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Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18.07.2012
1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 -

Existenzsichernde Geldleistungen für Asylbewerber sind zu niedrig bemessen und daher menschenunwürdig

BVerfG erklärt Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für nicht verfassungsgemäß

Die Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Höhe dieser Geldleistungen ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden ist. Zudem ist die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hervor.

Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz wurde mit Wirkung ab 1. November 1993 ein Gesetz zum Mindestunterhalt von bestimmten ausländischen Staatsangehörigen geschaffen, das außerhalb des für Deutsche und diesen Gleichgestellte geltenden materiellen Rechts deutlich abgesenkte Leistungen festsetzte und vorrangig Sachleistungen anstelle von Geldleistungen vorsah. Das Asylbewerberleistungsgesetz stand im Kontext der Bemühungen der damaligen Bundesregierung in den Jahren 1990 bis 1993, die damals relativ hohe Zahl der Flüchtlinge nach Deutschland zu begrenzen, einem Missbrauch des Asylrechts entgegenzutreten und die Kosten für die Aufnahme und allgemeine Versorgung der Flüchtlinge gering zu halten sowie vorrangig Sachleistungen auszugeben.

Hintergrund

Der persönliche Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes wurde im Laufe der Jahre ausgeweitet. Dieses Gesetz findet heute auf Menschen in rechtlich und tatsächlich sehr unterschiedlichen Lebenslagen Anwendung. Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und andere im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis befindliche Personen, Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige sowie deren Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder.

Asylbewerberleistungsgesetz ist Sonderregelung zu Sozialleistungen

Das Asylbewerberleistungsgesetz ist eine Sonderregelung zu den Sozialleistungen, die neben dem SGB II bzw. SGB XII gilt. Das Gesetz unterscheidet zwischen den Grundleistungen (§ 3 AsylbLG), den Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG) sowie den sonstigen Leistungen (§ 6 AsylbLG). Zudem sieht § 2 AsylbLG vor, dass Menschen nach einer vom Gesetzgeber mehrfach verlängerten Vorbezugszeit von Grundleistungen höhere „Analogleistungen“ entsprechend den Vorschriften des SGB XII erhalten.

Beträge für Geldleistungen seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes unverändert geblieben

Die Grundleistungen in Form von Geldleistungen sind Gegenstand der Vorlagefragen. Der Gesetzgeber hat in § 3 AsylbLG vorrangig Sachleistungen vorgesehen, die nach Absatz 2 aber durch Geldleistungen ersetzt werden können. Für diese Geldleistungen sind Beträge ausgewiesen, die seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes unverändert geblieben sind, obwohl das heute zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Zustimmung des Bundesrates die Beträge nach § 3 Abs. 3 AsylbLG jeweils zum 1. Januar eines Jahres neu festzusetzen hat, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten zur Bedarfsdeckung erforderlich ist.

Die Vorlagen des Gerichts gehen auf folgende Ausgangsverfahren zurück:

Sachverhalt im Verfahren 1 BvL 10/10

Der 1977 geborene Kläger reiste 2003 in die Bundesrepublik Deutschland ein, beantragte erfolglos Asyl und wird seither geduldet (§ 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Er hielt sich seitdem in einer Gemeinschaftsunterkunft auf und erhielt Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, zuletzt in Höhe von 224,97 Euro. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus einem Geldbetrag nach § 3 Abs. 1 AsylbLG in Höhe von 40,90 Euro und Leistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG in Höhe von 184,07 Euro, wovon 15,34 Euro auf die Stromkosten für die Unterkunft entfielen. Mit seiner Klage beantragte der Kläger höhere Leistungen. Das Sozialgericht wies die Klage ab.

Landessozialgericht sieht in Vorschriften Verstoß gegen Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Daraufhin erhob der Kläger Berufung zum Landessozialgericht. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 sowie § 3 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AsylbLG mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Vorlagegericht ist der Auffassung, diese Vorschriften verstießen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Die dem Kläger gewährte Grundleistung liege um gut 31 % unter den Leistungen, die das Existenzminimum nach dem SGB II und SGB XII sicherstellen sollen, und sei damit - vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) - evident unzureichend. Dies könne nicht mit Besonderheiten der Situation von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gerechtfertigt werden. Aber auch wenn die Leistungen an den Kläger nicht als evident unzureichend bewertet würden, seien die Bedarfe, die dieser Leistung zugrunde liegen müssen, nicht nach einer verfassungsgemäßen Methode ermittelt worden. Für das Landessozialgericht kommt es auch entscheidungserheblich auf die Verfassungsmäßigkeit der Grundleistung an.

Sachverhalt im Verfahren 1 BvL 2/11

Die am 12. September 2000 geborene Klägerin mit damals ausländischer Staatsangehörigkeit lebt zusammen mit ihrer Mutter in einer privat angemieteten Unterkunft. 2007 wurden der Klägerin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 132,93 Euro, dann in Höhe von 178,95 Euro monatlich bewilligt. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erstrebt sie mit ihrer Klage höhere Leistungen. Das Sozialgericht wies die Klage ab.

Landessozialgericht erbittet Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Daraufhin erhob die Klägerin Berufung zum Landessozialgericht. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 sowie § 3 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Vorlagegericht hält auch diese Vorschriften mit vergleichbarer Begründung wie im Verfahren 1 BvL 10/10 für verfassungswidrig.

BVerfG erklärt Höhe der Geldleistungen für evident unzureichend

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Die Höhe dieser Geldleistungen ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden ist. Zudem ist die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich.

Gesetzgeber muss Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums treffen

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, unverzüglich für den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu treffen. Bis zu deren Inkrafttreten hat das Bundesverfassungsgericht angesichts der existenzsichernden Bedeutung der Grundleistungen eine Übergangsregelung getroffen. Danach ist ab dem 1. Januar 2011 die Höhe der Geldleistungen auch im Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes entsprechend den Grundlagen der Regelungen für den Bereich des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches zu berechnen. Dies gilt rückwirkend für nicht bestandskräftig festgesetzte Leistungen ab 2011 und im Übrigen für die Zukunft, bis der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Neuregelung nachgekommen ist.

Höhe der Geldleistungen muss realitätsgerecht bestimmt werden

Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 1. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Höhe entsprechender Leistungen muss der Gesetzgeber festlegen. Sie darf nicht evident unzureichend sein und muss realitätsgerecht bestimmt werden. Dies war bereits Ausgangspunkt der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Arbeitslosengeld II im Februar 2010.

Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zu

a) Art. 1 Abs. 1 GG begründet den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht. Dieses Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Maßgeblich für die Bestimmung entsprechender Leistungen sind die Gegebenheiten in Deutschland, dem Land, in dem dieses Existenzminimum gewährleistet sein muss. Das Grundgesetz erlaubt es nicht, das in Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf das Existenzniveau in anderen Ländern niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten zu bemessen. Desgleichen erlaubt es die Verfassung nicht, bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen pauschal nach dem Aufenthaltsstatus zu differenzieren; der Gesetzgeber muss sich immer konkret an dem Bedarf an existenznotwendigen Leistungen orientieren.

Menschenwürdiges Existenzminimums umfasst auch Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben; dies sind einheitlich zu sichernde Bedarfe. Art. 1 Abs. 1 GG gibt einen solchen Leistungsanspruch dem Grunde nach vor. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG hält den Gesetzgeber an, seine konkrete Höhe entsprechend der tatsächlichen existenzsichernden Bedarfe zeit- und realitätsgerecht zu bestimmen.

Im Übrigen ist der Gesetzgeber auch durch weitere Vorgaben verpflichtet, die sich aus dem Recht der Europäischen Union und aus Völkerrecht ergeben.

Leistungen zur Existenzsicherung müssen fortwährend überprüft und weiterentwickelt werden

b) Die Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz dürfen nicht evident unzureichend sein und müssen zur Konkretisierung des grundrechtlichen Anspruchs folgerichtig in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf, also realitätsgerecht, begründet werden können. Diese Anforderungen beziehen sich nicht auf das Gesetzgebungsverfahren, sondern dessen Ergebnisse. Das Grundgesetz lässt Raum für Verhandlungen und politischen Kompromiss. Es schreibt keine bestimmte Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen vor, wodurch der dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsspielraum begrenzt würde. Werden jedoch hinsichtlich bestimmter Personengruppen unterschiedliche Methoden zugrunde gelegt, muss dies sachlich zu rechtfertigen sein. Zudem sind die Leistungen zur Existenzsicherung fortwährend zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte müssen gerechtfertigt und begründet sein

Ob und in welchem Umfang der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland gesetzlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger bestimmt werden kann, hängt folglich allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfangenden mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können. Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber das bei der Leistungshöhe berücksichtigen, muss er diese Gruppe so definieren, dass sie hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich kurzfristig in Deutschland aufhalten. Eine Orientierung kann der Aufenthaltsstatus sein, doch sind stets die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Zudem ist eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt deutlich länger dauert.

BVerfG prüft, ob Leistungen auf Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu rechtfertigen sind

c) Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Die materielle Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind; jenseits dieser Evidenzkontrolle überprüft das Bundesverfassungsgericht, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu rechtfertigen sind.

2. Nach diesen Grundsätzen genügen die vorgelegten Vorschriften den Vorgaben des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht.

Anpassung der Leistungssätze an Lebenshaltungskosten nie erfolgt

a) Die in § 3 AsylbLG festgelegten Geldleistungen sind evident unzureichend. Ihre Höhe ist seit 1993 nicht verändert worden, obwohl das Preisniveau in Deutschland seit diesem Jahr um mehr als 30 % gestiegen ist. Der Gesetzgeber hatte damals in § 3 Abs. 3 AsylbLG einen Anpassungsmechanismus vorgesehen, wonach die Leistungssätze regelmäßig an die Lebenshaltungskosten anzugleichen sind. Eine Anpassung ist jedoch nie erfolgt. Dass die Höhe der Geldleistungen heute evident unzureichend ist, zeigt sich beispielsweise auch an den Leistungen für einen erwachsenen Haushaltsvorstand im Vergleich mit der aktuellen Leistungshöhe des allgemeinen Fürsorgerechts des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, deren Höhe in jüngster Zeit gerade zur Sicherung des Existenzminimums neu festgelegt wurde. Zwar sind sie nicht unmittelbar vergleichbar, jedoch ergibt sich auch bei einer bereinigten Berechnung eine Differenz von etwa einem Drittel und damit ein offensichtliches Defizit in der Sicherung der menschenwürdigen Existenz.

Bestimmung der Leistungshöhe ist auf bloße Kostenschätzung gestützt

b) Die Grundleistungen in Form der Geldleistungen sind außerdem nicht realitätsgerecht und begründbar bemessen. Der Bestimmung der Leistungshöhe lagen damals und liegen auch heute keine verlässlichen Daten zugrunde. Die Gesetzgebung hatte sich damals auf eine bloße Kostenschätzung gestützt; auch jetzt sind keine nachvollziehbaren Berechnungen vorgelegt worden oder ersichtlich. Das steht mit den Anforderungen des Grundgesetzes an die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz nicht in Einklang.

Auch kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland rechtfertigt keine Beschränkung der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Hinweise auf eine Bemessung der Höhe der Geldleistungen entnehmen. Weder ist ersichtlich, welche Bedarfe bei kurzfristigem Aufenthalt konkret existieren noch ist beispielsweise für minderjährige Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ermittelt worden, welche besonderen kinder- und altersspezifischen Bedarfe bestehen. Die Materialien weisen lediglich die Beträge aus, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ausreichen sollen, um einen unterstellten Bedarf zu decken. Auch die dem Asylbewerberleistungsgesetz ersichtlich zugrunde liegende Annahme, dass eine kurze Aufenthaltsdauer die begrenzte Leistungshöhe rechtfertigt, bleibt ohne hinreichend verlässliche Grundlage. Überdies fehlt es an einer inhaltlich transparenten Darlegung dazu, dass sich die vom Asylbewerberleistungsgesetz erfassten Leistungsberechtigten typischerweise nur für kurze Zeit in Deutschland aufhalten. Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist seit 1993 mehrfach erweitert worden und umfasst heute Menschen mit sehr unterschiedlichem Aufenthaltsstatus; sie halten sich überwiegend bereits länger als sechs Jahre in Deutschland auf. Eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen auch nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken, denn das Grundgesetz enthält eine einheitliche Leistungsgarantie, die auch das soziokulturelle Existenzminimum umfasst. Die menschenwürdige Existenz muss ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland gesichert werden.

Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren

Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.

Geldleistung künftig deutlich höher als bisher

3. Aus der Übergangsregelung folgt beispielsweise für einen Haushaltsvorstand jenseits der vorrangigen Versorgung mit Sachleistungen eine deutlich höhere Geldleistung als bisher. Zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dann im Jahr 2011 anstelle von Sachleistungen für einen Monat von einer Geldleistung in Höhe von 206 Euro und einem zusätzlichen Geldbetrag für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 130 Euro auszugehen.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 18.07.2012
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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