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Bundessozialgericht, Urteil vom 29.02.2012
B 12 KR 5/10 R und B 12 KR 10/11 R -

Milliarden-Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit für Eingliederungsmaßnahmen in Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht verfassungswidrig

Klage auf Zahlung niedrigerer Pflichtbeiträge für Sozialversicherungen vor dem Bundessozialgericht erfolglos

Der "Aussteuerungsbetrag", den die Bundesagentur für Arbeit seit 2005 an den Bund abführen musste, sowie der ähnlich konzipierte "Eingliederungsbeitrag", der den Aussteuerungsbeitrag seit 2008 ersetzt hat (beide gemäß § 46 Abs. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch), sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundessozialgerichts hervor. Zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zu diesen Instrumenten, die Zahlungen in insgesamt zweistelliger Milliardenhöhe zum Gegenstand haben, kam es daher nicht.

Im zugrunde liegenden Fall begehrten ein Arbeitnehmer sowie ein Arbeitgeber die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, weil sie – gestützt durch die Ansicht zahlreicher Rechtswissenschaftler – meinten, ihre Beiträge seien deutlich zu hoch. Sie hielten es für verfassungswidrig, dass die auf der Grundlage von Versicherungspflicht eng zweckgebunden erhobenen Beiträge hier unzulässig zur Stärkung des Bundeshaushalts eingesetzt würden; die Finanzierung von Fürsorgemaßnahmen nach dem SGB II obliege dem Staat, nicht der Versichertengemeinschaft. Die Kläger blieben ohne Erfolg.

Gerichtliche Überprüfung der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Pflichtbeiträge ausnahmsweise bejaht

Das Bundessozialgericht hat die klagenden Beitragszahler ausnahmsweise für befugt gehalten, die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Pflichtbeiträge auch wegen einer bestimmten Mittelverwendung gerichtlich prüfen zu lassen. Das Bundessozialgericht ist den Klägern aber – trotz ihres zutreffenden Ausgangspunkts der engen Zweckbindung von Sozialversicherungsbeiträgen – im Ergebnis nicht gefolgt.

Milliarden-Zahlungen an den Bund haben hinreichenden Bezug zu beitragsfinanzierten Aufgaben der Arbeitsförderung gemäß SGB III

Selbst wenn man annähme, dass "Aussteuerungsbetrag" und "Eingliederungsbeitrag" sich jeweils auf die konkrete Beitragshöhe auswirkten, wurden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung jedenfalls nicht "zu Unrecht" entrichtet. Der Gesetzgeber hat die allein zu überprüfenden äußersten Grenzen des zulässigen Einsatzes von Beitragsmitteln eingehalten. Die Milliarden-Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit an den Bund haben einen noch hinreichenden Bezug zu den beitragsfinanzierten Aufgaben der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Dazu gehört seit jeher nicht nur die Gewährung von Entgeltersatz bei Arbeitslosigkeit, sondern auch die Eingliederung in Arbeit. Die Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung der Bundesagentur für Arbeit für Letzteres entfiel ab 2005 nicht vollständig, auch wenn nach Einführung des SGB II die Aufgabe, Erwerbsfähige in Arbeit einzugliedern, nun nicht mehr umfassend ihr, sondern – für Empfänger steuerfinanzierter Grundsicherungsleistungen – auch dem Bund oblag. § 46 Abs. 4 SGB II und die damit verfolgten Zwecke haben einen hinreichenden Bezug zur "Arbeitsvermittlung sowie Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung" im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz. Die beschränkt fortbestehende Verantwortlichkeit der Bundesagentur für Arbeit korrespondierte mit der begrenzten Höhe der Zahlungen. Die angestrebte Integration von SGB II-Leistungsempfängern in den Arbeitsmarkt eignete sich zudem, die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen und kam so zeitversetzt dem SGB III-Leistungssystem zugute. Die Konstellation weist insoweit Parallelen zu der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Finanzierung sozialrechtlicher Folgen der deutschen Einigung aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung auf.

Die ab 2008 mit dem "Eingliederungsbeitrag" mitfinanzierten, vom Bund wahrgenommenen Aufgaben sind aus ähnlichen Gründen ebenfalls noch hinreichend mit dem im SGB III geregelten Ziel aktiver Arbeitsförderung verknüpft. Das zeigt nun deutlich die pauschale Ausrichtung der Höhe des Eingliederungsbeitrags an den Aufwendungen für die Eingliederung von SGB II-Leistungsbeziehern. Von den Eingliederungsleistungen des Bundes kann darüber hinaus auch der Personenkreis der so genannten "Aufstocker" profitieren, die sogar Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten.

Hinweis auf Rechtsvorschriften:

Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende -

§ 46 Finanzierung aus Bundesmitteln (in der Fassung ab 1.1.2005, Gesetz vom 30.7.2004, BGBl I 2014)

(1) Der Bund trägt die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten, soweit die Leistungen von der Bundesagentur erbracht werden. … (Satz 5). Die Mittel für die Erbringung von Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten werden in einem Gesamtbudget veranschlagt.

[…]

(4) Die Bundesagentur erstattet dem Bund jeweils zum 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November einen Aussteuerungsbetrag, der dem Zwölffachen der durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Beiträge zur Sozialversicherung im vorangegangenen Kalendervierteljahr für eine Bedarfsgemeinschaft, vervielfältigt mit der Zahl der Personen, die im vorangegangenen Kalendervierteljahr innerhalb von drei Monaten nach dem Bezug von Arbeitslosengeld einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II erworben haben, entspricht.

§ 46 Finanzierung aus Bundesmitteln (in der Fassung ab 1.1.2008, Gesetz vom 22.12.2007, BGBl I 3245)

(1) - wie vor -

(4) Die Bundesagentur leistet an den Bund einen Eingliederungsbeitrag in Höhe der Hälfte der jährlichen, vom Bund zu tragenden Aufwendungen für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Verwaltungskosten nach Absatz 1 Satz 5 und § 6 b Absatz 2. […]

Hinweis auf vorangegangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Komplex

Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden, die unmittelbar gegen § 46 Abs. 4 SGB II erhoben worden waren durch Beschluss vom 2. August 2010:

"Die Beschwerdeführer könnten die von ihnen gerügten Grundrechtsverletzungen durch § 46 Abs. 4 SGB II in zumutbarer Weise in sozialgerichtlichen Klageverfahren geltend machen."

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 05.03.2012
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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