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Die Weigerung deutscher Gerichte, die Beschwerde eines Mannes zu prüfen, der für seine querschnittsgelähmte und auf künstliche Beatmung angewiesene Frau die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Medikamentendosis zur Selbsttötung erteilt haben wollte, stellt ein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Der Beschwerdeführer, Ulrich Koch, ist deutscher Staatsangehöriger, 1943 geboren, und lebt in Braunschweig. Seine Frau war nach einem Sturz vor dem eigenen Haus im Jahr 2002 querschnittsgelähmt und auf künstliche Beatmung sowie ständige Betreuung durch Pflegepersonal angewiesen; sie wollte daher ihrem Leben ein Ende setzen. Im November 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital, die ihr die
Am 3. März 2005 wies das Bundesinstitut den Widerspruch gegen seine Entscheidung zurück und im April desselben Jahres erhob Ulrich Koch Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass die Entscheidungen des Instituts rechtswidrig waren; es sei dazu verpflichtet gewesen, seiner Frau die beantragte Erlaubnis zu erteilen. Das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage mit der Begründung ab, Ulrich Koch könne nicht selbst beanspruchen, Opfer einer Verletzung seiner eigenen Rechte zu sein und sei somit nicht klagebefugt. Zugleich vertrat das Gericht die Auffassung, die Entscheidungen des Bundesinstitutes seien rechtmäßig und stünden im Einklang mit Artikel 8 EMRK. Im Juni 2007 wies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen seine Berufung zurück und am 4. November 2008 nahm das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da er sich nicht auf ein posthumes Recht auf Achtung der
Ulrich Koch sah in den Entscheidungen des Bundesinstituts einen Verstoß gegen die Rechte seiner Frau gemäß Artikel 8 EMRK, insbesondere gegen ihr Recht auf menschenwürdiges Sterben, und machte geltend, dass auch sein eigenes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden sei, da er sich gezwungen gesehen habe, in die
Die Beschwerde wurde am 22. Dezember 2008 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Eine mündliche Verhandlung der Kammer fand am 23. November 2010 statt. Die Beschwerde wurde am 31. Mai 2011 für zulässig erklärt. Der Verein DIGNITAS - Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben mit Sitz in der
Der Gerichtshof hatte zunächst zu prüfen, ob ein Eingriff in Ulrich Kochs Rechte nach Artikel 8 vorlag, was die deutsche Bundesregierung bestritt. Der Gerichtshof stellte fest, dass sich der Fall insofern von früheren Beschwerden unterschied, die von Erben oder Verwandten einer verstorbenen Person in deren Namen eingelegt worden waren, als Ulrich Koch geltend machte, selbst in seinen Rechten nach Artikel 8 verletzt worden zu sein, da das Leiden seiner Frau und die Umstände ihres Todes ihn als mitfühlenden Ehemann und Betreuer beeinträchtigt hätten.
Ulrich Koch und seine Frau waren 25 Jahre verheiratet gewesen und hatten eine enge Bindung gehabt. Ulrich Koch hatte seine Frau auf ihrem Leidensweg begleitet, hatte schließlich ihren Wunsch akzeptiert, ihrem Leben ein Ende zu setzen und war mit ihr in die
Schließlich konnte der Gerichtshof dem Argument der deutschen Bundesregierung nicht zustimmen, es sei nicht notwendig gewesen, Ulrich Koch das Recht einzuräumen, das Verfahren vor den deutschen Gerichten im Namen seiner Frau weiter zu verfolgen, da sie dessen Ausgang hätte abwarten können. Das Verfahren war zum einen erst rund drei Jahre und neun Monate nach ihrem Tod abgeschlossen. In Anbetracht der schwerwiegenden Fragen, die der Fall aufwirft und der unwiderruflichen Folgen, die der Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendigerweise mit sich gebracht hätte, war der Gerichtshof zudem nicht davon überzeugt, dass ein Antrag auf eine solche Verfügung ein angemessener Weg gewesen wäre, um das Verfahren zu beschleunigen.
Angesichts dieser Erwägungen kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass Ulrich Koch beanspruchen konnte, direkt von der Weigerung der deutschen Behörden, seiner Frau die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Medikamentendosis zu erteilen, betroffen zu sein. Folglich lag ein Eingriff in seine Rechte gemäß Artikel 8 vor.
Hinsichtlich der Frage, ob die Rechte Ulrich Kochs im Verfahren vor den deutschen Gerichten ausreichend geschützt worden waren, stellte der Gerichtshof fest, dass die Gerichte es abgelehnt hatten, seine Beschwerde in der Sache zu prüfen. Sie waren der Auffassung, er könne sich nicht auf seine eigenen Rechte – weder nach deutschem Recht noch nach Artikel 8 der Konvention – berufen, noch sei er im Namen seiner verstorbenen Frau klagebefugt. Die deutsche Bundesregierung hatte nicht vorgetragen, dass die Weigerung der Gerichte, die Beschwerde in der Sache zu prüfen, einem der nach Artikel 8 zulässigen legitimen Zwecke gedient hätte. Der Gerichtshof war auch nicht der Auffassung, dass der Eingriff in die Rechte Ulrich Kochs einem dieser legitimen Zwecke diente. Folglich lag eine Verletzung seines Rechts nach Artikel 8 auf gerichtliche Prüfung seiner Beschwerde in der Sache vor.
Im Hinblick auf die materielle Beschwerde Ulrich Kochs war der Gerichtshof der Auffassung, dass es in erster Linie Aufgabe der deutschen Gerichte war, diese in der Sache zu prüfen. Dies galt umso mehr, als unter den Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens hinsichtlich der Zulässigkeit jeglicher Form der Beihilfe zur
Was die Frage betraf, ob Ulrich Koch im Namen seiner verstorbenen Frau klagebefugt war, bezog sich der Gerichtshof auf frühere Fälle, in denen er festgestellt hatte, dass die Rechte nach Artikel 8 nicht übertragbar sind und dass Beschwerden nach diesem Artikel daher nicht von einem engen Verwandten oder Erben der betroffenen Person verfolgt werden können. Dem Gerichtshof lagen keine ausreichenden Gründe vor, im Fall Koch von diesen Schlussfolgerungen abzuweichen. Folglich war er nach Artikel 8 nicht im Namen seiner Frau klagebefugt. Der Gerichtshof wies diesen Teil der Beschwerde als unzulässig zurück.
Angesichts seiner Schlussfolgerungen nach Artikel 8 sah es der Gerichtshof nicht als notwendig an, zu prüfen, ob ein Verstoß gegen Ulrich Kochs Rechte nach Artikel 13 oder gegen sein Recht auf Zugang zum Gericht nach Artikel 6 der Konvention vorlag.
Der Gerichtshof entschied, dass Deutschland Ulrich Koch 2.500 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 26.736,25 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 19.07.2012
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online
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