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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.06.2012
L 1 KR 296/09 KL -

Behandlung von Schizophrenie: Festbetrag für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon gekippt

Beurteilungsfehler des Gemeinsame Bundesausschusses führen zu Wettbewerbsverfälschungen und Verstoß gegen Gleichbehandlungsgebot und Berufsfreiheit

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat die Festbetragsfestsetzungen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon – Medikamente u.a. zur Behandlung der Schizophrenie – aufgehoben. Nach Auffassung des Gerichts leiden die den Festbetragsfestsetzungen zu Grunde liegenden Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses an Beurteilungsfehlern und scheiden daher als rechtmäßige Grundlage der Festbetragsfestsetzungen aus.

Am 18. Juni 2009 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss u. a. die Neubildung einer Festbetragsgruppe "Antipsychotika, andere, Gruppe 1" der Stufe II nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V; "pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen"), bestehend aus den Wirkstoffen Risperidon und Paliperidon. Die Wirkstoffe haben als gemeinsames Anwendungsgebiet die Behandlung der Schizophrenie. Sie gehören zu den atypischen Antipsychotika. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beschloss darauf aufbauend am 26. August 2009 mit Wirkung ab 1. November 2009 für diese Festbetragsgruppe einen Festbetrag von 50,43 Euro.

Umsatzeinbrüche beim Arzneimittel Invega®

Die Klägerin des zugrunde liegenden Falls, die in Deutschland das Arzneimittel Invega® (Wirkstoff Paliperidon) vertreibt, senkte die Preise nicht auf Festbetragsniveau ab. Der von ihr erzielte Umsatz brach ein. Sie erhob Klage vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam. Im Verlauf des Klageverfahrens änderte der Gemeinsame Bundesausschuss den Gruppenbildungsbeschluss zweimal ab. Der Spitzenverband hat mit Beschluss vom 9. Mai 2012 die konkrete Festbetragsfestsetzung mit Wirkung ab 1. Juli 2012 angepasst.

LSG hebt Festbetragsfestsetzungen auf

Das Landessozialgericht gab der Klage statt und hob die Festbetragsfestsetzungen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon auf.

LSG rügt Beurteilungsfehler der zu Grunde liegenden Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses

Zur Begründung führte das Gericht aus, die den Festbetragsfestsetzungen zu Grunde liegenden Beschlüsse des beigeladenen Gemeinsamen Bundesausschuss litten an Beurteilungsfehlern und schieden deshalb als rechtmäßige Grundlage der Festbetragsfestsetzungen aus. Da dadurch der Wettbewerb zwischen den Arzneimittelherstellern verfälscht werde, verletzten die Festbetragsfestsetzungen die Klägerin in ihrem Teilhaberecht aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (Gleichbehandlungsgebot) in Verbindung mit Art. 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit).

Paliperidon nicht mehr nur zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen

Konkret habe der Gemeinsame Bundesausschuss nicht - wie vom Gesetz gefordert - nachvollziehbar dargelegt, dass die Festbetragsgruppenbildung keine notwendigen Therapien einschränke. Er habe nämlich nicht ausreichend beachtet, dass Paliperidon nicht mehr nur zur Behandlung der Schizophrenie, sondern auch zur Behandlung psychotischer oder manischer Symptome bei schizoaffektiven Störungen zugelassen sei. Ferner sei nicht nachvollziehbar, dass der Gemeinsame Bundesausschuss dem Wirkstoff Paliperidon im Vergleich zu Risperidon relevante Vorteile bei der Behandlung von Patienten mit Nierenfunktionsstörungen abgesprochen habe.

Hintergrundinformation:

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist für die Klage erstinstanzlich zuständig aufgrund einer Spezialvorschrift im Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 29 Abs. 4 SGG.

Die Rechtmäßigkeit von Festbeträgen für Arzneimittel hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wiederholt beschäftigt: Ebenfalls der 1. Senat hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2011 den Festbetrag für das Antidepressivum Escitalopram vorläufig ausgesetzt. Mit Urteilen vom 16. Dezember 2009 und 24. Februar 2010 hat der 9. Senat den Festbetrag für den Cholesterinsenker Sortis® für rechtmäßig erklärt, inzwischen vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 1. März 2011 bestätigt.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 26.07.2012
Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg/ra-online

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