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Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 02.02.2018
26 U 72/17 -

Bei Missachtung ärztlicher Empfehlungen kann Beweislastumkehr nach grobem Behandlungsfehler entfallen

OLG Hamm zur Beweislastumkehr bei erheblichem Mitverschulden des Patienten

Die mit einem groben ärztlichen Behandlungsfehler verbundene Beweislastumkehr kann entfallen, wenn ein Patient in vorwerfbarer Weise ärztliche Anordnungen oder Empfehlungen missachtet, so eine mögliche Mitursache für den erlittenen Gesundheitsschaden setzt und dazu beiträgt, dass der Verlauf des Behandlungs­geschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm entschieden und änderte damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Arnsberg ab.

Im zugrunde liegenden Fall verlangte die Klägerin aus Lippetal als Alleinerbin ihres im März 2015 im Alter von 45 Jahren verstorbenen Ehemanns vom beklagten Krankenhausträger aus Soest Schadensersatz wegen einer behaupteten fehlerhaften Behandlung ihres Ehemanns vor seinem Tode.

Patient verlässt Krankenhaus gegen ärztlichen Rat und lehnt spätere stationäre Aufnahme erneut ab

Der Hausarzt des Ehemanns wies diesen aufgrund des Verdachts auf eine "instabile Angina pectoris" im Februar 2015 in das Krankenhaus der Beklagten ein. Nach ersten Untersuchungen - es bestand auch in der Klinik der Verdacht einer koronaren Herzerkrankung (Erkrankung der Herzkranzgefäße) - verließ der Ehemann wenige Tage später gegen den ärztlichen Rat das Krankenhaus. Er äußerte seine Unzufriedenheit, dass am Wochenende keine weiteren ärztlichen Untersuchungen durchgeführt worden waren. Etwa zehn Tage später riet ihm der Hausarzt erneut zu einer dringenden Krankenhausbehandlung und wies ihn acht Tage später mit der Diagnose "Angina pectoris" in ein anderes Krankenhaus ein, in dem sich der Ehemann vorstellte und in vier Tagen einen Termin zur kardiologischen Abklärung vereinbarte. Eine unmittelbare stationärer Aufnahme lehnte ab. Noch vor dem vereinbarten Termin verstarb der Ehemann. Der Notarzt stellte als Todesursache "Herzversagen" fest. Eine Obduktion erfolgte nicht.

Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld

Die Klägerin verlangte mit der Begründung, dass ihr Ehemann im Krankenhaus der Beklagten fehlerhaft behandelt worden sei, ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro, ca. 4.550 Euro Beerdigungskosten sowie Unterhalt für sich und die 1997 und 2002 geborenen Kinder der Eheleute in Höhe von monatlichen mindestens 5.000 Euro. Das Klagebegehren ist erfolglos geblieben. Nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm die Klage abgewiesen. Der Klägerin komme, so der Senat, aufgrund des ganz erheblichen Mitverschuldens ihres verstorbenen Ehemanns keine Beweislastumkehr zugute. Deswegen könne sie nicht nachweisen, dass ihr Ehemann infolge festzustellender Behandlungsfehler im Krankenhaus der Beklagten an einer Herzerkrankung verstorben sei.

OLG bejaht grundsätzliches Vorliegen grober Behandlungsfehler

Grundsätzlich habe die Anhörung des medizinischen Sachverständigen mehrere, jedenfalls in ihrer Gesamtheit auch als grob zu bewertende Behandlungsfehler bei der Aufnahme und weiteren Behandlung des Verstorbenen im dem Krankenhaus ergeben. Nach der zugrunde zu legenden Dokumentation des Krankenhauses sei es im Rahmen der Anamnese versäumt worden, bei dem Ehemann, der einen erhöhten Cholesterinwert gehabt habe, das Rauchverhalten und den genauen Zeitpunkt, zu dem der Patient zum zweiten Mal Thorax-Schmerzen verspürt habe, zu erfragen. Dabei sei der Patient fälschlicherweise nicht als Risikopatient eingestuft und die Behandlung nicht darauf ausgerichtet worden. Deswegen sei es neben einer Reihe durchgeführter, gebotener Untersuchungen versäumt worden, einen zusätzlichen Blutwert (Troponinwert) zu bestimmen und ein weiteres EKG zu machen. Hinzu komme die versäumte Gabe eines blutverdünnenden, schmerzlindernden Arzneistoffes (ASS). Dessen Gabe entspreche bei bestehendem Verdacht auf eine akute koronare Herzerkrankung dem medizinischen Standard.

Beweisaufnahme bringt keine Klarheit über tatsächliche Todesursache

Im Rahmen der Beweisaufnahme habe allerdings nicht geklärt werden können, ob der Patient überhaupt an einem Herzinfarkt verstorben sei und ob die festgestellten Behandlungsfehler hierfür mitursächlich gewesen seien.

Klägerin kommt wegen nachweislichem Fehlverhalten des Patiententrotz groben Behandlungsfehlers keine Beweislastumkehr zugute

Der fehlende Nachweis gehe zulasten der Klägerin, der trotz der groben Behandlungsfehler keine Beweislastumkehr zugutekomme. Eine solche scheide nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.11.2004, Az. BGH VI ZR 328/03) aus, wenn ein Patient in vorwerfbarer Weise ärztliche Anordnungen oder Empfehlungen missachte, hierdurch eine mögliche Mitursache für seinen Gesundheitsschaden setze und dazu beitrage, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden könne. Hiervon sei im vorliegenden Fall auszugehen: Der Ehemann der Klägerin habe sich nach dem ersten Krankenhausaufenthalt - entgegen dem Rat seines Hausarztes, der ihn auf die Risiken hingewiesen habe - nicht erneut in stationäre Behandlung begeben, sondern lediglich einen Termin zur kardiologischen Abklärung in einem Krankenhaus vereinbart. Da er bis zur weiteren Untersuchung verstorben sei, habe er in erheblichem Maße durch seine stetige Weigerung, sich entsprechend dem ärztlichen Rat zu verhalten, dazu beigetragen, dass sein Herzleiden nicht weiter abgeklärt und behandelt werden konnte.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.05.2018
Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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