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Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 21.07.2011
11 Sa 2248/10 -

LAG Hamm: Anonyme Briefe an Angehörige verstorbener Patienten rechtfertigen keinen Schadensersatzanspruch eines Krankenhauses bei rückläufigen Patientenzahlen

Klage in Höhe von 1,5 Millionen Euro gegen eine Chefärztin und ihren Lebensgefährten abgewiesen

Eine zuvor gekündigte Chefärztin und ihr Lebensgefährte können nicht zu Schadensersatzansprüchen herangezogen werden, nachdem Sie anonyme Briefe an Angehörige verstorbener Patienten geschrieben und auf angebliche Fehler des Krankenhauses hingewiesen haben. Kommt es durch die Erstattung einer anonymen Anzeige bei der Polizei zudem zu Presseberichterstattungen über das Krankenhaus, die zu einem Patientenrückgang im Krankenhaus führen, rechtfertigt dies auch bei erwiesener Unschuld hinsichtlich der Vorwürfe keinen Schadensersatzanspruch des Krankenhauses. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Hamm.

Die Arbeitgeberin des zugrunde liegenden Streitfalls führt ein Krankenhaus mit mehr als 7.000 Arbeitnehmern. Die beklagte Chefärztin war dort seit Juli 2007 in der Klinik und Poliklinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (THG) tätig. Anfang Oktober kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Klinikdirektor der THG, der beklagten Chefärztin und weiteren Mitarbeitern. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Chefärztin im November 2007 zum Ende des Monats. Die Chefärztin erhob Kündigungsschutzklage; die Parteien einigten sich schließlich darauf, dass das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2008 endet.

Krankenhaus erhält teils anonyme Beschwerden und Anzeigen

Seit Ende Februar 2008 gingen bei der Arbeitgeberin – teils anonyme – Beschwerden über Qualitätsmängel und unklare Todesfälle ein. Im Juni bis August 2008 wurden bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamm mehrere anonyme Anzeigen gegen den Klinikdirektor der THG wegen fahrlässiger Tötungsdelikte erhoben. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen den Klinikdirektor wurde wegen erwiesener Unschuld eingestellt.

Hinterbliebene erhalten anonyme Schreiben mit Hinweis, dass Patiententod vermeidbar gewesen wäre

Im Juni und Juli 2008 erhielten Angehörige von Patienten, die im THG verstorben waren, anonyme Schreiben, in denen ausgeführt wird, dass der Tod der Patienten vermeidbar gewesen wäre. In einem anonymen Schreiben, das an den Südwestfunk Mainz gerichtet war, sind 23 Fälle mit Komplikationen beschrieben worden.

Lebensgefährte der Chefärztin war Verfasser anonymer Briefe

Der Lebensgefährte der Chefärztin gestand im September 2008 ein, Verfasser dieser anonymen Schreiben gewesen zu sein.

Krankenhaus entstand durch anonymen Schreiben Schaden in Millionenhöhe

Die Arbeitgeberin meint, die anonymen Schreiben rührten ebenfalls von der beklagten Chefärztin her. Die Informationen in den Schreiben habe allein sie besitzen können, nicht aber ihr Lebensgefährte. Infolge der Berichterstattung, die durch die anonymen Schreiben hervorgerufen worden sei, habe das Krankenhaus einen dramatischen Rückgang der Patientenzahlen hinnehmen müssen. Es sei ein Schaden von mindestens 3,7 Millionen Euro entstanden. Einen Teilbetrag von 1,5 Millionen Euro fordert die Arbeitgeberin von beiden Beklagten als Gesamtschuldner ein.

Beklagte Chefärztin verneint Zusammenhang zwischen anonymen Schreiben und behaupteten Schaden

Die Beklagten sind der Auffassung, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den anonymen Schreiben und dem behaupteten Schaden. Die Patientenzahlen seien zurückgegangen, weil die beklagte Chefärztin das Krankenhaus verlassen habe.

Beweise für tatsächlich entstandenen Schaden liegen nicht vor

Das Arbeitsgericht Münster hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Arbeitgeberin habe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass tatsächlich ein Schaden in Höhe von 1,5 Millionen Euro entstanden sei.

Erstattung einer Strafanzeige ist grundsätzlich rechtlich geschütztes Verhalten

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts Münster bestätigt. Es hat die Verantwortlichkeit der ehemaligen Chefärztin nicht klären müssen, da bereits keine Ursächlichkeit eines pflichtwidrigen Verhaltens festzustellen ist. Der Lebensgefährte habe bei der Erstattung der anonymen Anzeigen an die Staatsanwaltschaft und Polizei nicht damit rechnen müssen, dass die Ermittlungsbehörden den Fall in dieser Weise in die Öffentlichkeit tragen würden. Die Erstattung einer Strafanzeige sei grundsätzlich ein rechtlich geschütztes Verhalten, das nur bei Mutwilligkeit oder bei völliger Haltlosigkeit (z.B. wider besseres Wissen oder leichtfertig) ein kausales pflichtwidriges Verhalten darstelle und zur Schadensersatzverpflichtung führen könne. Ob und in welcher Höhe ein Schaden entstanden ist, musste das Gericht deshalb nicht entscheiden.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 22.07.2011
Quelle: Landesarbeitsgericht Hamm/ra-online

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