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Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 07.01.2004
3-13 O 79/03 -

Ton- und Bildübertragung aus Hauptversammlung zulässig

Die Nichtigkeitsklage gegen die in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beschlossene Gestattung der Ton- und Bildübertragung wurde vom Landgericht Frankfurt am Main abgewiesen.

Der Kläger ist Aktionär der beklagten Aktiengesellschaft. In der Hauptversammlung 2003 wurde eine Änderung der Satzung der Beklagten beschlossen:

Die Hauptversammlung kann auszugsweise oder vollständig in Ton und Bild übertragen werden. Die Entscheidung darüber trifft der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Die Übertragung kann auch in einer Form erfolgen, zu der die Öffentlichkeit uneingeschränkt Zugang hat. Die Form der Übertragung ist mit der Einladung bekannt zu machen.

Der Kläger trug vor, diese Satzungsbestimmung verletzte ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und auch in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die neu in die Satzung aufgenommene Vorschrift sei jedenfalls insoweit rechtswidrig, als sie ihm zumute, sich bei etwaigen Redebeiträgen den Medien stellen zu müssen und damit eine öffentliche Verbreitung seines Redebeitrags unter Zur-Schau- Stellung seiner Person in uneingeschränkt öffentlicher Form hinnehmen zu müssen, sollte sich der Aufsichtsrat bei der Vorbereitung der zukünftigen Hauptversammlungen der Beklagten hierzu entschließen. Er befürchte, sich nicht mehr frei und unbefangen äußern zu können, weil er sich, ohne daß dies im übrigen auch mit dem Sinn und Zweck der Hauptversammlung als privater Veranstaltung der Aktionäre in Einklang zu bringen wäre, öffentlicher Kontrolle durch die Medien ausgesetzt sähe. Es liege auf der Hand, daß dann, wenn derartige Veranstaltungen nicht mehr parteiöffentlich sondern generell öffentlich unter massenmedialer Verbreitung durchgeführt werden, gerade der Einzelne, der sich als Wahrer seiner partikularen Interessen verstehe und auch nach dem Gesetz verstehen solle, plötzlich übermächtiger öffentlicher und auch sozialer Kontrolle ausgesetzt sähe. Dies sei ein Eingriff in die im Rahmen der Eigentumsgarantie verbriefte Position der Miteigentümereigenschaft eines Aktionärs, für den auf diese Weise de facto die Beteiligung an der Erörterung der Angelegenheiten der Gesellschaft erschwert werde. So habe er in der Hauptversammlung einer anderen Aktiengesellschaft dem Vorstand vorgehalten, die Kosten seien zu hoch und eine Personalreduzierung verlangt. Einen solchen Redebeitrag würde er sich vielleicht nicht mehr trauen, wenn das öffentlich würde und er dann als Person „am Pranger“ der öffentlichen oder veröffentlichten Meinung stünde.

Dem konnte das Gericht nicht folgen. Im Urteil wird ausgeführt:

Eine – isolierte – Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsnorm im Aktiengesetz besteht nicht. Die Regelung selbst greift in keinerlei Rechte ein; sie gestattet es vielmehr den Aktionären, die Satzung ihrer Aktiengesellschaft so zu fassen, daß eine unbeschränkte Übertragung der Hauptversammlung in Wort und Bild erfolgen darf. Die darauf gestützte Änderung der Satzung verletzt weder das Eigentumsrecht des Klägers in Form der mitgliedschaftlichen Stellung des Klägers als Aktionär der Beklagten noch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht oder sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das Recht des Aktionärs, Informationen über die Angelegenheiten der Gesellschaft, an der er beteiligt ist, zu erhalten, ist ein wesentlicher Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts. Informationen sind für den Gesellschafter eine unerläßliche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner mitgliedschaftlichen Rechte. Nur ein über die Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichteter Gesellschafter kann die ihm obliegenden Aufgaben im Rahmen des gemeinsamen Gesellschaftszwecks erfüllen. Zugleich korrespondiert das Informationsrecht aber auch mit den vermögensrechtlichen Ansprüchen, die die Gesellschaftsbeteiligung vermittelt. Die Dispositionsfreiheit über den Eigentumsgegenstand, die das Grundrecht schützt, liefe praktisch leer, wenn sich ein Aktionär kein Bild über das Unternehmen, an dem er beteiligt ist, machen könnte. Der Schutz des Eigentums umfaßt mithin auch das Recht eines Aktionärs, Informationen über seine Gesellschaft zu erhalten.

Zum Recht auf den Erhalt von Informationen gehört spiegelbildlich das Recht des Aktionärs, diese Informationen zu erfragen. Damit ist auch das vom Kläger reklamierte Recht, durch Fragen und Anregungen Informationen über seine Gesellschaft zu erhalten grundrechtlich durch die Eigentumsgarantie geschützt. Auch bei der – vom Kläger geschilderten – mittelbaren Beeinträchtigung der Ausübung des Fragerechts durch die denkbare „Prangerwirkung“, die mit der unbeschränkten öffentlichen Bild- und Tonübertragung verbunden sein könnte, ginge vom Aktiengesetz kein direkter Eingriff aus, sondern erst im Zusammenspiel mit der Satzung in der angegriffenen Fassung. Da die Mehrheit der Aktionäre der Beklagten die Satzungsänderung gutgeheißen hat und sich dabei ebenso wie der Kläger auf ihre grundrechtlich geschützte Informationsfreiheit, die sie vielleicht gerade durch die unbeschränkte Bild- und Tonübertragung gesichert sehen, berufen können, müßte der Konflikt nach den Regeln der praktischen Konkordanz sowie den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit aufgelöst werden.

Danach könnte der Kläger den von ihm geschilderten und sicher ernst zu nehmenden Konflikt leichter lösen als die Mehrheit der Aktionäre der Beklagten, die zumindest keine Einwände gegen eine auch unbeschränkte Bild- und Tonübertragung haben. Er könnte sich in jeder Hauptversammlung durch einen anderen vertreten lassen, der bereit und willens ist, die gewünschten Beiträge des Gesellschafters vorzutragen, ohne daß mit derselben Öffentlichkeit der Kläger selbst persönlich bekannt würde. Das ginge sogar so weit, daß der Kläger durch diesen Vertreter Anfechtungsklage erheben könnte, er also auch in Folge des Redebeitrags in der Hauptversammlung keine Offenbarung seiner Person zu befürchten hätte.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ebenfalls nicht verletzt. Das Grundgesetz schützt neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht am gesprochenen Wort. Gewährleistet wird die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen. Der Schutz umfaßt die Möglichkeit, sich in der Kommunikation nach eigener Einschätzung situationsangemessen zu verhalten und sich auf den jeweiligen Kommunikationspartner einzustellen. Zum Grundrecht gehört die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Das Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich also auf die Auswahl der Personen, die Kenntnis vom Gesprächinhalt erhalten sollen. Der Schutz richtet sich gegen das heimliche Aufnehmen und das Verwerten des aufgenommenen Wortes ohne oder gar gegen den Willen des Sprechenden, aber auch dagegen, daß eine dritte Person derart in das Gespräch einbezogen oder es deinem Dritten zugänglich gemacht wird. Verhält sich ein Sprecher aber so, daß seine Worte von unbestimmt vielen Menschen ohne besondere Bemühungen gehört werden können, hat er sich das Zuhören selbst zuzuschreiben. So aber liegt es bei Redebeiträgen auf Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften. Die Zahl der anwesenden Aktionäre speziell bei Publikumsgesellschaften wie der Beklagten ist grundsätzlich unbestimmt. Öffentlichkeit war auch bisher schon immer durch die regelmäßig zugelassenen Presse- und Medienvertreter hergestellt. Hauptversammlungen waren noch nie private Veranstaltungen, wie der Kläger meint. Die Neufassung der Satzung der Beklagten bringt insoweit nur einen quantitativen Unterschied; der vom Kläger gefürchtete „Prangereffekt“ hätte auch bisher schon durch Presseveröffentlichungen eintreten können.

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Quelle: Pressemitteilung des LG Frankfurt/Main vom 29.10.2004

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