kostenlose-urteile.de ist ein Service der ra-online GmbH
Dies ist die mobile Version von kostenlose-urteile.de - speziell optimiert für Smartphones.
Klicken Sie hier, wenn Sie lieber die klassische Version für Desktop-PCs und Tablets nutzen wollen.
Nach Auffassung des Sozialgerichts Berlin verstoßen die Leistungen des SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Gericht hat daher dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit des SGB-II-Regelbedarfs zur Prüfung vorgelegt. Zwar seien die Leistungen nicht evident unzureichend. Der Gesetzgeber habe bei der Festlegung des Regelsatzes jedoch seinen Gestaltungsspielraum verletzt. Die Referenzgruppe (untere 15 % der Alleinstehenden), anhand deren Verbrauchs die Bedarfe für Erwachsene ermittelt worden sind, sei fehlerhaft bestimmt worden.
Nach Auffassung des Sozialgerichts Berlin seien die im Anschluss an die statistische Bedarfsermittlung vorgenommenen Kürzungen einzelner Positionen (Ausgaben für Verkehr, alkoholische Getränke, Mahlzeiten in Gaststätten und Kantinen, Schnittblumen usw) ungerechtfertigt. Insbesondere habe der Gesetzgeber dabei den Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unzureichend gewürdigt. Im Ergebnis seien die Leistungen für einen Alleinstehenden um monatlich rund 36 Euro und für eine dreiköpfige Familie (Eltern und 16-jähriger Sohn) um monatlich rund 100 Euro zu niedrig bemessen.
Die Kläger, eine gewerkschaftlich vertretene dreiköpfige Familie aus Neukölln, erhoben am 13. Juli 2011 Klage gegen das Jobcenter Berlin Neukölln wegen der Höhe der ab Januar 2011 bewilligten Leistungen. Für den letzten umstrittenen Zeitraum Januar bis Juli 2012 waren ihnen nach Anrechnung von Einkünften aus Erwerbsminderungsrente, Kindergeld und Erwerbseinkommen Leistungen von insgesamt 439,10 Euro bewilligt worden. Das Jobcenter hatte der Leistungsberechnung den gesetzlichen
Das Sozialgericht Berlin in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richterinnen kam nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu der Überzeugung, dass die Kläger zwar nach den ab 2011 gültigen SGB II-Vorschriften keine höheren Leistungen beanspruchen könnten. Diese Vorschriften seien jedoch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Richter haben das Verfahren daher ausgesetzt und die Frage der Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Regelsatzes dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 einen Gestaltungsspielraum zur Bestimmung des Existenzminimums eingeräumt. Das Gesetzgebungsverfahren müsse jedoch transparent erfolgen und methodisch und sachlich nachvollziehbar sein. Insoweit zulässig habe der Gesetzgeber zur Bemessung des Existenzminimums ein Statistikmodell verwandt, das auf einer Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 (EVS 2008) beruhe.
Bereits die Auswahl der unteren 15 % der Alleinstehenden als Referenzgruppe sei jedoch mit massiven Fehlern behaftet. Sie sei ohne nachvollziehbare Wertung und damit willkürlich erfolgt. Es sei nicht begründet worden, wie aus dem Ausgabeverhalten dieser Gruppe auf eine Bedarfsdeckung der Leistungsberechtigten geschlossen werden könne. Die Referenzgruppe enthalte unter anderem auch Haushalte von Erwerbstätigen mit „aufstockendem“ Bezug von existenzsichernden Leistungen sowie Studenten im BAföG-Bezug und Fälle „versteckter Armut“. Es stelle einen unzulässigen Zirkelschluss dar, deren Ausgaben zur Grundlage der Berechnung existenzsichernder Leistungen zu machen. Darüber hinaus lasse das Ausgabeverhalten Alleinstehender keinen Schluss auf die besondere Bedarfslage von Familien zu. Nicht hinreichend statistisch belegt sei zudem, dass es mit den ermittelten Beträgen noch möglich sei, auf langlebige Gebrauchsgüter (Kühlschrank/Waschmaschine) anzusparen.
Auch der wertende Ausschluss bestimmter Güter und Dienstleistungen aus dem Ausgabekatalog der EVS 2008 sei jedenfalls hinsichtlich der Positionen Verkehr, Mahlzeiten in Restaurants/Cafés und Kantinen, Ausgaben für alkoholische Getränke, Schnittblumen und chemische Reinigung nicht nachvollziehbar begründet. Der Gesetzgeber verkenne insbesondere, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen zu ermöglichen habe. Im Übrigen sei bei einem derart „auf Kante genähten“
Angesichts des Ausmaßes der aufgezeigten Fehler seien die Vorschriften zur Höhe des Regelsatzes (§§ 19, 20, 28 SGB II)
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 25.04.2012
Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/SG-Berlin_S-55-AS-923812_Hartz-IV-verfassungswidrig-Regelsatz-um-36-Euro-zu-niedrig~N13406
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Dokument-Nr. 13406
kostenlose-urteile.de ist ein Service der ra-online GmbH
Die Redaktion von kostenlose-urteile.de gibt sich größte Mühe bei der Zusammenstellung interessanter Urteile und Meldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann kostenlose-urteile nicht die fachkundige Rechtsberatung in einem konkreten Fall ersetzen.
Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.