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Haftet ein Internet-Nachrichtenportal für beleidigende Äußerungen seiner Leser in der Kommentarfunktion eines Artikels und muss Schadenersatz leisten, so liegt darin nicht zwangsläufig ein rechtswidriger Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein estnisches Online-Nachrichtenprotal veröffentlichte im Januar 2006 einen Artikel über ein Fährunternehmen. Der Artikel beschäftigte sich damit, dass das Unternehmen plante einige Fährrouten zu einigen Inseln zu ändern. Demgegenüber habe jedoch die kostengünstigere Variante von sogenannten Eisstraßen gestanden. Der Artikel wurde in der Kommentarfunktion der Internetseite kontrovers diskutiert. Unter den Kommentaren befanden sich auch beleidigende und drohende Äußerungen gegenüber dem Fährunternehmen und dessen Eigentümer. Der Firmeninhaber erhob daraufhin Klage gegen das Nachrichtenportal.
Die estnischen Gerichte hielten die Äußerungen für verleumderisch und machten zudem das Nachrichtenportal für die Kommentare verantwortlich. Sie sprachen dem Firmeninhaber daher ein Schadenersatz in Höhe von 5.000 estnischen Kronen (etwa 320 €) zu. Das Nachrichtenportal war damit hingegen nicht einverstanden. Es hielt sich für einen passiven und neutralen Bereitsteller von Dienstleistungen und könne daher nicht für Äußerungen anderer haftbar gemacht werden. Es sah außerdem eine Verletzung des nach Art. 10 EMRK bestehenden Rechts der freien Meinungsäußerung und klagte vor dem EGMR.
Der EGMR sah in den Entscheidungen der estnischen Gerichte keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Denn ein Eingriff in dieses Recht sei gerechtfertigt, wenn er nach den Umständen des Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dies sei hier der Fall gewesen.
Unter Zugrundelegung folgender Punkte habe der EGMR den Eingriff als verhältnismäßig angesehen. Zum einen sei zu Lasten des Nachrichtenportals zu berücksichtigen gewesen, dass die Kommentare beleidigend, drohend und verleumderisch waren. Zum anderen habe das Portal nichts unternommen, um die Veröffentlichung der Kommentare zu verhindern. Des Weiteren sei der von den estnischen Gerichten zugesprochene Schadenersatz nicht sehr hoch gewesen.
Der EGMR verkannte zwar nicht, dass der Fährbetreiber zunächst die Kommentatoren habe zu Rechenschaft ziehen müssen. Die Feststellung deren Identität sei jedoch angesichts der anonymen Äußerungen so gut wie unmöglich gewesen. Darüber hinaus sei zu beachten gewesen, dass das Nachrichtenportal durch die Kommentierung Werbeeinnahmen erhält und daher von den Äußerungen profitierte.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 30.10.2013
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, ra-online (pm/rb)
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