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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.04.2022
VGH N 7/21 -

Corona-Sondervermögen in Rheinland-Pfalz zum Teil verfassungswidrig

Verstoß gegen Schuldenbremse

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2022 ergangenem Urteil vom 1. April 2022 in einem abstrakten Normenkontrollverfahren bestimmte Teilbereiche des rheinland-pfälzischen Corona-Sondervermögens für unvereinbar mit der Landesverfassung und daher nichtig erklärt.

Einzelnen Maßnahmen, die aus dem Sondervermögen finanziert werden sollen, fehle es an einem hinreichenden Veranlassungszusammenhang zu der Corona-Pandemie. Hierin liege ein Verstoß gegen die Schuldenregel der Landesverfassung (sog. Schuldenbremse). Der über­wiegende Teil des Corona-Sondervermögens sei hingegen mit der Landesverfassung vereinbar.

Hintergrund: Normenkontrollantrag der AfD-Landtagsfraktion

In Rheinland-Pfalz wurde – wie auch in den meisten anderen Ländern und auf Bundesebene – nach Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 durch Gesetz ein Sondervermögen „Zur nachhaltigen Bewältigung der Corona-Pandemie“ geschaffen. Aus dem Sondervermögen sollten verschiedene Maßnahmen unter anderem in den Bereichen Breitbandausbau, Gesundheitsvorsorge, Wirtschaftsförderung, Klimaschutz und Schulbetrieb bis längstens zum Ende des Jahres 2023 finanziert werden. Die Ausstattung des Sondervermögens erfolgte durch Zuführung von Mitteln in Höhe von knapp 1,1 Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt sowie aus weiteren Mitteln des Bundes. Zeitgleich mit dem Corona-Sondervermögensgesetz verabschiedete der Landtag das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020, das eine Nettokreditaufnahme von knapp 3,5 Milliarden Euro veranschlagte. Einen Teil der neuen Schulden in Höhe von etwa 1,2 Milliarden Euro nahm der Haushaltsgesetzgeber unter Berufung auf die Bestimmung des Art. 117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV – auf, die als Ausnahme von der seit dem Jahr 2020 geltenden Schuldenbremse eine Kreditaufnahme bei Naturkatastrophen oder anderen außergewöhnlichen Notsituationen zulässt. Nach der Begründung des Haushaltsgesetzgebers handele es sich bei der Corona-Pandemie um eine solche außergewöhnliche Notsituation. Mit ihrer gegen das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020, das Corona-Sondervermögensgesetz sowie das Landeshaushaltsgesetz 2021 erhobenen abstrakten Normenkontrolle machte die antragstellende AfD-Landtagsfraktion einen Verstoß gegen die Schuldenregel der Landesverfassung sowie gegen mehrere haushaltsverfassungsrechtliche Grundsätze geltend.

Budgetrecht des Parlaments nicht verletzt

Der Verfassungsgerichtshof erklärte Teile des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 sowie des Corona-Sondervermögensgesetzes für unvereinbar mit der Landesverfassung. Die Verwendung einiger Mittel des Sondervermögens – konkret in den Bereichen Breitbandausbau und Unternehmensförderung im Umweltbereich mit einem Gesamtvolumen von ca. 172 Mio. Euro – sei mit der Schuldenregel der Landesverfassung unvereinbar. Das Corona-Sondervermögen verletze demgegenüber nicht das Budgetrecht des Parlaments.

Ausnahmeregelung der Landesverfassung setzt Verursachungszusammenhang zu Notlage voraus

Nach der Schuldenregel des Art. 117 Abs. 1 Satz 1 LV sei dem Land die Aufnahme neuer Kredite grundsätzlich versagt. Eine Ausnahme hiervon lasse die Landesverfassung allerdings zu, soweit die Schuldenaufnahme zum Ausgleich eines erheblichen vorübergehenden Finanzbedarfs infolge von Naturkatastrophen oder anderen außer­gewöhnlichen Notsituationen notwendig sei. Verfassungsrechtlich erlaubt sei vor diesem Hintergrund aber nicht jede Kreditaufnahme, die bloß zeitlich mit der Ausnahmesituation zusammenfalle. Es komme vielmehr maßgeblich darauf an, dass zwischen der Naturkatastrophe oder anderen außergewöhnlichen Notsituation und der Kreditaufnahme ein Veranlassungszusammenhang bestehe. Neue Schulden dürften nur für solche Maßnahmen aufgenommen werden, die gezielt und zweckgerichtet auf die Überwindung der Notlage gerichtet seien. Sei eine Ausgabe demgegenüber bereits vor der Notsituation eingeplant oder vorgesehen gewesen oder sollten gleichsam bei Gelegenheit der Aussetzung der Schuldenregel Mittel für allgemeinpolitische Maßnahmen bereitgestellt werden, sei der Tatbestand einer notsituationsbedingten Kreditaufnahme nicht erfüllt. Liege eine Naturkatastrophe oder andere außergewöhnliche Notsituation vor, verlange die Verfassung vom Haushaltsgesetzgeber allerdings nicht, vor einer Kreditaufnahme alle innerhalb des Haushalts denkbaren Möglichkeiten zur Konsolidierung vollständig auszuschöpfen. Die Ausnahmeregelung des Art. 117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a LV diene vielmehr dazu, die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisen ungeschmälert zu gewährleisten. Auch müssten nicht vorrangig sämtliche im Haushalt vorhandenen Rücklagen aufgebraucht werden.

Sondervermögen entspricht den Anforderungen nur teilweise

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben sei das Corona-Sondervermögen nur insoweit zu beanstanden, als Landesmittel für den Ausbau der digitalen Infrastrukturen sowie zur konjunkturellen Belebung und Minderung der pandemiebedingten Belastungen der Unternehmen im Erneuerbare-Energien- und Umweltbereich vorgesehen seien. Zwar liege es auf der Hand, dass sich durch die Corona-Pandemie dringende Bedarfe zum Ausbau der digitalen Infrastruktur ergäben. Allerdings habe der Haushaltsgesetzgeber bereits im Jahr 2018 mit hohen Mittelbedarfen zum Ausbau der digitalen Infrastruktur in den kommenden Jahren gerechnet und diese – vor Beginn der Corona-Pandemie – im Doppelhaushalt 2019/2020 auch veranschlagt. Was die Landesmittel für die Unternehmensförderung speziell im Umweltbereich anbelange, sei ein zeitlich-inhaltlicher Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nicht erkennbar. Die übrigen Maßnahmen aus den Bereichen Medizin, Bildung, Wirtschaft und Kommunalfinanzen wiesen demgegenüber den nach der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse erforderlichen hinreichenden Veranlassungszusammenhang zu der Corona-Pandemie auf.

Vor der Kreditaufnahme habe der rheinland-pfälzische Haushaltsgesetzgeber insbesondere auch nicht die vorhandene Haushaltssicherungsrücklage in Höhe von ca. 1 Mrd. Euro auflösen müssen. Es genüge insoweit, dass sich der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Auflösung befasst und tragfähige Gründe – hier erhebliche Risiken für den Haushaltsvollzug der nächsten Jahre, u.a. Bedarfe für zukünftig notwendige Zahlungen im Kommunalen Finanzausgleich – für deren Beibehaltung dargelegt habe.

Keine strukturelle Bedeutung für Budgetrecht des Landtags

Soweit das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 und das Corona-Sondervermögensgesetz mit der Schuldenregel des Art. 117 der Landesverfassung vereinbar seien, stehe dem Corona-Sondervermögen auch sonstiges Haushaltsverfassungsrecht, insbesondere das Budgetrecht des Parlaments, nicht entgegen. Zwar werde mit dem Corona-Sondervermögensgesetz ein Einnahmen- und Ausgabenkreislauf außerhalb des Haushaltsplans eingerichtet, der die Grundsätze der Haushaltsvollständigkeit und Haushaltseinheit berühre. Das Corona-Sondervermögen sei allerdings mit Blick auf sein Volumen und den begrenzten Geltungszeitraum nicht von struktureller Bedeutung für das Budgetrecht des Landtags.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 05.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/cc)

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