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Das Oberlandesgericht Hamm gab Eltern Recht, die die lebenserhaltenden Maßnahmen für ihre im Wachkoma liegende vierjährige Tochter nicht fortsetzen lassen wollten.
Mit dieser Entscheidung hob das Oberlandesgericht (OLG) den zuvor ergangenen Beschluss des Amtsgerichts Minden auf, welches den Eltern einen Teil der elterlichen Sorge für ihre Tochter entzogen hatte, nämlich das
Die Eltern hatten sich gegen diesen Beschluss des Amtsgericht gewandt. Sie begründeten dies damit, dass der Zustand ihres sich im apallischen Syndrom befindenden Kindes irreversibel sei. Dies bedeute nach schulmedizinischem Konsens, dass es für immer ohne Bewusstsein sei und für immer kognitive Denkvorgänge der Großrinde unmöglich seien, weil für diese eben eine Funktion der Großhirnrinde notwendig sei, welche bei dem Kind irreversibel geschädigt sei (apallisch).
Die Eltern führten aus, dass bei minderjährigen Kindern die Eltern das Recht hätten, für das Kind die Zustimmung zu einer ärztlichen Behandlung zu erklären oder zu verweigern. Angesichts des Alters ihres Kindes von nur vier Jahren bedürfe es keiner vertiefenden Betrachtung, dass die Eltern dabei mit wachsender Reife die eigenen Wünsche des Kindes zu beachten hätten. Den Eltern stehe es gemäß Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) als natürliches Recht und als die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht zu, für ihr Kind Entscheidungen über die Zuführung zu ärztlicher Behandlung zu treffen. Ihnen als Eltern stehe ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht zu, eine Entscheidung für ihr Kind nach ihrer eigenen elterlichen Wertewelt zu treffen. Sie dürften aktuell für das Kind so entscheiden, wie sie auch aktuell über ihre eigene Behandlung entscheiden dürften. Dies sei der Kerngehalt des Grundrechts des Artikel 6 GG.
Dieses Grundrecht finde seine Grenzen nur im objektiven Wohl des Kindes. Sie hätten sich als Eltern entschieden, ihr Kind sterben zu lassen, indem die künstliche Lebenserhaltung durch die Ernährungstherapie beendet werde. Der Sterbevorgang solle palliativmedizinisch so therapiert werden, dass das Kind nach ärztlichem und menschlichem Ermessen nicht einmal über basale Wahrnehmungen Leid empfinden könne. Das Zulassen des symptomfreien Sterbens widerspreche nicht dem Wohl des Kindes. Zum einen leide es an der schwersten Gesundheitsschädigung, die ein Mensch erleiden könne. Zum anderen sei auszuschließen, dass sich an diesem Zustand jemals etwas Gravierendes ändere. Einziges Ziel der lebenserhaltenden Therapie sei das Erreichen der Schmerzlosigkeit unter Inkaufnahme der weitgehenden Reduzierung selbst basaler Reatktionsfähigkeiten. Es solle also das Empfinden des Schmerzes durch das gänzliche Ausschalten von letzten Empfindungsmöglichkeiten des allein funktionierenden Stammhirns ausgeschlossen werden. Damit entfielen aber auch die letzten Argumente für eine Lebenserhaltung des Kindes, nämlich das wenigstens basale Teilnehmen an der Umwelt. Es gehe nicht um eine Entscheidung darüber, ob das Leben eines solchermaßen leidenden Wachkomapatienten lebenswert oder lebensunwert sei. Es gehe in diesem Verfahren allein darum, ob die Eltern mit der Entscheidung, ihr Kind sterben zu lassen, ihren verfassungsrechtlich geschützten Entscheidungsspielraum überschritten hätten.
Das Oberlandesgericht Hamm gab den Eltern in seiner Entscheidung recht. Eine Kontaktaufnahme des Kindes im Sinne einer bewussten Willensbestätigung oder auch nur als Zeichen vorhandenen Bewusstseins lasse sich nach gegenwärtigem Erkenntnisstand und dem Stand der medizinischen Wissenschaft mit Sicherheit ausschließen. Das gelte auch für eine Kommunikation auf „nonverbaler Ebene“, soweit damit irgendeine Bewusstseinsbetätigung gemeint sei. Soweit damit aber nur reflexartige Reaktionen auf eingebrachte körperliche Reize gemeint seien, seien diese nach zutreffender Ansicht aller Beteiligter auch weiterhin möglich, aber als reine Stammhirnfunktionen keine geeigneten Anzeichen für Reste von Bewusstsein. Soweit der durch das Amtsgericht eingesetzte Amtspfleger in seiner Stellungnahme die Möglichkeit zu einer Wiederherstellung der Fähigkeit des Kindes zu einer Kontaktaufnahme unterstelle, gehe er von falschen Voraussetzungen aus.
Die Voraussetzungen für einen – auch nur partiellen – Sorgerechtsentzug gemäß §§ 1666, 1666 a BGB, so das OLG, ließen sich nicht feststellen. Die Eltern hätten, ausgehend von zutreffenden tatsächlichen Gegebenheiten und in Kenntnis ihrer Rechte, Pflichten und ihrer Verantwortung, eine nach bürgerlichem Recht und verfassungsrechtlich garantiert zuvörderst ihnen zukommende Entscheidung nach reiflicher Überlegung getroffen. Anhaltspunkte für einen Sorgerechtsmissbrauch lägen nicht vor. Maßstab sei insoweit nicht, ob ein anderer Entscheidungsträger ein ihm zustehendes Ermessen möglicherweise anders ausgeübt hätte. Jedenfalls wäre das Ermessen nicht zwingend auszuüben.
Ein Sorgerechtsmissbrauch ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Entscheidung der Eltern möglicherweise oder sogar wahrscheinlich den Tod des Kindes zur Folge hätte. In ihrer konkreten Situation ohne die Perspektive einer Besserung seiner gesundheitlichen Situation, ohne nach medizinischem Ermessen greifbare Wahrscheinlichkeit der Wiedererlangung irgendeiner Bewusstseinsfunktion und einhergehend mit weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nur durch weitere invasive Eingriffe gemildert werden könnten, erscheine dem Gericht auch aus Sicht des Kindeswohls im Lichte des mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechts auf eine menschenwürdige Behandlung die Entscheidung, einer Fortsetzung der lebenserhaltenden Maßnahmen nicht weiter zustimmen zu wollen, als einfühlbar und das Kindeswohl wahrend.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere […]
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. […]
(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 24.09.2008
Quelle: ra-online
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Dokument-Nr. 6739
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