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Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 09.04.2014
S 49 AS 2184/12 -

Jobcenter muss Kosten für Besuchsfahrten zum inhaftierten Sohn übernehmen

Fahrten zum Gefängnis stellen besonderen Bedarf dar

Das Sozialgericht Braunschweig hat entschieden, dass das Jobcenter die Kosten, die einer Leistungs­empfängerin für die Besuchsfahrten zu ihrem inhaftierten Sohn entstanden sind, übernehmen muss.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin und ihr Ehemann bildeten zusammen mit ihrem 1991 geborenen Sohn eine so genannte Bedarfsgemeinschaft. Im Januar 2012 wurde ihr Sohn zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, seit April 2012 befindet er sich in der Jugendanstalt in Hameln. Die Eltern besuchen ihren Sohn dort mindestens zwei Mal im Monat. Der Ehemann der Klägerin leidet an einer Angststörung. Aus gesundheitlichen Gründen kann er öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen.

Klägerin beantragt Übernahme der Fahrtkosten durch Jobcenter

Im Mai 2012 beantragte die Klägerin beim Jobcenter die Übernahme der Kosten für die Fahrten mit ihrem PKW zur Jugendanstalt in Hameln. Es sei ihr nicht möglich, die dafür anfallenden Kosten aus den laufenden Zahlungen des Jobcenters zu bestreiten. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab. Es sei für die Klägerin zumutbar, die Kosten aus dem Regelsatz zu bestreiten. Das dagegen durchgeführte Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Im August 2012 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Braunschweig Klage gegen die ablehnende Entscheidung des Jobcenters.

SG verurteilt Jobcenter zur Kostenübernahme

Das Sozialgericht Braunschweig gab der Klägerin Recht und verurteilte das Jobcenter zur Übernahme der Fahrkosten. Dabei hat die Kammer bei der Berechnung des Anspruchs eine Kilometerpauschale in Höhe von 0,10 Euro zugrunde gelegt, mithin 23,60 Euro je Fahrt.

Besuchsfahrten der Eltern zu ihrem Sohn zur Aufrechterhaltung des Familienzusammenhalts erforderlich

Die Kammer sieht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung der Fahrkosten als erfüllt an. Gesetzliche Grundlage für den Anspruch ist § 21 Absatz 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Bei den Fahrten zum Gefängnis handele es sich um einen besonderen Bedarf, der nicht typischerweise bei SGB II-Leistungsbeziehern auftrete. Die Besuchsfahrten der Eltern zu ihrem Sohn sind nach Ansicht der Kammer auch erforderlich, um den Familienzusammenhalt aufrecht zu erhalten und für eine soziale Integration nach Ende der Haft vorzusorgen. Es sei der Klägerin auch nicht zuzumuten, die Kosten für die Fahrten aus der ihr zur Verfügung stehenden Regelleistung anzusparen. Es handele sich bei den entstehenden Kosten in Höhe von 47,20 Euro monatlich nicht um einen "Bagatellbetrag."

§ 21 Absatz 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II):

Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Hinweis

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 9. Februar 2010 entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG erfüllen. So fehle es an einer Öffnungsklausel, die die Möglichkeit eines zusätzlichen Leistungsanspruchs einräume, mit dem ein besonderer, unabweisbarer Bedarf gedeckt werden könne. Der Gesetzgeber ist dem nachgekommen und hat (u. a.) mit § 21 Absatz 6 SGB II eine Vorschrift eingefügt, mit der besondere Lebens- und Bedarfslagen abgedeckt werden können. Als eine besondere Bedarfslage sind u. a. Kosten für familiäre Kontakte (Umgang) anerkannt.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 23.06.2014
Quelle: Sozialgericht Braunschweig/ra-online

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