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Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 27.08.2024
3 U 81/23 -

Gurtpflicht ist eine drittschützende Norm und nichtangeschnallte Fahrzeuginsassen haften bei einem Unfall mit

Gesetzliche Anschnallpflicht soll auch andere Fahrzeuginsassen schützen

Das Oberlandesgericht Köln hat entschieden, dass Fahrzeuginsassen, die entgegen der Gurtpflicht gemäß § 21 a Abs. 1 der Straßen­verkehrs­ordnung nicht angeschnallt sind und dadurch andere Mitfahrer verletzen, selbst haftbar gemacht werden können. Bei der gesetzlichen Gurtpflicht handele sich um eine Norm, die auch die anderen Fahrzeuginsassen schützen solle. Das durch den Verstoß gegen die Gurtpflicht begründete Mitverschulden tritt hier im Fall aber hinter dem ganz überwiegenden Verschulden des Unfallverursachers zurück.

Im konkreten Fall blieb die Klage der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers wegen der behaupteten Verletzungen der Beifahrerin des anderen Fahrzeugs jedoch erfolglos. Der Unfallverursacher haftete für die Verletzungen der Beifahrerin des anderen Fahrzeugs. Er nahm die Beklagte, die nicht angeschnallt hinter der Beifahrerin saß, in Anspruch und behauptete, die Knie der Beklagten seien in die Rücklehne der Beifahrerin eingedrungen, was zu weiteren Schäden geführt habe. Der Senat hat eine Mithaftung der Beklagten abgelehnt, weil der Gurtpflichtverstoß gegenüber dem erheblichen Verschulden des stark alkoholisierten und die zulässige Höchst-geschwindigkeit erheblich überschreitenden Versicherungsnehmers der Klägerin vollständig zurücktrete.

Sachverhalt

Im September 2018 gegen 22.15 Uhr befuhr der Versicherungsnehmer der Klägerin mit seinem Pkw Audi A5 Coupé die Landstraße 121 in Höhe der Überquerung der Bundesautobahn 560 in Sankt Augustin-Buisdorf. Er war stark alkoholisiert (Blutalkoholkonzentration: 1,76 Promille) und fuhr mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit (150 bis 160 km/h statt zulässiger 70 km/h). Ihm kam der mit drei Insassinnen besetzte Pkw Skoda Citigo entgegen, auf dessen Beifahrersitz die damals 36 Jahre alte Geschädigte saß und hinter der sich auf der Rückbank die nicht angeschnallte 38-jährige Beklagte befand. Der Pkw Audi kam von der Fahrbahn ab und stieß mit dem Pkw Skoda Citigo zusammen, wobei der Versicherungsnehmerin der Klägerin verstarb und die Insassen des anderen Fahrzeugs schwere Verletzungen erlitten.

Versicherung verlangt Geld von nicht angeschnallter Person

Die Klägerin nimmt die Beklagte als behauptete Mitverursacherin der Verletzungen der Geschädigten auf Erstattung von 70 % der von ihr bisher an diese in sechsstelliger Höhe erbrachten Leistungen sowie für künftige Zahlungen in Anspruch. Sie verweist auf Sachverständigengutachten, wonach die Nichteinhaltung der Gurtpflicht durch die Beklagte dazu geführt habe, dass deren Knie im Zeitpunkt des Aufpralls in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen seien und erhebliche Verletzungen der Geschädigten im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Brustkorbs verursacht hätten.

Anschnallpflicht ist drittschützende Norm

Das OLG hat die Berufung der klagenden Versicherung gegen das klageabweisende Urteil des LG Bonn zurückgewiesen und dadurch die Ablehnung einer Mithaftung der Beklagten für die unfallbedingten Verletzungen der Geschädigten bestätigt. Die von § 21 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StVO geregelte Gurtpflicht stelle zwar eine drittschützende Norm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, weil die Fahrzeuginsassen gerade auch vor den Folgen der Verletzung durch nicht angeschnallte andere Mitfahrer bewahrt werden sollten. Der BGH gehe von einem Mitverschulden des Geschädigten bei Verletzung der eigenen Gurtpflicht aus. Es gelte – so der Senat – aber auch für Verletzungen anderer Fahrzeuginsassen.

Die gesetzliche Begründung für die Einführung der Gurtpflicht auf den Vordersitzen aus dem Jahre 1975 stelle darauf ab, dass gerade auch aus Zusammenstößen von Fahrzeuginsassen erhebliche Gefahren herrührten. Die Gurtpflicht sei im darauffolgenden Jahrzehnt auf sämtliche Fahrzeuginsassen ausgedehnt und bußgeldbewehrt worden. Das vom Senat zugrunde gelegte, weite Verständnis des Schutzzwecks der Gurtpflicht diene der Verkehrssicherheit und dem Schutz der individuellen Rechte aller Verkehrsteilnehmer; es stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie anderer Obergerichte zur Bußgeldbewehrung der Gurtpflicht. Ebenso füge es sich in das haftungsrechtliche Gesamtsystem ein.

Strafwürdiges Verhalten des betrunkenen Autofahrers überwiegt

Der Senat hat jedoch offengelassen, ob bei dem vorliegenden Unfall die Knie der Beklagten in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen waren und dies zu den Wirbelsäulenverletzungen der Geschädigten geführt hatte. Angesichts des strafwürdigen, grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhalten des Versicherungsnehmers der Klägerin trete eine mögliche Mithaftung der nicht angeschnallten Beklagten zurück. Hierzu hat der Senat auf die von der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Höhe der Mithaftung des Verletzten bei Nichteinhaltung der Gurtpflicht im Falle eigener Verletzungen zurückgegriffen und ist von einem vergleichbaren Ausnahmefall ausgegangen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 09.09.2024
Quelle: Oberlandesgericht Köln, ra-online (pm/ab)

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