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Die rückwirkende Änderung der Fristen für Rückgabeanträge von in der DDR verstaatlichten Grundstücken stellt eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Die Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Streitfalls, neun deutsche Staatsangehörige, sind die
Nach der deutschen Wiedervereinigung übernahm die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben als einzige Anteilseignerin einer GmbH die Grundstücke. Zugleich stellten die Beschwerdeführer im Oktober 1990 einen Antrag auf Rückgabe der Grundstücke nach dem Gesetz über die Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) von 1990. Das Gesetz sieht vor, dass Grundstücke, die in der
Im Mai 1992 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die USA ein Abkommen über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche, das eine pauschale Abwicklung der Ansprüche von US-Staatsangehörigen aus dem Programm über Ansprüche gegen die
Im Juli 2001 wies das Landesamt für die Regelung offener Vermögensfragen den Antrag der Beschwerdeführer auf Rückgabe der Grundstücke ab, die 1997 zu Investitionszwecken an ein Unternehmen verkauft worden waren, und entschied, dass der Verkaufserlös der Bundesrepublik zustehe. Nach dem Vermögensgesetz in Verbindung mit dem deutsch-amerikanischen Abkommen über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche sei die Bundesrepublik Rechtsnachfolgerin der Erbin der jüdischen Vorbesitzer, die mit der Zahlung der Abfindung auf ihre Ansprüche an die Bundesrepublik verzichtet hatte. Die Beschwerdeführer klagten vor dem Verwaltungsgericht Potsdam, das die Entscheidung im November 2002 bestätigte. Im Januar 2004 wies das Bundesverwaltungsgericht die Berufung der Beschwerdeführer zurück. Am 14. August 2004 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, ihre Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen. In seinem Nichtannahmebeschluss befand das Bundesverfassungsgericht insbesondere, der Gesetzgeber habe mit der Änderung des Vermögensgesetzes 1998 einen fairen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Interessen getroffen.
Im Januar 2005 stellten die Beschwerdeführer beim Landesamt für die Regelung offener Vermögensfragen einen Antrag auf finanzielle Wiedergutmachung für den Verlust der umstrittenen Grundstücke. Der Antrag wurde im März 2007 abgewiesen, da die Beschwerdeführer ihn nicht fristgerecht innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen Ablehnung des Antrags auf Rückgabe gestellt hätten. Ein Verfahren, mit dem die Beschwerdeführer diese Entscheidung anfochten, ist vor dem Verwaltungsgericht Potsdam anhängig.
Unter Berufung insbesondere auf Artikel 1 Protokoll Nr. 1 machten die Beschwerdeführer geltend, dass das Vermögensgesetz in seiner Fassung von 1998 und dessen Anwendung durch die deutschen Gerichte ihr Recht auf Achtung ihres Eigentums verletzten. Die Beschwerde wurde am 11. Februar 2005 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.
Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Garantien aus Artikel 1 Protokoll Nr. 1 im vorliegenden Fall anwendbar sind. Die Beschwerdeführer hatten einen Rückgabeantrag nach dem Vermögensgesetz gestellt, während die deutsche Bundesregierung keinen solchen Antrag innerhalb der von dem Gesetz in seiner Fassung vor der Änderung 1998 vorgeschriebenen Frist gestellt hatte. Da von Seiten der Bundesregierung, der einzigen Rechtsnachfolgerin der Erbin der jüdischen Vorbesitzer, kein Antrag vorlag, konnten die Beschwerdeführer, auch wenn sie als
Infolge der rückwirkenden Änderung des Vermögensgesetzes 1998, wonach die Frist für Rückgabeanträge nicht für die Ansprüche der Bundesregierung gilt, verloren die Beschwerdeführer jeglichen Anspruch auf Rückgabe der Grundstücke oder auf Auszahlung des Verkaufserlöses, der dem tatsächlichen Wert des Grundstücks nach der Wiedervereinigung entspricht. Nach Auffassung des Gerichtshofs stellte die Gesetzesänderung folglich einen Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Eigentums dar.
Dieser Eingriff war gesetzlich vorgesehen. Es ist in erster Linie Aufgabe der nationalen Gerichte, innerstaatliches Recht anzuwenden, und die Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts, die Gesetzesänderung sei grundgesetzkonform, erschien nicht willkürlich. Die Gesetzesänderung zielte darauf ab, eine nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers unklare Rechtslage klarzustellen und die aus dem deutschamerikanischen Abkommen resultierenden Ansprüche des Staates zu sichern. Weiter hatte der Gerichtshof keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass dieser Zweck im öffentlichen Interesse lag, angesichts der Tatsache, dass der nationale Gesetzgeber bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik einen weiten Beurteilungsspielraum hat. Dies gilt umso mehr im Fall solch einschneidender Veränderungen wie zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung mit dem Übergang zur Marktwirtschaft.
Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Rechte der Beschwerdeführer stellte der Gerichtshof allerdings fest, dass die rückwirkende Änderung des Vermögensgesetzes eine Ungleichheit zugunsten des Staates und zu Ungunsten der Beschwerdeführer schuf. Ihnen wurde jeglicher Anspruch auf Rückgabe der Grundstücke oder auf Auszahlung des Erlöses aus dem Verkauf nach der Wiedervereinigung entzogen. Die nach dem Vermögensgesetz ursprünglich vorgesehene Frist war auf alle Ansprüche anwendbar gewesen, einschließlich derjenigen aus dem deutsch-amerikanischen Abkommen, und das Gesetz sah keine besonderen Bestimmungen vor, die die Bundesregierung von der Antragstellung ausgenommen hätten. Zwischen der Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Abkommens im Mai 1992 und dem Ablauf der ursprünglich festgesetzten Frist hätte die Bundesregierung mehr als sieben Monate Zeit gehabt, einen solchen Antrag zu stellen. Zudem wurde das Gesetz erst acht Jahre nach der Wiedervereinigung geändert, und sechs Jahre nach Ablauf der ursprünglichen Frist für die Antragstellung. Dass sich der Gesetzgeber so lange Zeit ließ, ist ein Faktor bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit, auch wenn die verspätete Gesetzesänderung dadurch erklärlich ist, dass die Bundesregierung den vollständigen Abfindungsbetrag nach dem deutsch-amerikanischen Abkommen erst 1997 bezahlt hatte.
Weiterhin nahm der Gerichtshof zur Kenntnis, dass zwischen der Antragstellung der Beschwerdeführer im Oktober 1990 und der Ablehnung durch das Landesamt für die Regelung offener Vermögensfragen im Juli unangemessen viel Zeit verstrichen war. Zwar sieht das deutsche Recht die Zahlung einer finanziellen Wiedergutmachung in Fällen wie dem der Beschwerdeführer vor; die zu erwartende Summe erscheint der Schwere des Eingriffs in die Rechte der Beschwerdeführer aber nicht angemessen. Zudem steht nicht fest, ob sie überhaupt eine solche Wiedergutmachung erhalten werden. Angesichts dieser Überlegungen kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Gesetzesänderung keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz des Eigentums und dem öffentlichen Interesse herbeigeführt hatte. Folglich lag eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 vor.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 12.12.2011
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online
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