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Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.11.1971
VI ZR 69/70 -

Sturz in Straßenbahn: Fahrgäste müssen sich stets festen Halt suchen oder Platz nehmen

Kein Anspruch auf Schadenersatz wegen Sturzes nach ruckartigem Anfahren

Einem Fahrgast steht kein Anspruch auf Schadenersatz zu, wenn er aufgrund des ruckartigen Anfahrens der Straßenbahn fällt und sich verletzt. Denn grundsätzlich muss sich jeder Fahrgast selbst sicheren Halt verschaffen. Einem Straßenbahnführer treffen keine diesbezüglichen Sorgfaltspflichten. Dies gilt auch, wenn ein armamputierter Fahrgast eingestiegen ist. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Februar 1966 stürzte ein etwa 71-jähriger Fahrgast aufgrund des ruckartigen Anfahrens der Straßenbahn und verletzte sich dabei erheblich. Der Fahrgast machte dafür den Straßenbahnführer verantwortlich. Dieser hätte warten müssen, bis er einen Platz oder zumindest einen sicheren Halt gefunden hätte. Dies habe umso mehr gegolten, da er rechtsseitig armamputiert war und er dem Straßenbahnfahrer seinen Schwerbeschädigtenausweis vorgezeigt hatte. Der Straßenbahnführer entgegnete dem, dass der Fahrgast nach dem Einsteigen zehn Sekunden Zeit gehabt habe einen Sitz oder sicheren Halt zu finden, bevor er losfuhr. Zudem müsse er nicht dafür Sorge tragen, dass alle Fahrgäste sicher sitzen oder stehen. Der Fall kam schließlich vor Gericht.

Kein Anspruch auf Schadenersatz

Der Bundesgerichtshof entschied gegen den Fahrgast. Diesem habe kein Anspruch auf Schadenersatz zugestanden. Denn dem Straßenbahnführer sei keine Verletzung der Sorgfaltspflichten anzulasten.

Kein Schuldvorwurf wegen ruckartigem Anfahren

Dem Straßenbahnführer sei nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht deswegen ein Schuldvorwurf zu machen, weil er ruckartig losgefahren ist. Denn selbst beim normalen Anfahren einer Straßenbahn könnten ruckartige Bewegungen auftreten. Dies liege in der Natur des Straßenbahnbetriebs. Mit ruckartigen Bewegungen müsse jeder Fahrgast rechnen.

Keine Pflicht zur Überprüfung der Standsicherheit der Fahrgäste

Der Bundesgerichtshof hielt es zudem für nicht erforderlich, dass der Straßenbahnführer überprüft, ob alle Fahrgäste einen Sitzplatz oder einen sicheren Halt gefunden haben. Vielmehr müsse dafür jeder Fahrgast selbst sorgen. Ein Fahrgast könne nicht damit rechnen, dass der Straßenbahnführer sich um ihn kümmert. Denn dieser sei in der Regel mit dem Kassieren des Fahrgelds und der Beobachtung der äußeren Fahrtsignale beschäftigt.

Behinderung des Fahrgastes begründete keine Sorgfaltspflichten

Eine besondere Sorgfaltspflicht könne zwar in Ausnahmefällen angenommen werden, so der Bundesgerichtshof. So etwa, wenn der Fahrgast gehbehindert oder blind sei. Ein solcher Ausnahmefall habe hier aber nicht vorgelegen. Der Fahrgast habe trotz seiner Behinderung ohne Hilfe in die Straßenbahn einsteigen können. Darüber hinaus sei er von seiner Ehefrau begleitet worden. Der Bundesgerichtshof war daher davon überzeugt, dass sich der Fahrgast trotz seines fehlenden Arms innerhalb von zehn Sekunden einen sicheren Platz oder Halt habe verschaffen können.

Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1971 und erscheint im Rahmen der Reihe "Wissenswerte Urteile".

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 24.11.2014
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (zt/VersR 1972, 152/rb)

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