Im Jahr 2010 erließ Deutschland das Kernbrennstoffsteuergesetz*. Dieses Gesetz führt für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2016 eine Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoff für die gewerbliche Stromerzeugung ein. Diese Steuer beläuft sich auf 145 Euro für ein Gramm Plutonium 239, Plutonium 241, Uran 233 oder Uran 235 und wird von den Bestreibern der Kernkraftwerke geschuldet. Sie soll Steuereinnahmen erzeugen, die u. a. im Zusammenhang mit einer Haushaltskonsolidierung in Anwendung des Verursacherprinzips zur Reduzierung der Last beitragen sollen, die die notwendige Sanierung der Schachtanlage Asse II, in der aus der Verwendung von Kernbrennstoff stammende radioaktive Abfälle gelagert werden, für den Bundeshaushalt darstellt.
Die Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH, die das Kernkraftwerk Emsland in Lingen (Deutschland) betreibt, ficht diese Steuer beim Finanzgericht Hamburg (Deutschland) an. Sie hat im Juni 2011 Brennelemente im Kernreaktor ihres Kraftwerks verwendet und schuldet hierfür eine Steuer in Höhe von mehr als 154 Mio. Euro. Die Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH ist der Ansicht, dass die deutsche Kernbrennstoffsteuer nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Das Finanzgericht hat beschlossen, den Gerichtshof zur Vereinbarkeit dieser Steuer mit dem Unionsrecht zu befragen.
Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer Steuer wie der deutschen Kernbrennstoffsteuer nicht entgegensteht.
Der Gerichtshof weist zunächst das Argument zurück, wonach Kernbrennstoff gemäß der Richtlinie über die Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom** (eine Richtlinie, die eine verpflichtende Steuerbefreiung u. a. der Energieerzeugnisse vorsieht, die der harmonisierten Verbrauchsteuer unterliegen und für die Stromerzeugung verwendet werden) von der Steuer zu befreien sei. Da nämlich dieser Brennstoff nicht in der in dieser Richtlinie aufgestellten abschließenden Liste der Energieerzeugnisse enthalten ist, kann Kernbrennstoff nicht unter die für einige dieser Erzeugnisse vorgesehene Steuerbefreiung fallen. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann die fragliche Steuerbefreiung auch nicht analog angewandt werden. Insoweit weist der Gerichtshof die Argumentation zurück, dass nicht gleichzeitig eine Steuer auf den Verbrauch elektrischer Energie und eine Steuer auf den zu ihrer Erzeugung eingesetzten Energieträger, der kein Energieerzeugnis im Sinne dieser Richtlinie ist, erhoben werden kann.
Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie über das allgemeine Verbrauchsteuersystem*** der Kernbrennstoffsteuer, die auf die Verwendung dieses Brennstoffs zur gewerblichen Stromerzeugung erhoben wird, auch nicht entgegensteht. Da sie nämlich weder den Verbrauch elektrischen Stroms**** noch den eines anderen verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisses (unmittelbar oder mittelbar) trifft, stellt diese Steuer weder eine Verbrauchsteuer auf elektrischen Strom noch eine „andere indirekte Steuer“ auf dieses Erzeugnis im Sinne der Richtlinie dar. In diesem Zusammenhang bemerkt der Gerichtshof insbesondere, dass nicht ersichtlich ist, dass ein unmittelbarer und untrennbarer Zusammenhang zwischen der Verwendung von Kernbrennstoff und dem Verbrauch des vom Reaktor eines Kernkraftwerks erzeugten elektrischen Stroms besteht. Es trifft auch nicht zu, dass die fragliche Steuer direkt oder indirekt anhand der Menge an elektrischem Strom zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr berechnet wird.
Außerdem stellt die deutsche Kernbrennstoffsteuer keine vom Unionsrecht verbotene staatliche Beihilfe dar. Es handelt sich nämlich nicht um eine selektive Maßnahme. Die Arten der Stromerzeugung, die keinen Kernbrennstoff verwenden, sind nicht von der durch das Kernbrennstoffsteuergesetz eingeführten Regelung betroffen. Jedenfalls befinden sie sich nicht in einer tatsächlichen und rechtlichen Situation, die mit der Stromerzeugung vergleichbar ist, bei der Kernbrennstoff verwendet wird, da nur bei dieser radioaktive Abfälle anfallen, die aus einer solchen Verwendung stammen.
Der Gerichtshof ist sodann der Auffassung, dass der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft ("Euratom- oder EAG-Vertrag"), unter den der Kernbrennstoff fällt, der fraglichen Steuer auch nicht entgegensteht. Sie ist keine Abgabe zollgleicher Wirkung. Sie wird nämlich nicht erhoben, weil der Kernbrennstoff eine Grenze überquert, sondern weil dieser zur gewerblichen Stromerzeugung verwendet wird, ohne dass nach der Herkunft dieses Brennstoffs unterschieden wird. Zudem stellt der Gerichtshof fest, dass die Verwirklichung der Ziele des Euratom-Vertrags von den Mitgliedstaaten nicht verlangt, den Umfang ihrer Nutzung von Kernbrennstoff beizubehalten oder zu steigern, und ihnen nicht verbietet, diese Nutzung zu besteuern, was die Wirkung hätte, diese kostspieliger und damit weniger attraktiv zu machen. Da die deutsche Steuer nicht den Erwerb von Kernbrennstoff, sondern dessen Verwendung trifft, gefährdet sie zudem nicht die Erfüllung der Pflicht der EAG, für die regelmäßige und gerechte Versorgung aller Benutzer dieser Gemeinschaft mit Erzen und Kernbrennstoffen Sorge zu tragen.
Der Gerichtshof untersucht auch eine Frage bezüglich der Befassung des Gerichtshofs mit einem Vorabentscheidungsersuchen; diese Frage wurde vom Finanzgericht im Zusammenhang mit dem vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren betreffend die Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem Grundgesetz gestellt. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist ein nationales Gericht, das Zweifel an der Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift sowohl mit dem Recht der Europäischen Union als auch mit der Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats hat, auch dann, wenn ein Zwischenverfahren zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift bei dem nationalen Gericht anhängig ist, das mit der Durchführung dieser Kontrolle betraut ist, befugt bzw. gegebenenfalls verpflichtet, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts vorzulegen.