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Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.02.2022
VerfGH 20/22.VB-2 -

Eilantrag des 1. FC Köln gegen Beschränkung der Zuschauerzahl auf 10.000 blieb erfolglos

Folgenabwägung fällt zugunsten des Gemeinwohls aus

Mit Beschluss vom 18. Februar 2022 hat der Verfassungs­gerichtshof den Antrag des 1. FC Köln auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Beschränkung der Zuschauerzahl auf 10.000 bei Fußballspielen abgelehnt (vgl. Pressemitteilung vom 18. Februar 2022). Zuvor hatte das Oberverwaltungs­gericht einen Eilantrag des 1. FC Köln abgelehnt.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Entscheidung über die einstweilige Anordnung wegen der Eilbedürftigkeit zunächst ohne Begründung bekanntgeben. In der nunmehr gesondert übermittelten Begründung hat der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache zu erhebenden Verfassungsbeschwerde sind offen. Die deshalb anzustellende Folgenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus. Die nicht von vornherein unzulässige Verfassungsbeschwerde wäre weder offensichtlich unbegründet noch offensichtlich begründet. Jedenfalls im Verfahren des Eilrechtsschutzes lässt sich nicht feststellen, dass die beanstandete Beschränkung der Zuschauerzahl den 1. FC Köln in seinen in der Landesverfassung enthaltenen Rechten verletzt.

Aufgrund pandemischer Gefahrenlage keine Klärung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes

Dem Verordnungsgeber steht eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Bewertung der pandemischen Gefahrenlage und der Wirksamkeit seines Schutzkonzepts zu, mit welchem er seine Pflicht zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit zu erfüllen sucht. Wie weit aber die Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers im Einzelnen reicht, insbesondere ob diese aus grundsätzlichen Erwägungen hinter dem vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Einschätzungsspielraum des demokratisch in besonderer Weise legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers zurückbleibt, kann nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geklärt werden. Das Gleiche gilt für die Frage, welche Auswirkungen sich daraus ergeben, dass die Corona-Pandemie den Verordnungsgeber inzwischen nicht mehr vor eine völlig neuartige und komplexe Entscheidungssituation stellt, sondern er trotz fortbestehender Dynamik auf zunehmend mehr und gesicherte Erfahrungswerte und wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen kann.

Eingehende Prüfung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens für konsistente Gesamtstrategie erforderlich

Des Weiteren kann nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob die vom 1. FC Köln beanstandete absolute Obergrenze von 10.000 Zuschauern mit der vom Verordnungsgeber dafür gegebenen Begründung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Das ist nicht von vornherein ausgeschlossen, bedarf aber wegen der Pflicht des Verordnungsgebers zu einer konsistenten Gesamtstrategie einer eingehenden Prüfung. Die vom Oberverwaltungsgericht aufgegriffene Erwägung des Verordnungsgebers, mit einer absoluten Obergrenze der erlaubten Zuschauerzahl einer Erhöhung des Infektionsrisikos bei der An- und Abreise, beim Zugang zur Anlage oder zum Gebäude und schlicht durch das Zusammenkommen von vielen Menschen entgegenzuwirken, ist im Eilrechtsverfahren nicht zu beanstanden. Denn die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu gesicherten Brauchtumszonen im Freien im Sinne der Coronaschutzverordnung liege mangels eines vergleichbaren Sachverhalts nicht vor, weil in Brauchtumszonen keine Veranstaltungen stattfänden, vielmehr auch für Karnevalsveranstaltungen im Freien die gleichen Regelungen wie für sonstige Großveranstaltungen gälten, ist jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft. Es wird allerdings zu prüfen sein, in welchem Verhältnis dazu die Tatsache steht, dass auch beim Karneval diejenigen Gefahrenquellen (Anund Abreise, Zusammenkommen von noch mehr Menschen als bei Sportereignissen) bestehen, die den Verordnungsgeber bei anderen Veranstaltungen – hier bei Fußballspielen – zu einer stärkeren Restriktion veranlasst haben.

Schutz von Leib und Leben steht über Schutz vor finanziellen Einbußen

Die mithin vorzunehmende Folgenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich die Begrenzung der Zuschauerzahl aber als verfassungsgemäß, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. Es würde in das, zumindest nicht offensichtlich unvertretbare, Konzept des Verordnungsgebers zum Schutz von Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen und damit hoher Schutzgüter eingegriffen und die Erreichung des mit dem gegenwärtigen Pandemieschutzkonzept verfolgten Ziels gefährdet. Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, verletzt die Begrenzung der Zuschauerzahl aber den 1. FC Köln in seinen in der Landesverfassung enthaltenen Rechten, muss dieser zwar zu Unrecht nicht unerhebliche finanzielle Einbußen ertragen. Dabei kann auch Berücksichtigung finden, dass coronabedingte Einschränkungen von Fußballveranstaltungen inzwischen über einen bereits längeren Zeitraum zu Umsatzeinbußen geführt haben dürften. Allerdings handelt es sich dabei möglicherweise auch um einen Umstand, den der 1. FC Köln deshalb bei seinen wirtschaftlichen Entscheidungen umso mehr verlustmindernd einplanen muss.

Keine Existenzgefährdung

Zudem ist nicht hinreichend vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass diese Einbußen eine existenzgefährdende Auswirkung haben könnten. Dies erscheint insbesondere auf Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur wirtschaftlichen Situation des 1. FC Köln nicht der Fall zu sein. Von diesen Feststellungen hat der Verfassungsgerichtshof auszugehen, weil diese Tatsachenfeststellungen nicht offensichtlich fehlsam sind und die Würdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen nicht offensichtlich unzulänglich ist.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, ra-online (pm/cc)

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