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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.07.2015
1 BvR 1127/14 -

Geldentschädigung wegen Unterbringung in zu kleiner Einzelzelle

Ablehnung einer Geldentschädigung verkennt Bedeutung und Tragweite der Menschen­würde­garantie

Das Bundes­verfassungs­gericht hat ein Urteil des Kammergerichts in einem Amts­haftungs­verfahren wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung teilweise aufgehoben. Nach Auffassung des Bundes­verfassungs­gericht verkennt die Ablehnung einer Geldentschädigung die Bedeutung und Tragweite der Menschen­würde­garantie (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Verfahrens war in der Zeit vom 9. Juni 2009 bis zum 23. November 2009 in einer Einzelzelle mit einer Bodenfläche von 5,25 m² und räumlich nicht abgetrennter Toilette untergebracht. In einem parallel gelagerten Verfahren stellte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit einem am 5. November 2009 veröffentlichten Beschluss eine Verletzung der Menschenwürde fest. Die Entschädigungsklage des Beschwerdeführers wies das Kammergericht mit angegriffenem Urteil ab. Eine zweiwöchige Übergangsfrist bis zum 19. November 2009 sei für die Prüfung einzuräumen, wie die menschenunwürdige Haftsituation vieler Betroffener in der Justizvollzugsanstalt zu unterbinden sein könnte. Auch die verhältnismäßig geringfügige Überschreitung der Übergangsfrist gebiete keine Entschädigung in Geld. Vielmehr werde bereits mit der Feststellung der menschenwürdigen Haftunterbringung dem berechtigten Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers angemessen Rechnung getragen.

Verletzung der Menschenwürde durch Haftraumgröße nicht einfach zu bewerten

Die Verfassungsbeschwerde hatte vor dem Bundesverfassungsgericht teilweise Erfolg. Soweit das Kammergericht zu dem Ergebnis kommt, ein Verschulden der zuständigen Amtsträger sei bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs am 5. November 2009 und darüber hinaus bis zum Ablauf einer zweiwöchigen Übergangsfrist nicht gegeben, hält sich dies jedenfalls noch im Rahmen des fachgerichtlichen Wertungsspielraums. Das Kammergericht hat vertretbar konzediert, dass die Rechtsfrage, ab welcher konkreten Haftraumgröße eine Verletzung der Menschenwürde anzunehmen ist, nicht einfach zu beurteilen gewesen sei und insbesondere bei einer Einzelzelle weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend behandelt gewesen sei.

Ausgleichsanspruch wurde vom Kammergericht in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verneint

Das Urteil des Kammergerichts kann allerdings keinen Bestand haben, soweit es sich auf den Zeitraum nach Ablauf der Übergangsfrist vom 20. November 2009 bis 23. November 2009 bezieht. Die Erwägungen, aufgrund derer das Kammergericht einen Amtshaftungsanspruch des Beschwerdeführers für den erlittenen menschenunwürdigen Freiheitsentzug verneint hat, werden der Bedeutung des Grundrechts der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als Grundlage einer rechtsstaatlichen Kompensation in Form eines Amtshaftungsanspruchs nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag der Menschenwürde beziehungsweise des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet, weil anderenfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten wäre. Zwar muss der hiernach rechtsstaatlich gebotene Ausgleich nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen. Vorliegend hat das Kammergericht einen Ausgleichsanspruch aber in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verneint.

Fortdauernde, menschenunwürdige Inhaftierung nach Ablauf der vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Übergangsfrist löst amtshaftungsrechtliche Ansprüche aus

Der Verfassungsgerichtshof für das Land Berlin hat in bundesverfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hervorgehoben, dass die Unterbringung eines Häftlings für einen Zeitraum von knapp drei Monaten in einem Einzelhaftraum mit einer Bodenfläche von 5,25 m² und Einschlusszeiten zwischen 15 und fast 21 Stunden bei einer Gesamtschau der Umstände dessen Menschenwürde verletzt. Dabei hat der Berliner Verfassungsgerichtshof allerdings festgestellt, dass menschenwürdige Zustände in einer größeren Haftanstalt nicht von heute auf morgen hergestellt werden können und deshalb für eine Übergangsfrist von zwei Wochen hinzunehmen sind. Vor diesem Hintergrund bewegt sich die Einschätzung, für diese Übergangsfrist komme ein Amtshaftungsanspruch aufgrund mangelnden Verschuldens der verantwortlichen Amtsträger nicht in Betracht, noch im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Demgegenüber stellt eine fortdauernde Inhaftierung nach Ablauf der Übergangsfrist ersichtlich ein schuldhaftes, amtshaftungsrechtliche Ansprüche auslösendes Handeln dar.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 16.09.2015
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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