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Ein Grundstückseigentümer muss die Jagd auf seinem Land nicht dulden, wenn er sie aus ethischen Gründen ablehnt. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und stellte eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fest. Darüber hinaus befand das Gericht, dass diese Verpflichtung Grundstücksbesitzern in Deutschland, die die Jagd ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung auferlegt. Der Gerichtshof folgte damit seinen Schlussfolgerungen in zwei früheren Urteilen, die das Jagdrecht in Frankreich und Luxemburg betrafen.
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Streitfalls, Günter Herrmann, ist deutscher Staatsangehöriger, 1955 geboren und lebt in Stutensee (Baden-Württemberg). Als
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde Günter Herrmanns zur Entscheidung anzunehmen. Es unterstrich insbesondere, dass das Bundesjagdgesetz auf die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildtierbestandes abziele. Die verpflichtende Mitgliedschaft in der
Günter Herrmann rügte, dass die Verpflichtung, die Jagd auf seinem
Die Beschwerde wurde am 12. Februar 2007 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. In seinem Kammerurteil vom 20. Januar 2011 erklärte der Gerichtshof mit einer Mehrheit der Stimmen die Beschwerde nach Artikel 11 für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14 für unzulässig und stellte keinen Verstoß gegen Artikel 1 Protokoll Nr. 1, Artikel 14 oder Artikel 9 fest. Am 20. Juni 2011 wurde der Fall auf Antrag Günter Herrmanns an die Große Kammer verwiesen; eine mündliche Verhandlung fand am 30. November 2011 statt.
Die folgenden Organisationen gaben als Drittparteien schriftliche Stellungnahmen ab: Deutscher Jagdschutz Verband (DJV) Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (BAGJE) European Centre for Law and Justice (ECLJ)
Der Gerichtshof unterstrich, dass sich die Große Kammer nicht mit dem bereits von der Kammer für unzulässig erklärten Teil der Beschwerde, nach Artikel 11 für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14, befassen konnte. Weiterhin konnte er sich nicht mit einer Beschwerde Günter Herrmanns nach Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) befassen, die dieser im Verfahren vor der Kammer nicht vorgebracht hatte.
Zwischen den Parteien war unumstritten - und der Gerichtshof teilte diese Auffassung - dass die Verpflichtung, die Jagd auf seinem
Der Gerichtshof bezog sich auf zwei andere Fälle, in denen er untersucht hatte, inwieweit die Verpflichtung von Grundstückseigentümern, die Jagd auf ihrem Land zu dulden, mit der Konvention vereinbar ist. In seinem Urteil der Großen Kammer im Fall Chassagnou und andere gegen Frankreich war er zu der Auffassung gelangt, dass Eigentümern kleinerer Landstücke eine unverhältnismäßige Belastung durch die Verpflichtung auferlegt wird, Dritten Jagdrechte auf ihrem Land zu übertragen, so dass diese davon in einer Weise Gebrauch machen können, die den Überzeugungen der
Folglich hatte der Gerichtshof zu prüfen, ob sich - wie die deutsche Bundesregierung argumentiert hatte - das deutsche Jagdrecht und seine Anwendung im Fall Günter Herrmanns maßgeblich von der Sach- und Rechtslage in Frankreich und Luxemburg zur Zeit der beiden früheren Urteile unterschied.
Der Gerichtshof stellte fest, dass zu den Zwecken des Bundesjagdgesetzes die Hege mit dem Ziel der Erhaltung eines artenreichen und gesunden Wildtierbestandes gehört. In dieser Hinsicht unterschied sich das deutsche Recht nicht wesentlich von der entsprechenden Gesetzgebung in Frankreich und Luxemburg, die vergleichbare Ziele verfolgte, nämlich die „rationale Organisation der Jagd im Einklang mit der Achtung der Umwelt“ bzw. das „rationale Management des Wildbestandes und der Erhalt des ökologischen Gleichgewichts“.
Die Bundesregierung hatte hervorgehoben, dass das deutsche Jagdrecht bundesweit gilt, während die maßgebliche französische Gesetzgebung nur in einigen Départments Anwendung fand. Der Gerichtshof nahm aber zur Kenntnis, dass eine Grundgesetzänderung von 2006 den deutschen Ländern die Möglichkeit gegeben hatte – von der sie bisher noch nicht Gebrauch gemacht haben - im Jagdwesen von der Gesetzgebung des Bundes abweichende Regelungen zu treffen. Zudem hatte die landesweite Anwendbarkeit des luxemburgischen Jagdrechts den Gerichtshof nicht davon abgehalten, im Fall Schneider einen Verstoß gegen die Konvention festzustellen. Im Übrigen sieht die Gesetzgebung in allen drei Ländern bestimmte räumliche und personenbezogene Ausnahmen vor. So sind Natur- und Wildschutzgebiete in Frankreich und Deutschland von Jagdbezirken ausgeschlossen. In Frankreich und Luxemburg sind staatlicher Grundbesitz bzw. Land im Eigentum des Großherzogs von Jagdbezirken ausgeschlossen, während es in Deutschland unterschiedliche Regelungen je nach Größe des Grundeigentums gibt. Der Gerichtshof befand, dass diese Unterschiede im Anwendungsbereich der jeweiligen Gesetzgebung in den drei Ländern nicht als entscheidend gelten können.
Während das französische Recht Grundeigentümern, die die Jagd ablehnten, keinerlei finanzielle Entschädigung für die Verpflichtung, diese auf ihrem Land zuzulassen, zubilligte, sah bzw. sieht das luxemburgische und deutsche Recht vor, dass Mitglieder der Jagdgenossenschaften einen Anteil des Ertrags aus der Verpachtung erhalten. In Deutschland muss der Anspruch auf eine solche Auszahlung ausdrücklich geltend gemacht werden. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Verpflichtung eines Jagdgegners, für die von ihm abgelehnte Tätigkeit eine Entschädigung geltend zu machen, nicht mit der Achtung für die Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen in Einklang zu bringen war. Es war zweifelhaft, ob tiefe persönliche Überzeugungen durch eine Entschädigungszahlung aufzuwiegen waren. Im Übrigen berücksichtigt das Bundesjagdgesetz nicht ausdrücklich die ethische Überzeugung von Grundeigentümern, die die Jagd aus Gewissensgründen ablehnen.
Der Gerichtshof gelangte zu der Auffassung, dass sich die Situation in Deutschland nicht substantiell von derjenigen unterschied, die er in den Fällen Chassagnou und Schneider geprüft hatte. Er sah daher keinen Grund, von seinen Schlussfolgerungen in diesen Fällen abzuweichen, dass die Verpflichtung, die Jagd auf ihrem Land zu dulden, obwohl sie diese aus Gewissensgründen ablehnen, Grundstückseigentümern eine unverhältnismäßige Belastung auferlegt. Folglich lag eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 vor.
In Anbetracht seiner Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Beschwerde nach Artikel 1 Protokoll Nr. 1 sah der Gerichtshof keine Notwendigkeit, die Beschwerden Günter Herrmanns nach Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 Protokoll Nr. 1 oder nach Artikel 9 separat zu prüfen.
Der Gerichtshof entschied, dass Deutschland Günter Herrmann 5.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 3.861,91 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.
Richter Pinto de Albuquerque äußerte eine teilweise zustimmende und teilweise abweichende Meinung. Die Richter Davíd Thór Björgvinsson, Vuèiniæ und Nußberger äußerten eine gemeinsame abweichende Meinung.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.06.2012
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online
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