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Die Erteilung eines "Schengen-Visums" darf nur aus den ausdrücklich im Visakodex der EU vorgesehenen Gründen abgelehnt werden. Die nationalen Behörden verfügen jedoch über einen weiten Beurteilungsspielraum bei ihrer Feststellung, ob einer dieser Ablehnungsgründe für den Antragsteller gilt. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.
Der Visakodex der EU* legt die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von „Schengen-Visa“ fest. Dabei handelt es sich um ein einheitliches Visum für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Gerichtshof um Klärung verschiedener Fragen ersucht, die die Voraussetzungen für die Verweigerung eines solchen Visums betreffen. Das Verwaltungsgericht hat über eine Klage zu entscheiden, die Herr Koushkaki, ein iranischer Staatsangehöriger, gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben hat. Die Deutsche Botschaft in Teheran hatte es abgelehnt, ihm ein „Schengen-Visum“ zu Besuchszwecken in Deutschland zu erteilen. Die Botschaft hatte dies damit begründet, dass erhebliche Zweifel an der Bereitschaft von Herrn Koushkaki bestünden, vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des beantragten Visums in den Iran zurückzukehren.
Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof klar, dass die Behörden eines Mitgliedstaats einem Antragsteller nur dann ein „Schengen-Visum“ verweigern dürfen, wenn ihm einer der im Visakodex aufgezählten Verweigerungsgründe entgegengehalten werden kann. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass Entscheidungen, mit denen ein einheitliches Visum verweigert wird, im Rahmen von Art. 32 des Visakodex getroffen werden müssen. Dieser stellt eine Liste genauer Gründe für die Verweigerung von Visa auf und sieht vor, dass die Entscheidung, mit der ein Visum verweigert wird, unter Verwendung eines Standardformulars begründet werden muss, das in Anhang VI des Visakodex wiedergegeben ist.
Der Gerichtshof führt weiter aus, dass das mit dem Visakodex geschaffene System eine Angleichung der Voraussetzungen für die Erteilung einheitlicher Visa voraussetzt, die im Hinblick auf die Gründe für die Verweigerung solcher Visa Abweichungen zwischen den Mitgliedstaaten ausschließt. Zudem würde die Erleichterung legaler Reisen gefährdet, wenn ein Mitgliedstaat willkürlich entscheiden dürfte, einem Antragsteller, der alle im Visakodex festgelegten Voraussetzungen für die Erteilung des Visums erfüllt, ein Visum zu verweigern, indem er den in diesem Kodex aufgezählten Verweigerungsgründen einen Grund hinzufügt, obwohl der Unionsgesetzgeber nicht der Ansicht war, dass Drittstaatsangehörigen aus diesem Grund ein einheitliches Visum verwehrt werden dürfe. Die Einführung einer solchen Praxis durch einen Mitgliedstaat gäbe darüber hinaus den Visumantragstellern einen Anreiz, sich vorrangig an andere Mitgliedstaaten zu wenden, um ein einheitliches Visum zu erhalten. Mit dem Visakodex soll ein solches „Visa-Shopping“ aber gerade vermieden werden. Auch das Ziel, eine Ungleichbehandlung der Visumantragsteller zu vermeiden, könnte nicht erreicht werden, wenn die Kriterien für die Erteilung eines einheitlichen Visums je nachdem, in welchem Mitgliedstaat der Visumantrag gestellt wird, variieren könnten.
Die nationalen Behörden verfügen allerdings bei der Prüfung eines Visumantrags über einen weiten Beurteilungsspielraum, der sich sowohl auf die Anwendungsvoraussetzungen der Verweigerungsgründe als auch auf die Würdigung der Tatsachen bezieht, die für die Feststellung maßgeblich sind, ob dem Antragsteller einer dieser Gründe entgegengehalten werden kann.
Eine solche Beurteilung ist mit komplexen Bewertungen verbunden, die sich u. a. auf die Persönlichkeit des Antragstellers, seine Integration in dem Land, in dem er lebt, die politische, soziale und wirtschaftliche Lage dieses Landes sowie die mit der
Der Visakodex sieht u. a. vor, dass das Visum verweigert wird, wenn begründete Zweifel an der Absicht des Antragstellers bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen. Der Gerichtshof betont in diesem Zusammenhang, dass von den zuständigen Behörden nicht verlangt wird, im Hinblick auf die Feststellung, ob sie ein Visum erteilen müssen, Gewissheit zu erlangen, ob der Antragsteller beabsichtigt, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen oder nicht. Sie haben vielmehr festzustellen, ob begründete Zweifel an dieser Absicht bestehen. Die zuständigen Behörden müssen eine individuelle Prüfung des Antrags vornehmen, die zum einen die allgemeinen Verhältnisse im Wohnsitzstaat des Antragstellers und zum anderen die persönlichen Umstände des Antragstellers, insbesondere seine familiäre, soziale und wirtschaftliche Situation, etwaige frühere rechtmäßige oder rechtswidrige Aufenthalte in einem Mitgliedstaat sowie seine Bindungen im Wohnsitzstaat und in den Mitgliedstaaten, berücksichtigt. Zu beurteilen ist insbesondere das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung. Wenn es erwiesen ist, sind die zuständigen Behörden verpflichtet, unter Berufung auf begründete Zweifel an der Absicht des Antragstellers, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen, das Visum zu verweigern.
Schließlich äußert sich der Gerichtshof zu der deutschen Regelung, wonach die zuständigen Behörden, wenn die im Visakodex vorgesehenen Voraussetzungen für die Erteilung eines einheitlichen Visums erfüllt sind, befugt sind, dem Antragsteller ein solches Visum zu erteilen, ohne ausdrücklich dazu verpflichtet zu sein**. Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass der Visakodex einer solchen Regelung nicht entgegensteht, sofern sie dahin ausgelegt werden kann, dass die zuständigen Behörden einem Antragsteller nur dann ein einheitliches Visum verweigern dürfen, wenn ihm einer der im Visakodex vorgesehenen Verweigerungsgründe entgegengehalten werden kann.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 20.12.2013
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online
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Dokument-Nr. 17411
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