachtlich war es in diesem Zusammenhang, dass die gewährten Darlehen wegen fehlender Notifizierung von Anfang an wegen Verstoßes gegen das europäische Beihilferecht nichtig waren (§ 134 BGB); denn auch die daraus resultierenden Ansprüche der beklagten Gesellschafterin gegen den Beihilfeempfänger können kapitalersetzend verstrickt sein, wenn sie in Kenntnis der Krise nicht geltend gemacht, sondern stehen gelassen werden. Dies war hier der Fall.
Die nur geringfügig an der Insolvenzschuldnerin beteiligte Beklagte konnte sich auch nicht erfolgreich auf die Vorschrift des § 32 a III 2 GmbHG berufen, und zwar bereits schon deshalb, weil dieses sog. Kleingesellschafterprivileg keine Anwendung auf Gesellschafterdarlehen oder gleichgestellte Leistungen findet, die bereits vor dem Inkrafttreten der Regelung am 24.04.1998 verstrickt waren; unmaßgeblich ist hingegen der (spätere) Zeitpunkt der Rückzahlung an den Gesellschafter.
Da die Entscheidung auf Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung beruht, wurde die Revision zugelassen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 01.12.2005
Quelle: Pressemitteilung des Thüringer OLG vom 30.11.2005
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