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Im Jahr 2003 erschien im Verlag der Beschwerdeführerin der Roman "Esra" von Maxim Biller. Er erzählt bis in intimste Details die Liebesbeziehung zwischen Esra und dem Ich-Erzähler, dem Schriftsteller Adam. Der Liebesbeziehung stellen sich Umstände aller Art in den Weg: Esras Familie, insbesondere ihre herrschsüchtige Mutter Lale, Esras Tochter aus der ersten, gescheiterten Ehe, und vor allem Esras passiver schicksalsergebener Charakter.
Auf Klage der ehemaligen Freundin des Autors und deren Mutter, die sich in den Romanfiguren Esra und Lale wieder erkennen und geltend machten, das Buch stelle eine Biographie ohne wesentliche Abweichung von der Wirklichkeit dar, untersagten die Zivilgerichte dem Verlag die Veröffentlichung und Verbreitung des Romans. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Verbot (BGH, Urteil v. 21.06.2005 - VI ZR 122/04 -). Die hiergegen gerichtete
Die Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Gaier sowie der Richter Hoffmann-Riem haben der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.
1. Der Roman "Esra" stellt ein
Um die Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewerten zu können, ist eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch den Roman im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahe gelegten Wirklichkeitsbezugs erforderlich. Dabei ist ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Diese Vermutung gilt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind. Die
2. Nach diesen Maßstäben werden die angegriffenen Entscheidungen hinsichtlich der Klägerin zu 2 (Mutter) der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung nicht in jeder Hinsicht gerecht und verstoßen damit gegen die Kunstfreiheitsgarantie. Die Gerichte haben zwar in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Klägerin zu 2 anhand einer ganzen Reihe biographischer Merkmale als Vorbild der Romanfigur erkennbar gemacht ist. Allerdings begnügen sich die Gerichte damit festzustellen, dass die Romanfigur Lale sehr negativ gezeichnet ist, und sehen darin eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die Gerichte berücksichtigen damit nicht hinreichend, dass der Roman im Ausgangspunkt als Fiktion anzusehen ist. Die Annahme einer Fiktion wird auch dadurch gestützt, dass der Autor Lale überwiegend nicht aus eigenem Erleben, sondern in Wiedergabe fremder Erzählungen, Gerüchte und Eindrücke schildert. Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter diesen Umständen verfehlt es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen der Romanfigur andererseits sieht. Nötig wäre vielmehr jedenfalls der Nachweis, dass dem Leser vom Autor nahe gelegt wird, bestimmte Teile der Schilderung als tatsächlich geschehen anzusehen, und dass gerade diese Teile eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen, entweder weil sie ehrenrührige falsche Tatsachenbehauptungen aufstellen oder wegen der Berührung des Kernbereichs der Persönlichkeit überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gehören. Ein solcher Nachweis ergibt sich aus den angegriffenen Entscheidungen nicht.
3. Im Gegensatz dazu sind die angegriffenen Entscheidungen, soweit sie der Klägerin zu 1 (ehemalige Freundin) einen
4. Die angegriffenen Entscheidungen durften, soweit sie der Unterlassungsklage der Klägerin zu 1 stattgegeben haben, ein Gesamtverbot aussprechen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, bestimmte Streichungen oder Abänderungen vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.
Die Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Gaier stimmen der Entscheidung der Senatsmehrheit nicht zu. Sie kritisieren, dass der Senat zur Bemessung der Schwere einer Persönlichkeitsbeeinträchtigung das ihrer Meinung nach untaugliche Kriterium der Erkennbarkeit angewandt habe, anstatt den von ihm zu Recht reklamierten kunstspezifischen Maßstab anzulegen. Der Senat werde zudem der qualitativen Dimension künstlerischer Verarbeitung von Wirklichkeit nicht gerecht, wenn er quantitativ fordere, je mehr ein Roman mit seinen Schilderungen den Intim- und Sexualbereich berühre, desto mehr müsse durch Verfremdung eine Verletzung der Persönlichkeit ausgeschlossen werden. Dies führe letztlich zu einer der Kunst verordneten Tabuisierung des Sexuellen. Denn Kunst lebe von Anlehnungen an die Wirklichkeit und stehe damit immer in der Gefahr, dass sich Personen in ihr wieder erkennen und für andere erkennbar seien. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht komme man übereinstimmend zu dem Schluss, dass der Roman Esra weder Erfahrungswelten reproduziere noch Autobiographisches darstelle, sondern einer literaturästhetischen Programmatik folge und eine narrative Konstruktion sei. Bei einer kunstspezifischen Betrachtung könne daher eine Persönlichkeitsverletzung nicht angenommen werden. Entscheidendes Kriterium für die Versagung oder Gewährung des Grundrechtsschutzes sei, ob der Roman bei einer Gesamtbetrachtung ganz überwiegend das Ziel verfolge, bestimmte Personen zu beleidigen, zu verleumden oder verächtlich herabzuwürdigen. Eine solche Intention des Autors sei jedoch nicht erkennbar und werde auch von literaturwissenschaftlicher Seite nicht gesehen.
Der Senat habe die zur rechtlichen Bewertung der Wirkungen eines Kunstwerks entwickelten Grundsätze nur teilweise auf den Fall angewandt. Wenn Art. 5 Abs. 3 GG gebiete, dass für die Kunstform des Romans die Vermutung des Fiktionalen auch bei Erkennbarkeit eines konkreten Vorbilds spreche, und dies auch für die konkret geschilderten Ereignisse, Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften gelte, sei nicht nachvollziehbar, warum es nicht auch Darstellungen über den Sexualbereich umfasse. Ferner drohe die Vielfalt künstlerischen Schaffens aus dem Blick zu geraten, wenn der Schutz des Künstlerischen auf das Fiktionale begrenzt und ein
1. Bei dem gerichtlichen Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit prüft das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts.
2. Die Kunstfreiheit verlangt für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, eine kunstspezifische Betrachtung. Daraus folgt insbesondere eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes.
3. Die Kunstfreiheit schließt das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein.
4. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 12.10.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 99/07 des BVerfG vom 12.10.2007
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Dokument-Nr. 4982
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