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Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 22.05.2014
2 U 574/12 -

Verantwortlicher Vorgesetzter haftet für Absturz wegen fehlender Sicherung bei Dacharbeiten

Schutzpflichten gelten auch in Fällen der Überlassung von Arbeitnehmern

Werden Arbeitnehmer vorübergehend einem anderen Unternehmen zur Durchführung von Montagearbeiten auf einer Baustelle überlassen, hat der dortige Vorgesetzte die Pflicht, keine Tätigkeiten zuzuweisen, bei denen mangels berufs­genossen­schaftlich vorgeschriebener Schutzmaßnahmen die Gefahr von Gesundheitsschäden besteht. Lässt er die Arbeiter entgegen eindeutiger Sicherheits­bestimmungen ungesichert auf dem Dach arbeiten und kommt es dabei zu einem Unfall, kann dies dazu führen, dass der zuständige Sozial­versicherungs­träger seine unfallbedingt an den Geschädigten geleisteten Aufwendungen vom Vorgesetzten ersetzt verlangen kann. Dies entschied das Oberlandesgericht Koblenz und bestätigte damit die vorausgegangene Entscheidung des Landgerichts Mainz, das den beklagten Vorgesetzten zur Zahlung von insgesamt 942.436,13 Euro verurteilt hatte.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die klagende Berufsgenossenschaft beansprucht Ersatz ihrer Aufwendungen, die ihr infolge eines Arbeitsunfalls ihres Versicherten entstanden sind.

Unfallstelle entsprach nicht den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften

Die mit der Errichtung des Daches eines Kantinengebäudes in Paderborn beauftragte Arbeitgeberin des Beklagten verfügte nicht über genügend eigenes Montagepersonal. Die Arbeitgeberin des Geschädigten stellte ihr daher zwei ihrer Arbeitnehmer - darunter den Geschädigten selbst - für die durchzuführenden Arbeiten zur Verfügung. Verantwortlicher auf der Baustelle war der im Bezirk des Landgerichts Mainz wohnhafte Beklagte. Am 21. November 2002 verlor der Geschädigte im Verlauf der Arbeiten das Gleichgewicht und stürzte von einer Mauer 5,50 m tief auf den darunter befindlichen Betonboden. Er zog sich schwerste Schädel- und Wirbelverletzungen zu und ist seitdem querschnittsgelähmt. Die Unfallstelle war zum Unfallzeitpunkt nur in einzelnen Teilflächen mit Sicherheitsnetzen gegen Abstürze gesichert und entsprach nicht den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften. Hierauf war der Beklagten kurz vor dem Unfall ausdrücklich hingewiesen worden. Das Landgericht Mainz hat der Klage auf Ersatz der überwiegend für Heilbehandlung und Berufshilfe geleisteten Aufwendungen sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Aufwendungen stattgegeben.

Versicherungsfall wurde grob fahrlässig herbeigeführt

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht Koblenz nun zurückgewiesen. Der Beklagte habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt und hafte gegenüber dem Sozialversicherungsträger im Wege des Rückgriffs nach § 110 Abs. 1 SGB VII. Er sei als Verantwortlicher in der konkreten Situation verpflichtet gewesen, den ihm unterstellten Arbeitnehmern keine die Gesundheit gefährdenden Arbeiten zuzuweisen. Die Verpflichtung bestehe auch gegenüber Arbeitnehmern eines anderen Unternehmens, wenn sie im Rahmen einer vorübergehenden Tätigkeit im Betrieb eingesetzt würden. Seine Sorgfaltspflichten habe der Beklagte in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Dem geschädigten Arbeitnehmer sei kein Mitverschulden anzulasten, da er lediglich einer Anordnung seines weisungsbefugten Vorgesetzten entsprochen habe.

Betriebshaftpflichtversicherer der Arbeitgeberin des Beklagten muss für den vom Beklagten verursachten Schaden eintreten

Die Haftung des Beklagten werde auch nicht durch arbeitsrechtliche Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung relativiert. Soweit die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung im Einzelfall im Hinblick auf ein mögliches Missverhältnis zwischen dem Verdienst des haftenden Arbeitnehmers - hier des Beklagten - und dem Schadensrisiko seiner Tätigkeit bzw. einer ihm drohenden wirtschaftlichen Existenzgefährdung Haftungserleichterungen in Betracht ziehe, bedürfe es der Heranziehung dieser Grundsätze nicht. Denn der Sozialversicherungsträger könne nach seinem Ermessen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers aufgrund der hier einschlägigen Regelung des § 110 Abs. 2 SGB VII auf Ersatzansprüche ganz oder teilweise verzichten. Aktuell gebe es für die klagende Berufsgenossenschaft aber auch keinen Anlass für einen derartigen Verzicht, da der Betriebshaftpflichtversicherer der Arbeitgeberin des Beklagten für den vom Beklagten verursachten Schaden einzutreten habe.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 25.07.2014
Quelle: Oberlandesgericht Koblenz/ra-online

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