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Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 21.02.2023
4 U 222/22 -

Keine Beweiserleichterung bei Sturz einer Seniorin bei durch Praktikantin begleiteten Spaziergang außerhalb der Tages­pflege­einrichtung

Beweis­erleichterungen des § 630 h Abs. 1 und 4 BGB

Stürzt eine Seniorin bei einem von einer Praktikantin begleiteten Spaziergang außerhalb der Tages­pflege­einrichtung, so greifen die Beweiserleichterung des § 630 h Abs. 1 BGB und § 630 h Abs. 4 BGB nicht. Dies hat das Oberlandesgericht Bamberg entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Januar 2019 stürzte eine in einer Tagespflegeinrichtung in Bayern betreute Seniorin bei einem Spaziergang. Der Spaziergang fand außerhalb der Einrichtung statt und wurde von einer Praktikantin begleitet. Die Seniorin erlitt aufgrund des Sturzes einen Oberschenkelhalsbruch und musste operiert werden. Sie verstarb noch im selben Jahr. Die Tochter der Seniorin klagte anschließend als Alleinerbin gegen die Trägerin der Tagespflegeeinrichtung auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld. Sie behauptete, der Sturz sei aufgrund von Eisglätte erfolgt und die Praktikantin sei unqualifiziert gewesen. Der Trägerin sei ein Pflege- bzw. Organisationsverschulden anzulasten.

Landgericht wies Klage ab

Das Landgericht Bamberg wies die Klage ab, da die Klägerin einen glättebedingten Sturz und ein fehlerhaftes Verhalten der Praktikantin nicht habe nachweisen können. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Klägerin.

Oberlandesgericht verneint ebenfalls Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche

Das Oberlandesgericht Bamberg bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Der Klägerin stehen keine Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche zu. Weder sei das Vorhandensein von Glätte noch ein Fehlverhalten der Praktikantin nachzuweisen gewesen.

Beweiserleichterung zur Vermutung eines Fehlers greift nicht

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts könne sich die Klägerin nicht auf die Beweiserleichterung des § 630 h Abs. 1 BGB berufen, wonach ein Fehler des Behandelnden vermutet wird, wenn sich ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko verwirklicht hat. Ein Sturz bei einem begleiteten Spaziergang im Rahmen der Betreuung in einer Tagespflegeeinrichtung stelle kein voll beherrschbares Behandlungsrisiko dar. Zwar könne die Gefahr eines Sturzes im Rahmen von pflegerischen Maßnahmen ein solches Risiko darstellen. Im vorliegenden Fall liege aber kein voll beherrschbarer Gefahrenbereich vor. Ein Spaziergang generiere keine spezifischen durch den Pflegebetrieb gesetzten Risiken, die durch eine ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können. Der Ablauf eines Spaziergangs sei von Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus geprägt. Die Sturzgefahr könne zwar minimiert, aber nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Beweiserleichterung bei fehlender Befähigung greift nicht

Die Beweiserleichterung bei fehlender Befähigung gemäß § 630 h Abs. 4 BGB greife ebenfalls nicht, so das Oberlandesgericht. Denn diese gelte nur für solche Handlungen, für die eine spezifische Ausbildung erforderlich ist. Für das begleitende Spazierengehen, das offenkundig von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß von Verantwortungsgefühl ausgeübt werden könne, sei dies nicht der Fall.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 26.04.2023
Quelle: Oberlandesgericht Bamberg, ra-online (vt/rb)

Vorinstanz:
  • Landgericht Bamberg, Urteil vom 17.08.2022
    [Aktenzeichen: 23 O 215/20]
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