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Wenn der Bebauungsplan für ein Gebiet die Art und Nutzung als reines Wohngebiet vorsieht, darf dort kein mehrgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus gebaut werden. Dadurch würden Rechte der Nachbarn auf Wahrung des Gebietscharakters verletzt. Das geht aus einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main hervor.
Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Nachbarn gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung vom Dezember 2005 angeordnet, „soweit die gewerbliche Nutzung des Erdgeschosses als Teil eines Wohn- und Geschäftshauses genehmigt ist.“ Der weitergehende Antrag, der sich insbesondere auch gegen die Errichtung der geplanten Tiefgarage wegen befürchteter Lärmemissionen auf die Wohnhäuser in der unmittelbaren Umgebung richtete, wurde abgelehnt. Geplant war der Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses nach Abriss der bestehenden Bebauung in diesem Bereich. Der Neubau sollte vier Vollgeschosse und ein Staffelgeschoss aufweisen. Im Erdgeschoss sollte eine gewerbliche Nutzung (genannt waren ein Laden, eine Büroeinheit und eine Praxis), in den Obergeschossen reine Wohnnutzung errichtet werden. Im Innenhof des Gebäudeblocks Juchostraße/Jacobystraße/Auerswaldstraße hatte die Bauaufsichtsbehörde der Stadt Frankfurt am Main den Neubau einer mehrgeschossigen Tiefgarage mit halbversetzten Ebenen und einer Kapazität von 104 Einstellplätzen bei einer Nutzfläche von ca. 2.900 qm vorgesehen. Gleichzeitig waren dem Bauherren Befreiungen vom einschlägigen Bebauungsplan bzgl. der Überschreitung der zulässigen Grundflächen- und Geschossflächenzahl erteilt worden.
Anwohner befürchteten eine zu hohe Verdichtung des Quartiers, der Antragsteller des vorliegenden Eilverfahrens legte Widerspruch gegen die Baugenehmigung nebst Befreiungen ein. Er trug u.a. vor, das Bauvorhaben widerspreche dem durch den Bebauungsplan vorgegebenen Gebietscharakter des reinen Wohngebietes. Die große Anzahl von Stellplätzen in einer für ein Wohngebiet überdimensionierten Tiefgarage mit einer Zu- und Abfahrtsrampe genau gegenüber seinem Mietswohnhaus verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot i. S. v. § 15 der Baunutzungsverordnung.
In seinem Eilbeschluss führt das Verwaltungsgericht aus, die im Bauschein „letztlich nach Wahl der Bauherrschaft genehmigte gewerbliche Nutzung des Erdgeschosses als Teil eines Wohn- und Geschäftshauses“ sei unzulässig und verletze den Antragsteller in seinem Recht auf Wahrung des Gebietscharakters. Geschäftshäuser seien ebenso wie Wohn- und Geschäftshäuser nach der Baunutzungsverordnung 1962, die vorliegend zur Anwendung komme, in Mischgebieten zulässig, nicht aber in reinen Wohngebieten. Der geltende Bebauungsplan treffe sowohl für das Baugrundstück als auch für das Gebiet, in dem das Grundstück des Antragstellers liege, die Festsetzung „reines Wohngebiet“. Der Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungsplänen komme aber grundsätzlich nachbarschützende Funktion zu, auf deren Wahrung der Nachbar einen Anspruch habe, den er mittels nachbarrechtlicher Abwehransprüche durchsetzen könne, sofern eine Baugenehmigung Gegenteiliges gestatte.
Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Bezeichnung der Räume in der Grundrisszeichnung des Erdgeschosses den Eindruck vermittle, „dass ein - nicht näher konkretisierter - Laden, eine nicht näher definierte Bürofläche und offensichtlich zwei (Arzt)Praxen zur Genehmigung gestellt sind, wobei in dem Grundrissplan zum Erdgeschoss die Forumlierung „Arztpraxis“ gar nicht verwandt wird…….“. Die Baubeschreibung stelle allerdings klar, dass in dem Bauvorhaben drei Gewerbeeinheiten geplant seien, je nach Nutzungsschwerpunkt und -bedarf. Da die endgültigen Mieter noch nicht feststünden, würden die Gewerbeeinheiten lediglich mit der technischen und sanitären Grundversorgung ausgestattet und seien darüber hinaus für den Eigenausbau vorgesehen. Die in der Baubeschreibung gewählten Bezeichnungen, wie „Arztpraxen, Läden für die Nahversorgung des Wohngebietes und soziale Einrichtungen“ stellten lediglich eine Absichtsbekundung der Bauherrschaft dar, ohne dass eine konkrete Nutzung in der Genehmigung einen Niederschlag gefunden habe. Damit eröffne die in der Baugenehmigung gewählte Bezeichnung „Neubau Wohn- und Geschäftshaus“ im Erdgeschoss eine Nutzung, wie sie allein in Wohn- und Geschäftshäusern von Mischgebieten gem. § 6 der Baunutzungsverordnung 1962 zulässig seien. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die gem. der Baubeschreibung bekundete Absicht der Unterbringung von Einrichtungen der Caritas (soziale Einrichtungen) Anlagen für soziale Zwecke darstellten, welche unter der hier einschlägigen Geltung der Baunutzungsverordnung 1962 nicht, auch nicht ausnahmsweise, zulässig seien.
Soweit der Antragsteller darüber hinaus den Umfang der Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Röderberg“ hinsichtlich der Grund- und der Geschossflächenzahl rüge, könne die Rechtmäßigkeit dieser Befreiungen vorliegend dahinstehen, weil dem Bebauungsplan keine nachbarschützende Wirkung dieser Festsetzungen entnommen werden könne. Allerdings sei der Befreiungsbescheid unzureichend, um die mit der Baugenehmigung beantragte Ausnutzung des Grundstücks zu tragen. Die Bauaufsichtsbehörde habe nämlich zu Unrecht den zum Abriss vorgesehenen und auch zwischenzeitlich abgerissenen Bestand zu Grunde gelegt und auf dieser Basis die Ausnutzungsziffern im Sinne einer „Fortentwicklung“ errechnet. Auch aus der genehmigten Gebäudehöhe könne der Antragsteller kein Abwehrrecht herleiten. Der Bebauungsplan treffe nämlich keine Festsetzungen zur Höhe der Gebäude. Das Bauvorhaben entfalte im Übrigen auch keine erdrückende Wirkung auf die Nachbarschaft mit der Folge, dass es auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung ausnahmsweise unzulässig wäre.
Auch die Anordnung der Zufahrt zur Tiefgarage mit 104 Stellplätzen begründe kein nachbarliches Abwehrrecht. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass in der Tiefgarage jeweils 30 Stellplätze für bereits bestehende Gebäude vorgesehen seien. Auch in reinen Wohngebieten könnten Gemeinschaftsanlagen für Stellplätze und Garagen vorgesehen werden. Auch im reinen Wohngebiet könne der Stellplatzbedarf des Gebietes bei der Errichtung von Stellplätzen und Garagen einbezogen werden, nicht nur der durch die bauliche Nutzung des Grundstücks selbst hervorgerufene - 3 - Bedarf. Vorrangig sei die Entlastung des öffentlichen Verkehrsraums von abgestellten Fahrzeugen, was hier zulässiger Weise beabsichtigt sei. Wesentlich sei die Akzeptanz der Stellplätze durch die potentiellen Nutzer, was voraussetze, dass die Entfernung zwischen dem notwendigen Stellplatz und der baulichen Anlage, deren Zu- und Abgangsverkehr bewältigen solle, nicht zu groß sei. Die nachteiligen Auswirkungen des Kraftfahrzeugsverkehrs aus fremden Baugebieten müssten die Anwohner nicht tragen. Dies sei aber vorliegend auch nicht der Fall. Es sei auch vorliegend nichts Konkretes dazu vorgetragen, dass die Garageneinfahrt gesundheitsgefährdende Auswirkungen auf den Antragsteller haben werde. Insbesondere seien die Auflagen des Regierungspräsidiums Darmstadt zur Sicherstellung der Einhaltung der Immissionsrichtwerte der TA Lärm in reinen Wohngebieten zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht worden. Nur wenn Veranlassung bestehe anzunehmen, dass diese Immissionsrichtwerte überhaupt nicht eingehalten werden könnten, bestünde Veranlassung, diese Anordnung für ungenügend zu halten. Dazu fehle es aber vorliegend an substantiiertem Vortrag.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 02.08.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 18/06 des VG Frankfurt am Main vom 22.05.2006
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Dokument-Nr. 2601
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