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Verbleiben nach der Anhörung eines Arbeitnehmers im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Verdachtskündigung Zweifel am Tathergang, obliegt es dem Arbeitgeber im Rahmens seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung die Personen zu befragen, die an dem Vorfall beteiligt waren oder Kenntnis über ihn haben.
In dem zu entscheidenden Fall arbeitete eine Mitarbeiterin seit vielen Jahren in einer Klinik als Hebamme. Bei Geburten müssen häufig starke Schmerzmittel verabreicht werden, deren unsachgemäße Anwendung zu einer Suchterkrankung führen kann. Der Arbeitgeber hatte eine Anweisung über den Umgang mit diesen Schmerzmitteln erteilt, die ein formalisiertes Verfahren für den Verbrauch vorgeschrieben hat. Nachdem der Eindruck entstand, die Mitarbeiterin verbrauche überdurchschnittlich viel eines bestimmten besonderes starken Schmerzmittels wurden mit ihr mehrfach Gespräche über die Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentenvergabeaufzeichnung geführt. Als dann festgestellt wurde, dass der Patientin A ein anlässlich der Entbindung ihres Kindes verschriebenes starkes Schmerzmittel nicht erhalten hatte und Ampullen eines anderen, schwächeren Beruhigungsmittels fehlten, sprach der Arbeitgeber die Hebamme, die diese Geburt begleitet hatte, auf den Vorgang an. Sie erklärte, sich an ihn nicht mehr erinnern zu können. Bis auf eine weitere Person befragte der Arbeitgeber andere Mitarbeiter des Bereichs zu dem Vorfall anschließend nicht, sondern untersuchte lediglich stichprobenartig Patientenakten und Eintragungen in dem Betäubungsmittelbuch, aus denen sich weitere Unstimmigkeiten ergaben. Nach einer weiteren Anhörung der Mitarbeiterin, bei der diese lediglich einräumte, mehr Schmerzmittel als andere zu verabreichen, kündigte der Arbeitgeber fristlos wegen des Verdachts der Entwendung von Schmerzmitteln. Ein nach Ausspruch der Kündigung von der Mitarbeiterin veranlasstes Drogenscreening ergab einen negativen Befund. Mit ihrer Klage wandte sich die Mitarbeiterin gegen ausgesprochene Kündigung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Arbeitgeberin hat keinen Erfolg. Zwar könne grundsätzlich eine Kündigung auch auf den Verdacht einer schweren Verfehlung oder einer Straftat gestützt werden. Erforderlich sei, dass starke Verdachtsmomente auf objektiven Tatsachen beruhen, dass die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zu zerstören, und dass der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen und insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Vorwurf gegeben hat. Blieben nach der Anhörung des Arbeitnehmers Zweifel, gehöre zu den gebotenen Aufklärungsmaßnahmen auch die Befragung der Personen, die an dem zum Anlass der Kündigung genommenen Vorgang beteiligt waren oder Kenntnisse über diesen haben. Geprüft werden müsse insbesondere, ob nicht andere Personen als Täter in Betracht kämen.
Auf Unregelmäßigkeiten bei der BTM-Entnahme und –verabreichung aus früheren Jahren konnte die Kündigung nicht gestützt werden, da diese Gegenstand verschiedener Kritikgespräche gewesen seien, was zu einer Verzichtswirkung führe.
Da auch nicht festgestellt werden konnte, ob die Mitarbeiterin in Zeiten nach den Kritikgesprächen nur die Patientenunterlagen nicht korrekt geführt, sondern die dort angegebenen Mengen des starken Schmerzmittels entwendet oder selbst konsumiert habe, bestehe mangels konkreter Indizien auch kein hinreichend sicherer Tatverdacht. Feststellbar seien nur Differenzen zwischen den Eintragungen im BTM-Buch und in den Patientenakten, nicht aber deren Ursachen. Daher sei nicht ausgeschlossen, dass die Mitarbeiterin in den fraglichen Fällen nur die Eintragung der Verabreichung der Medikamente versäumt habe, was als Kündigungsgrund jedenfalls wegen der nachfolgenden einschlägigen Er- oder Abmahnungen verbraucht sei. Mit den vorliegenden Indizien könne jedenfalls kein schwerwiegender Unterschlagungsverdacht gegen die Mitarbeiterin begründet werden, sondern allenfalls eine entsprechende spekulative Vermutung.
Auch im Zusammenhang mit der Verabreichung des Schmerzmittels an die Patientin A scheitere eine Verdachtskündigung daran, dass der Arbeitgeber nicht alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen habe. Zu diesem Vorfall sei allein die Leitende Pflegekraft befragt worden, was zur Erfüllung der besonderen Aufklärungsobliegenheiten des Arbeitgebers vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung nicht genüge. Bei Verdachtskündigungen besteht in besonderem Maß die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Daher obliege es dem Arbeitgeber, vor der Kündigung die ihm auf zumutbare Weise zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten über den wahren Tathergang auszuschöpfen. Zu dem Vorgang hätten daher auch die weiteren behandelnden Pflegekräfte und die Patientin selbst befragen werden müssen. Dies hätte die Möglichkeit eröffnet, umfassende Informationen über den Ablauf der Behandlung zu erlangen. Durch die Befragung der Kolleginnen und der Patientin hätte geprüft werden können, ob das schwächere Beruhigungsmittel tatsächlich von der gekündigten Mitarbeiterin und nicht von einer anderen Kollegin verabreicht worden sei. Gegebenenfalls hätte ein negatives Ergebnis den Verdacht gegen die Klägerin erhärtet. Auch wenn die Mitarbeiterin selbst nicht bereit gewesen sei, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, ändere dies nichts an der Notwendigkeit der Befragung der weiteren an der Behandlung der Patientin A Beteiligten und der Patientin.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 24.10.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 13/08 des LAG Hessen vom 22.10.2008
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Dokument-Nr. 6877
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