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Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren gegen die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, den Fiskalpakt sowie die nationalen Zustimmungs- und Begleitgesetze, das Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV, das TARGET2-System und das so genannte Sixpack sind teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht. Trotz der eingegangenen Verpflichtungen bleibt die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages hinreichend gewahrt. Es ist jedoch haushaltsrechtlich sicherzustellen, dass etwaige Kapitalabrufe nach dem ESM-Vertrag im Rahmen der vereinbarten Obergrenzen fristgerecht und vollständig erfüllt werden können und somit eine Aussetzung von Stimmrechten Deutschlands in den ESM-Gremien zuverlässig ausgeschlossen bleibt.
Das Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen deutsche und europäische Rechtsakte im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dem Abschluss des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt), gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank sowie gegen Unterlassungen des Bundesgesetzgebers und der Bundesregierung im genannten Zusammenhang.
Mit Urteil vom 12. September 2012 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Maßgaben abgelehnt, eine einstweilige Anordnung gegen die Ratifizierung des ESM-Vertrages sowie des Fiskalpaktes und die Ausfertigung der innerstaatlichen Zustimmungs- und Begleitgesetze zu erlassen. Den Maßgaben zufolge war sicherzustellen, dass sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESM-Vertrag auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM in Höhe von 190,0248 Milliarden Euro beschränkt bleiben und die Regelungen über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM und die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nicht entgegenstehen.
Die ESM-Mitglieder verständigten sich auf eine gemeinsame Auslegungserklärung, die sie am 27. September 2012 abgaben. Zugleich hat die Bundesrepublik Deutschland eine ähnlich lautende einseitige Erklärung abgegeben.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren für teilweise unzulässig. Soweit die Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG die formelle Verfassungswidrigkeit des ESM-Finanzierungsgesetzes, die funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Plenum des Bundestages, seinen Ausschüssen und Untergliederungen sowie das fehlende Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit für besonders bedeutsame Maßnahmen rügen, sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig. Diese Fragen rechnen - abgesehen von den Fällen einer Ultra-vires-Konstellation - nicht zum materiellen Gehalt des Wahlrechts, der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt wird.
Unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden ferner, soweit sich Beschwerdeführer gegen die Einrichtung sowie Durchführung des TARGET2-Systems wenden und verschiedene Unterlassungen deutscher Verfassungsorgane in Bezug hierauf beanstanden. Die Beschwerdeführer haben nicht aufgezeigt, wie hiervon eine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages und damit ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ausgehen könnte.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Anwendung bestimmter sekundärrechtlicher Rechtsakte der Europäischen Union (sog. Sixpack) und des Euro-Plus-Paktes in Deutschland wenden, sind sie ebenfalls unzulässig. Ihr diesbezügliches Vorbringen genügt weder zur Darlegung einer Entleerung des Wahlrechts durch Verlust unverzichtbarer Entscheidungsbefugnisse des Bundestages noch zur Darlegung eines etwaigen Anspruchs auf Feststellung eines Ultra-vires-Handelns der Europäischen Union. Inwiefern der Euro-Plus-Pakt, der selbst Sanktionen nicht vorsieht, dem
Der Antrag im Organstreitverfahren ist nur zulässig, soweit die Antragstellerin geltend macht, durch die angegriffenen Gesetze entäußere sich der
Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren sind, soweit zulässig, unbegründet. Der Gesetzgeber ist jedoch mit Blick auf die Zustimmung zu Artikel 4 Absatz 8 des ESM-Vertrages verpflichtet, haushaltsrechtlich durchgehend sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland Kapitalabrufen nach dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus fristgerecht und vollständig nachkommen kann.
Das durch Art. 38 Abs. 1 GG geschützte Wahlrecht gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die politische Selbstbestimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt. Sein Gewährleistungsgehalt umfasst die Grundsätze des Demokratiegebots im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers schützt. Vor diesem Hintergrund muss der Gesetzgeber ausreichende Vorkehrungen treffen, um seine Integrationsverantwortung dauerhaft erfüllen zu können. Er darf sich namentlich seines Budgetrechts nicht begeben, auch nicht in einem System intergouvernementalen Regierens. Für die Einhaltung des Demokratiegebots kommt es entscheidend darauf an, dass der
Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik ist nicht von vornherein demokratiewidrig. Sie kann grundsätzlich auch durch die Übertragung wesentlicher haushaltspolitischer Entscheidungen auf Organe einer supra- oder internationalen Organisation oder die Übernahme entsprechender völkerrechtlicher Verpflichtungen erfolgen. Zu entscheiden, ob und in welchem Umfang dies sinnvoll ist, obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch sicherzustellen, dass der demokratische Prozess offen bleibt, aufgrund anderer Mehrheitsentscheidungen rechtliche Umwertungen erfolgen können und eine irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen vermieden wird. Ob und inwieweit sich unmittelbar aus dem Demokratieprinzip darüber hinaus eine justiziable Begrenzung der Übernahme von Zahlungsverpflichtungen oder Haftungszusagen herleiten lässt, musste der Senat bislang nicht entscheiden. Eine unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgende Obergrenze könnte allenfalls überschritten sein, wenn sich die Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen im Eintrittsfall so auswirkten, dass die Haushaltsautonomie jedenfalls für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe. Dies kommt nur bei einer evidenten Überschreitung äußerster Grenzen in Betracht.
Nach diesen Maßstäben haben die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren keinen Erfolg.
Das Zustimmungsgesetz zur Änderung des Artikels 136 AEUV verletzt die Beschwerdeführer und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Insbesondere führt Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht zum Verlust der Haushaltsautonomie des Bundestages, sondern ermöglicht den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes lediglich, einen Stabilitätsmechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen auf völkervertraglicher Grundlage zu installieren und bestätigt insofern die fortdauernde Herrschaft der Mitgliedstaaten über die Verträge. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Währungsunion um die Möglichkeit aktiver Stabilisierungsmaßnahmen zu ergänzen, sowie die damit verbundene Prognose, mit solchen Maßnahmen die Stabilität der Währungsunion gewährleisten und fortentwickeln zu können, hat das Bundesverfassungsgericht angesichts des Einschätzungsspielraums der zuständigen Verfassungsorgane grundsätzlich auch insoweit zu respektieren, als Risiken für die Preisstabilität aufgrund dieser Entscheidung nicht auszuschließen sind.
Auch das Zustimmungsgesetz zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung.
Die Bestimmungen des ESM-Vertrages sind mit der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages vereinbar. Aus der absoluten Höhe der hiermit eingegangenen Zahlungspflichten von derzeit 190,0248 Milliarden Euro lässt sich keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages ableiten. Die diesbezügliche Einschätzung des Gesetzgebers ist jedenfalls nicht evident fehlerhaft und daher vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen.
Soweit nach dem Vertragswortlaut eine der Höhe nach unbegrenzte Zahlungspflicht zumindest denkbar erscheint, wird die Gefahr einer solchen Auslegung jedenfalls durch die gemeinsame Erklärung der ESM-Mitglieder vom 27. September 2012 sowie die einseitige Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom selben Tage in völkerrechtlich verbindlicher Weise ausgeschlossen.
Für Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages betreffen, ist jedenfalls derzeit gesichert, dass sie nicht gegen die Stimmen der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ergehen können, der Legitimationszusammenhang zwischen dem Parlament und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus also nicht unterbrochen wird. Käme es zur Aussetzung der Stimmrechte der Bundesrepublik Deutschland während einer Zahlungssäumigkeit (Art. 4 Abs. 8 ESMV), liefe die innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Bundestages an den Entscheidungen der ESM-Organe während dieser Zeit leer. Betroffen wären unter Umständen auch Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühren und daher grundsätzlich seiner Mitwirkung bedürfen. Um eine Aussetzung der Stimmrechte zu vermeiden, hat der
Der
Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet die bisherige Prognose des Haushaltsgesetzgebers, dass sich die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auf das anfänglich eingezahlte Stammkapital beschränken werden. Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV, die die Unverletzlichkeit sämtlicher amtlicher Unterlagen des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie Schweigepflicht und Immunität seiner Organmitglieder und Mitarbeiter regeln, verstoßen im Ergebnis nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und den - allein im Rahmen des Organstreitverfahrens rügefähigen - Anspruch des Bundestages auf frühestmögliche und umfassende Unterrichtung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die genannten Vorschriften sind so auszulegen, dass sie einer hinreichenden parlamentarischen Kontrolle des ESM durch den
Im Hinblick auf die nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV vorgesehene Möglichkeit, Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem vom Nennwert abweichenden Kurs auszugeben, ist die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages jedenfalls dadurch abgesichert, dass ein entsprechender Beschluss nicht gegen die Stimme des deutschen Vertreters im zuständigen ESM-Organ gefasst werden kann. Auch aus der abstrakten Möglichkeit, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus finanzielle Verluste generieren könnte, ergibt sich keine Gefährdung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages. Dass der Gesetzgeber seinen diesbezüglichen Einschätzungsspielraum mit der Zustimmung zum ESM-Vertrag überschritten haben könnte, ist nicht ersichtlich.
Eine Erweiterung der bestehenden Zahlungspflichten Deutschlands im Wege der Kapitalerhöhung ist zwar möglich, bedürfte aber der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Vornahme einer solchen Kapitalerhöhung besteht nicht.
Schließlich begründet der ESM-Vertrag auch keine unauflösbare Bindung Deutschlands. Im Ergebnis mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar sind auch die Vorschriften über die Einbindung des Bundestages in die Entscheidungsprozesse des ESM. Die Mitwirkungsrechte des Bundestages erweisen sich - jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung im Hinblick auf das innerstaatliche Verfahren vor Beschlüssen nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV - als ausreichend. Die Informationsrechte des Bundestages genügen den Anforderungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Auch unter dem Gesichtspunkt der von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG geforderten demokratischen Legitimation der Tätigkeit des ESM bestehen keine Bedenken gegen die Vertretung Deutschlands in dessen Gremien.
Schließlich verstößt auch das Zustimmungsgesetz zum Fiskalpakt nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Seine wesentlichen Inhalte decken sich mit verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben. Der Vertrag räumt den Organen der Europäischen Union keine Befugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühren und zwingt die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einer dauerhaften, nicht mehr reversiblen Festlegung ihrer Wirtschaftspolitik.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 18.03.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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