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Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 27.06.2007
2 Sa 219/07 -

Zum Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Stellenbewerbers bei Nichteinstellung

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat entschieden, ein schwerbehinderter Bewerber hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Benachteiligung in einem Stellenbesetzungsverfahren im öffentlichen Dienst, weil er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, wenn ein relevanter Grad der Behinderung nicht zum Zeitpunkt der Einreichung der Bewerbung bzw. dem Ablauf der Bewerbungsfrist vorgelegen hat, sondern erst nachträglich rückwirkend festgestellt worden ist.

Der klagende Stellenbewerber hatte bereits bevor er sich auf mehrere ausgeschriebene Stellen einer Hochschule beworben hatte, einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung gestellt, jedoch nur einen Grad der Behinderung von 30 zugesprochen erhalten. Er erhob deshalb gegen den Bescheid Widerspruch und beantragte auch seine Gleichstellung mit einem schwer behinderten Menschen. Er bewarb sich sodann auf verschiedene ausgeschriebene Stellen, ohne zunächst auf seine Schwerbehinderung hinzuweisen. Er teilte der Hochschule allerdings noch während der laufenden Besetzungsverfahren nach Ablauf der Bewerbungsfristen mit, dass ihm zugesichert worden sei, die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten zu erhalten, wenn die Einstellung hiervon abhängig gemacht werde. Der Bewerber wurde zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern erhielt lediglich Absageschreiben der Hochschule. Er klagte daraufhin auf Entschädigung in Höhe von ca. € 15.000,00 wegen Diskriminierung als schwerbehinderter Stellenbewerber im öffentlichen Dienst. Er meinte, insbesondere der Umstand, dass er nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden sei, lasse seine Benachteiligung als schwerbehinderter Mensch vermuten. In der Folgezeit erhielt er einen Grad der Behinderung von 60 anerkannt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage nur in Höhe von ca. € 1.000,00 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung des Arbeitgebers hatte vor dem Hessischen Landesarbeitgericht Erfolg und die Klage wurde in der zweiten Instanz insgesamt abgewiesen.

Auch nach Auffassung des Berufungsgerichts kann ein schwerbehinderter Stellenbewerber wegen Diskriminierung bei der Einstellung eine Entschädigung in angemessener Höhe verlangen. Das Gesetz beschränke den Entschädigungsanspruch auf drei Monatsverdienste, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Allerdings kann der Kläger keine Entschädigung verlangen, denn er erfüllte bei seinen Bewerbungen nicht die Voraussetzungen des besonderen Einstellungsschutzes für schwerbehinderte Menschen bzw. ihnen Gleichgestellte. Voraussetzung für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs sei, dass der Bewerber in den Schutzbereich des SGB IX falle.

Dies verneinte das Berufungsgericht, weil der Kläger weder bei Abgabe seiner Bewerbung noch beim Ablauf der Bewerbungsfrist den Status eines schwerbehinderten Menschen bzw. diesem Gleichgestellten hatte. Zwar hatte er einen Antrag auf Feststellung der Behinderung bereits vor Abgabe seiner Stellenbewerbungen gestellt. Allerdings lag zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Bewerbungen und anlässlich des zeitgleichen Ablaufs der Bewerbungsfristen für die Stellen noch kein festgestellter Grad der Behinderung von mindestens 50 oder die Feststellung einer Gleichstellung vor. Die Gleichstellung selbst sei auch nicht im laufenden Bewerbungsverfahren erfolgt, wie dem Schreiben der Agentur für Arbeit zu entnehmen sei.

Zwar sei der Bewerber aufgrund der rückwirkenden Feststellung eines Grades der Behinderung von mehr als 50 im Zeitraum der streitgegenständlichen Stellenbesetzungsverfahren als schwerbehinderter Mensch anzusehen. Im Hinblick auf die besonderen Anforderungen der Stellenbesetzungsverfahren sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Arbeitgebern könnten die rechtlichen Wirkungen der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch allerdings im Rahmen der Pflichten des Arbeitgebers bei Einstellungen nicht ohne weiteres, dh. nicht im Falle der objektiven Eigenschaft eines schwerbehinderten Menschen eintreten. Der schwerbehinderte oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Bewerber genieße im Interesse der besonderen Förderungs- und Schutzwürdigkeit dieser Personen bei der Stellenbesetzung gegenüber dem nicht behinderten Bewerber besondere Rechte als deren Ausfluss dem Arbeitgeber bestimmte Pflichten auferlegt worden seien. Deshalb sei es erforderlich, auch für den Arbeitgeber insoweit eine Rechtsklarheit herbeizuführen, dass er bei der Durchführung der Stellenbesetzungsverfahren weiß oder zumindest erkennen kann, welche Pflichten ihn in Bezug auf in den Schutzbereich des SGB IX fallender Bewerber und Bewerberinnen treffen. Dies setze voraus, dass zumindest im Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfristen für einen Stellenbewerber bzw. für eine Stellenbewerberin, die für sich die Rechte des SGB IX in Anspruch nehmen möchten, die notwendigen Feststellungen getroffen worden sind. Stelle ein Bewerber erst im noch laufenden Besetzungsverfahren nach Einreichung seiner Bewerbung und nach Ablauf der Bewerbungsfrist einen Antrag Feststellung einer Schwerbehinderung oder einen Antrag auf Gleichstellung bzw. werden zuvor gestellte Anträge erst nach Ablauf der Besetzungsverfahren für den Antragsteller positiv beschieden, sei der Arbeitgeber nicht mehr gehalten, dass Besetzungsverfahren im Hinblick auf die sich aus §§ 81 f. SGB IX ergebenden Pflichten neu auszurichten.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 01.10.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15/07 des LAG Hessen vom 01.10.2007

Vorinstanz:
  • Arbeitsgericht Darmstadt, Urteil vom 29.11.2006
    [Aktenzeichen: 8 Ca 411/05]
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