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Verwaltungsgericht Braunschweig, Urteil vom 08.02.2017
9 A 246/16; 9 A 340/16; 9 A 197/16 und 9 A 183/16 -

Asylantragsteller aus Syrien haben nicht grundsätzlich Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlings­eigenschaft

Nicht jedem Asylantragsteller droht bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung

Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat entschieden, dass Asylantragstellern bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus nicht bereits allein deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung droht, weil sie illegal ausgereist sind, in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben und sich im Zuge dessen längerfristig in Deutschland aufgehalten haben.

Anerkannte Flüchtlinge genießen gegenüber (lediglich) subsidiär Schutzberechtigten Erleichterungen, insbesondere beim Familiennachzug; eine Abschiebung droht aber auch subsidiär Schutzberechtigten nicht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte den Klägern des zugrunde liegenden Verfahrens statt der Flüchtlingseigenschaft jeweils nur den subsidiären Schutzstatus zuerkannt. Hiergegen richteten sich die Klagen, mit welchen die Kläger die Zuerkennung der weitergehenden Flüchtlingseigenschaft begehrten.

Anhaltspunkte für drohende Verfolgung bei Rückkehr ins Heimatland nicht gegeben

Das Verwaltungsgericht Braunschweig ist der Ansicht, dass unverfolgt aus Syrien ausgereisten Asylbewerbern nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung droht, allein weil sie illegal ausgereist sind, einen Asylantrag gestellt haben und sich längerfristig im westlichen Ausland aufgehalten haben. Selbst wenn anzunehmen wäre, dass unverfolgt ausgereisten Syrern bei Rückkehr in ihre Heimat beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung drohen würde, so wäre eine solche Verfolgungsgefahr nach Ansicht des Gerichts jedenfalls nicht aus einem asylrechtlich relevanten Verfolgungsgrund gegeben. Es fehle an der notwendigen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen mit einem Verfolgungsgrund. So gäbe es nach Auffassung des Gerichts anhand der vorliegenden Erkenntnisse keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechneten.

Andere Bewertung der Sachlage bei Wehrdienstverweigerern

Anders hat das Verwaltungsgericht Braunschweig die Fälle beurteilt, in denen sich Personen dem Wehrdienst in Syrien entzogen haben. Grundsätzlich sei die Schwelle, ab deren Überschreiten einem Rückkehrer seitens der syrischen Regierung eine vermeintlich oppositionelle Haltung zugeschrieben werde, niedrig anzusetzen. Bei Personen, welche sich dem Wehrdienst entzogen haben - unabhängig davon, ob diese erstmals der Wehrpflicht unterliegen oder ob es sich um Reservisten handelt - sah das Gericht die Verdachtsschwelle jedenfalls als überschritten an. Rückkehrer, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, laufen nach Ansicht des Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, deswegen bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien menschenrechtswidrigen Behandlungen ausgesetzt zu sein, weil die Entziehung von der Wehrpflicht seitens des syrischen Regimes als illoyal wahrgenommen werde und der Wehrdienstpflichtige in den Verdacht gerate, eine abweichende, oppositionelle politische Einstellung zu vertreten.

Rechtliche Grundlagen:

§ 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe

2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,

a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder

b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

§ 3 a Verfolgungshandlungen

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder

2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,

6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3 b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

§ 3 b Verfolgungsgründe

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

[...]

5. unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3 c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

§ 4 Subsidiärer Schutz

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,

2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder

3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(3) Die §§ 3 c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 28.02.2017
Quelle: Verwaltungsgericht Braunschweig/ra-online

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