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Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 03.04.2012
17 UF 352/11 -

Bei türkischen Ehescheidungen gilt neben dem Zerrüttungsprinzip auch das Verschuldensprinzip

Der allein oder überwiegend Schuldige ist nicht zu einer Ehescheidung berechtigt

Das türkische Scheidungsrecht kennt neben dem Zerrüttungs- auch das Verschuldensprinzip. Trifft einem der Ehegatten die alleinige oder überwiegende Schuld an der Zerrüttung, so kann dieser keinen Scheidungsantrag stellen. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein türkisches Ehepaar lebte seit 2005 getrennt voneinander. Im Mai 2006 reichte die Ehefrau einen Scheidungsantrag ein. Sie wollte damit verhindern, dass sich der Ehegatte in die Türkei absetzt und seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr nachkommt. Der Ehemann widersprach der Scheidung. Es kam zu einer mündlichen Verhandlung, in der die Ehefrau den Scheidungsantrag jedoch nicht mehr stellte. Im März 2011 begehrte der Ehemann die Fortsetzung des Scheidungsverfahrens. Die Ehefrau nahm daraufhin ihren Scheidungsantrag zurück und widersprach der Scheidung, da sie sich nicht mehr von ihrem Ehemann scheiden lassen wollte. Sie befürchtete sonst einen Ansehensverlust. Das Familiengericht Stuttgart-Bad Cannstatt hat die Ehe nach türkischem Recht geschieden. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Ehe zerrüttet gewesen sei. Der Widerspruch der Ehefrau sei rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich gewesen. Gegen diese Entscheidung legte sie Beschwerde ein. Sie war der Meinung, dem Ehegatten habe aufgrund seiner Gewalttätigkeit in der Ehe kein Scheidungsrecht zugestanden. Zudem stehe ihr ein Widerspruchsrecht zu, da der Ehemann für die Zerrüttung der Ehe allein verantwortlich sei.

Scheidung aufgrund Antrags des Ehemanns unzulässig

Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied zu Gunsten der Ehefrau. Es führte zunächst aus, dass die Ehescheidung nach türkischem Recht zu beurteilen gewesen sei (Art. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB). Der Ehemann sei demnach nicht berechtigt gewesen einen Scheidungsantrag einzureichen.

Scheidungswilliger Ehegatte darf kein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe tragen

Nach Art. 166 Abs. 1 des türkischen Zivilgesetzbuchs (tZGB) sei jeder Ehegatte berechtigt einen Scheidungsantrag einzureichen, so das Oberlandesgericht weiter, sofern jedenfalls die eheliche Gemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden könne. Daneben dürfe dem scheidungsunwilligen Ehegatten entweder gar kein oder zumindest nur ein geringfügiges Verschulden an der Zerrüttung anzulasten sein. Denn der Ehegatte, der allein oder weitüberwiegend verantwortlich ist, habe nicht das Recht einen Scheidungsantrag zu stellen.

Ehemann trug alleiniges Verschulden an der Zerrüttung der Ehe

Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe sei hier nach Auffassung des Gerichts dem Ehemann allein anzulasten gewesen. Denn dieser sei aus der Wohnung ausgezogen und habe trotz bestehender Ehe eine neue Partnerin gehabt. Er sei daher nicht dazu berechtigt gewesen, die Scheidung zu beantragen. Eine Mitschuld seiner Ehefrau habe er demgegenüber nicht nachweisen können. Insbesondere habe der Umstand, dass sie selbst einen Scheidungsantrag gestellt hatte, nicht zur Annahme eines Verschuldens geführt. Denn dies habe sie nur im Interesse ihrer Kinder getan.

Widerspruch der Ehefrau war unerheblich

Auf dem von der Ehefrau erklärten Widerspruch sei es aus Sicht der Richter nicht mehr angekommen. Nach § 166 Abs. 2 tZGB könne der Ehegatte, der an dem Scheitern der Ehe weniger Schuld trifft, dem Scheidungsantrag widersprechen. Da der Ehemann hier die alleinige bzw. überwiegende Schuld getragen habe, wäre er zulässig gewesen.

Widerspruch wäre nicht rechtsmissbräuchlich gewesen

Darüber hinaus wäre nach Ansicht des Oberlandesgerichts der Widerspruch nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Zwar stehe dem Ehegatten ein Widerspruchsrecht nicht zu, wenn sein Widerspruch ohne ersichtlichen Grund eingelegt wurde, obwohl dem Widersprechenden in Wahrheit nichts am Fortbestand der Ehe liege. Ein solcher Fall habe hier aber nicht vorgelegen. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass eine geschiedene Frau in der türkischen Gesellschaft ein geringeres Ansehen habe, als eine verheiratete. Es sei daher nicht rechtsmissbräuchlich gewesen, wenn die Ehefrau nicht das "Stigma" der geschiedenen Ehefrau auf sich nehmen habe wollen.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 10.04.2013
Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart, ra-online (vt/rb)

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Fundstellen in der Fachliteratur:
  • FamRZ 2012, 1497Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2012, Seite: 1497

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