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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 13.12.2012
39630/09 -

Verletzung der Menschenrechte – El-Masri erhält 60.000 Euro Entschädigung

Mazedonische Regierung verantwortlich für Folter, Misshandlung und geheime Überstellung eines Mannes mit angeblichen Verbindungen zu Terrornetzwerk

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat dem deutschen Staatsangehörigen mit libanesischer Herkunft Khaled El-Masri eine Entschädigung in Höhe von 60.000 Euro zugesprochen. Der Mann wurde 2003 zum Opfer einer geheimen Überstellung; er wurde festgenommen, in einem Hotel in Skopje 23 Tage lang festgehalten, verhört und misshandelt, anschließend wurde er an CIA-Agenten überstellt, die ihn in ein Geheimgefängnis in Afghanistan brachte, wo er über vier Monate lang weiter misshandelt wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht sah hierin unter anderem eine Verletzung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), eine Verletzung von Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) sowie eine Verletzung von Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Der Gerichtshof befand, dass die "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" für seine Folter und Misshandlung sowohl auf ihrem eigenen Staatsgebiet als auch im Zusammenhang mit der außergerichtlichen Überstellung verantwortlich war und eine entsprechende Entschädigung zu leisten hat.

Der Beschwerdeführer, Khaled El-Masri, ist deutscher Staatsangehöriger libanesischer Herkunft, 1963 geboren, und lebt in Ulm. Nach seinen Angaben sei er am 31. Dezember 2003 mit dem Bus in der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" angekommen und am Grenzübergang von der mazedonischen Polizei festgenommen worden. Er sei in ein Hotel verbracht, dort 23 Tage lang in einem abgeschlossenen Raum festgehalten und auf Englisch, trotz seiner mangelnden Kenntnisse dieser Sprache, zu seinen angeblichen Verbindungen zu Terrororganisationen verhört worden. Seine Ersuchen, die deutsche Botschaft zu kontaktieren, seien abgewiesen worden. Als er die Absicht geäußert habe, das Hotel zu verlassen, sei ihm mit Erschießung gedroht worden.

El-Masri verprügelt und misshandelt

Am 23. Januar 2004 sei Herr El-Masri, in Handschellen und mit verbundenen Augen, zum Flughafen Skopje verbracht worden, wo ihn maskierte Männer verprügelt hätten. Anschließend sei er ausgezogen und mit einem Objekt vergewaltigt worden. Später seien ihm Windeln und ein Trainingsanzug angezogen worden. Gefesselt, mit einer Kapuze über dem Kopf und in völliger sensorischer Deprivation sei er unter Gewaltanwendung zu einem von mazedonischen Sicherheitskräften umstellten Flugzeug gebracht worden. Im Flugzeug sei er auf den Boden geworfen, angekettet und mit Gewalt ruhiggestellt worden. Nach Herrn El-Masris Angaben habe seine Behandlung am Flughafen Skopje in bemerkenswerter Weise der in einem später offengelegten CIA-Dokument beschriebenen sogenannten „capture-shock“-Behandlung entsprochen.

El-Masri wird mehr als vier Monate in einer Betonzelle in einer Ziegelfabrik in der Nähe von Kabul festgehalten

Herr El-Masri sei in ein anderes Land geflogen worden. Da es dort wärmer gewesen sei als in Skopje, habe er geschlussfolgert, entgegen den Angaben der Sicherheitskräfte nicht nach Deutschland zurück gebracht worden zu sein. Später habe er gefolgert, nach Afghanistan gebracht worden zu sein. Nach seinen Angaben sei er mehr als vier Monate lang in einer kleinen, schmutzigen und dunklen Betonzelle in einer Ziegelfabrik in der Nähe von Kabul festgehalten worden. Dort sei er wiederholt verhört, geschlagen, getreten und bedroht worden. Seine mehrfachen Bitten, einen Vertreter der deutschen Bundesregierung treffen zu können, seien ignoriert worden. Während seiner Gefangenschaft, im März 2004, sei Herr El-Masri in einen Hungerstreik getreten, um gegen seine rechtsgrundlose Inhaftierung zu protestieren. Nach 37 Tagen im Hungerstreik sei er im April 2004 mittels eines Schlauchs zwangsernährt worden, wodurch er schwerkrank geworden und mehrere Tage bettlägerig gewesen sei. Im Mai 2004 habe er einen zweiten Hungerstreik begonnen.

Staatsanwaltschaft München erlässt Haftbefehle gegen CIA-Agenten

Am 28. Mai 2004 sei Herr El-Masri mit verbundenen Augen und in Handschellen zunächst nach Albanien und später nach Deutschland geflogen worden. Bei seiner Ankunft habe er 18 kg weniger gewogen als bei seiner Abreise aus Deutschland einige Monate zuvor. Unmittelbar nach seiner Rückkehr kontaktierte Herr El-Masri einen Anwalt und hat seitdem eine Reihe von Gerichtsverfahren angestrengt. 2004 wurde in Deutschland ein Strafverfahren zur Aufklärung seiner Vorwürfe eröffnet, er sei entführt, rechtswidrig inhaftiert und missbraucht worden. Die Staatsanwaltschaft München erließ im Januar 2007 Haftbefehle gegen eine Reihe von CIA-Agenten - deren Namen nicht offengelegt wurden - wegen ihrer Verwicklung in die mutmaßliche Überstellungsaktion.

In den USA erstattete Strafanzeige gegen den früheren CIA-Direktor abgewiesen

Eine im Dezember 2005 von der American Civil Liberties Union im Namen Herrn El-Masris in den USA erstattete Strafanzeige gegen den früheren CIA-Direktor und unbekannte CIA-Agenten wurde abgewiesen. Das Urteil, das mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, den Fall nicht zu prüfen, im Oktober 2007 rechtskräftig wurde, gab zur Begründung unter anderem an, dass das staatliche Interesse am Schutz von Staatsgeheimnissen gegenüber dem individuellen Anspruch Herrn El-Masris auf Gerechtigkeit überwiege.

Strafanzeige gegen unbekannte Justizbeamte wegen rechtswidriger Haft und Entführung ebenfalls abgewiesen

Eine im Oktober 2008 von Herrn El-Masris Anwalt in der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" erstattete Strafanzeige gegen unbekannte Justizbeamte wegen Herrn El-Masris rechtswidriger Haft und Entführung wurde von der Staatsanwaltschaft Skopje im Dezember 2008 abgewiesen.

Polizeiverhör erfolgte angeblich wegen des Verdachts auf Reisen mit gefälschten Dokumenten

Die Regierung der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" vertrat die Auffassung, Herr El-Masri sei am 31. Dezember 2003 in das Land eingereist und wegen des Verdachts auf Reisen mit gefälschten Dokumenten von der Polizei verhört worden. Anschließend sei ihm die Einreise gestattet worden und er sei über die Grenze zum Kosovo ausgereist.

Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung erklärt Darstellung der mazedonischen Regierung für "völlig unhaltbar"

Eine Reihe von internationalen Untersuchungen der Vorwürfe hinsichtlich so genannter außerordentlicher Überstellungen (extraordinary renditions) in Europa und der Verantwortung europäischer Regierungen beriefen sich auf den Fall Herrn El-Masris. Unter anderem untersuchte der Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats 2006 und 2007 unter Berichterstattung des Schweizer Abgeordneten Dick Marty diese Vorwürfe. Der Marty-Bericht 2007 kam zu dem Schluss, dass es sich im Fall Herrn El-Masris um eine "dokumentierte Überstellung" gehandelt habe und dass die Darstellung der mazedonischen Regierung "völlig unhaltbar" sei.

Beweismaterial deckt sich mit Aussagen von El-Masri

Der Bericht stützte sich unter anderem auf folgendes Beweismaterial: Flugbucheinträge, denen zu entnehmen war, dass ein Geschäftsflugzeug der Luftfahrtbehörde der USA am 23. Januar 2004 auf dem Flughafen Skopje gelandet und am Abend desselben Tages nach Kabul über Bagdad weitergeflogen war; Flugbucheinträge, denen zu entnehmen war, dass ein von der CIA gechartertes Flugzeug am 28. Mai 2004 in Kabul abgeflogen und auf einem militärischen Luftstützpunkt in Albanien gelandet war; Ergebnisse einer im Rahmen des Strafverfahrens in Deutschland durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchung von Herrn El-Masris Haarfollikeln, aus denen sich ableiten ließ, dass er eine Zeitlang in einem südasiatischen Land verbracht und sich längere Zeit mangelhaft ernährt hatte; geologische Aufzeichnungen, die Herrn El-Masris Erinnerung bestätigten, es habe während seiner mutmaßlichen Haft in Afghanistan leichte Erdbeben gegeben; sowie Zeichnungen Herrn El-Masris von dem Gefängnis in Afghanistan, die eine andere durch die US-Behörden in Afghanistan inhaftierte Person unmittelbar wiedererkannt hatte.

Darstellung der Gefangenschaft glaubwürdig

Der deutsche Bundestag setzte im April 2006 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Klärung deutscher Geheimdienstaktivitäten im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein, vor dem Herr El-Masri angehört wurde. Der Ausschussbericht kam 2009 unter anderem zu dem Schluss, dass seine Darstellung der Gefangenschaft in der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" und in Afghanistan glaubwürdig sei.

Früherer Innenminister der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien bestätigt Festnahme El-Masris

Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gab der frühere Innenminister der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien", H.K., der während der mutmaßlichen Gefangenschaft Herrn El-Masris dieses Amt innehatte, im März 2010 eine schriftliche Erklärung ab. Er bestätigte unter anderem, dass die mazedonischen Strafverfolgungsbehörden Herrn El-Masri nach einem von den USA erlassenen gültigen internationalen Haftbefehl festgenommen und ihn in Skopje ohne Kontakt zur Außenwelt unter ständiger Aufsicht von Geheimdienstbeamten festgehalten hätten. Später sei Herr El-Masri einem so genannten Überstellungsteam (rendition team) der CIA am Flughafen Skopje übergeben und an Bord eines CIA-Flugzeugs ausgeflogen worden.

El-Masri legt Beschwerde beim EGMR wegen Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ein

Unter Berufung auf Artikel 3 rügte Herr El-Masri, er sei in dem Hotel in Skopje misshandelt, am Flughafen Skopje einer "capture shock"-Behandlung eines Überstellungsteams der CIA unterzogen sowie in Afghanistan weiter misshandelt worden; zudem habe es keine effektive Untersuchung seiner Vorwürfe gegeben. Unter Berufung auf Artikel 5 rügte er, er sei rechtswidrig inhaftiert und ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Haftbefehl und ohne gerichtliche Prüfung festgehalten worden; die "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" sei für seine gesamte Gefangenschaft bis zu seinem Transport nach Albanien im Mai 2004 verantwortlich; es habe zudem keine zügige und effektive Untersuchung seiner Vorwürfe gegeben. Weiter rügte er insbesondere, seine Entführung und willkürliche Haft hätten sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 verletzt und es habe ihm hinsichtlich seiner Beschwerden nach Artikel 3, 5 und 8 kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung gestanden, im Widerspruch zu Artikel 13.

Die Beschwerde wurde am 20. Juli 2009 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Die zunächst zuständige Kammer gab den Fall am 24. Januar 2012 an die Große Kammer ab. Die folgenden Organisationen gaben als Drittparteien schriftliche Stellungnahmen ab: der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Interights, Redress, Amnesty International und International Commission of Jurists. Am 16. Mai 2012 fand eine mündliche Verhandlung statt.

El-Masris Darstellung der Ereignisse schlüssig und widerspruchsfrei

Hinsichtlich des Sachverhalts stellte der Gerichtshof fest, dass die Darstellung Herrn El-Masris, die die mazedonische Regierung bestritt, sehr ausführlich und detailliert sowie im gesamten Zeitraum seit seiner Rückkehr nach Deutschland widerspruchsfrei geblieben war. Seine Darstellung wurde zudem gestützt durch zahlreiche indirekte Beweise, die die internationalen Untersuchungen und die Ermittlungen in Deutschland ergeben hatten und auf deren Grundlage der Marty-Bericht geschlussfolgert hatte, dass es sich um eine "dokumentierte Überstellung" gehandelt habe und die Darstellung der mazedonischen Regierung unhaltbar sei. Schließlich bestätigte die vom früheren mazedonischen Innenminister im Verfahren vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärung den im Laufe der anderen Untersuchungen ermittelten Sachverhalt sowie die widerspruchsfreie und schlüssige Beschreibung der Ereignisse durch Herrn El-Masri.

Angaben Herrn El-Masris waren überzeugend und konnten ohne vernünftigen Zweifel nachgewiesen werden

Angesichts dieser Beweise hatte sich die Beweislast zu Lasten der mazedonischen Regierung verschoben. Diese hatte aber weder schlüssig dargelegt, warum die Beweise nicht dazu dienen konnten, die Vorwürfe Herrn El-Masris zu untermauern, noch hatte sie dem Gerichtshof einen Grund aufgezeigt, die Glaubwürdigkeit des früheren Ministers anzuzweifeln. Der Gerichtshof befand daher, dass er aus dem verfügbaren Material und dem Gebaren der Behörden Rückschlüsse ziehen konnte und gelangte zu der Auffassung, dass die Angaben Herrn El-Masris überzeugend genug und ohne vernünftigen Zweifel nachgewiesen waren.

Behandlung El-Masris im Hotel in Skopje ist als unmenschlich und erniedrigend einzustufen

Während seiner Inhaftierung in dem Hotel war keine körperliche Gewalt gegen Herrn El-Masri angewandt worden. Seine Isolationshaft dort im Rahmen einer Geheimoperation – in einem ständigen Angstzustand aufgrund der Unsicherheit über sein Schicksal während der Verhöre, 23 Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt – mussten bei ihm aber emotionales und psychologisches Leid verursacht haben. Diese Behandlung war vorsätzlich angewandt worden mit dem Ziel, Informationen über seine angeblichen Verbindungen zu terroristischen Organisationen zu erpressen. Die Drohung, er werde erschossen, sollte er das Hotelzimmer verlassen, war zudem real und unmittelbar. Vor diesem Hintergrund kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Behandlung Herrn El- Masris in dem Hotel in mehreren Punkten als unmenschliche und erniedrigende Behandlung einzustufen war, unter Verletzung von Artikel 3.

Behandlung El-Masris am Flughafen Skopje ist als Folter einzustufen

Die Behandlung Herrn El-Masris am Flughafen Skopje durch das Überstellungsteam der CIA – er war verprügelt, vergewaltigt und gefesselt worden, ihm war eine Kapuze über den Kopf gezogen und er war völliger sensorischer Deprivation ausgesetzt worden – war in Gegenwart von Staatsbeamten der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" und auf deren Staatsgebiet angewandt worden. Die mazedonische Regierung war folglich für diese Akte ausländischer Beamter verantwortlich. Sie hatte keinerlei Argumente vorgebracht, die das Ausmaß der Gewaltanwendung oder die Notwendigkeit dieser invasiven und potenziell erniedrigenden Maßnahmen erklären oder rechtfertigen würden. Die Maßnahmen waren vorsätzlich mit dem Ziel angewandt worden, Herrn El-Masri starke Schmerzen oder Leid zuzufügen, um an Informationen zu gelangen. Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass diese Behandlung als Folter einzustufen war, unter Verletzung von Artikel 3.

Überstellung El-Masris an die USA war wissentlich mit Gefahr weiterer menschenunwürdiger Behandlungen verbunden

Schließlich befand der Gerichtshof, dass die Regierung der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" dafür verantwortlich war, Herrn El-Masri durch seine Überstellung an die Behörden der USA der Gefahr weiterer Behandlung im Widerspruch zu Artikel 3 auszusetzen. Es lagen keine Beweise dafür vor, dass der Überstellung ein rechtmäßiges Auslieferungsersuchen zugrunde gelegen hätte. Den Flugbucheinträgen war klar zu entnehmen, dass das Ziel des Fluges den mazedonischen Behörden bekannt war. Zudem waren Berichte über die von den Behörden der USA gegen Terrorverdächtige angewandten Praktiken, die offenkundig im Widerspruch zu den Grundsätzen der EMRK standen, zuvor öffentlich bekannt geworden. Die mazedonischen Behörden wussten daher, oder hätten wissen müssen, dass eine konkrete Gefahr bestand, dass Herr El-Masri einer Behandlung im Widerspruch zu Artikel 3 ausgesetzt würde. Sie hatten aber von den Behörden der USA keinerlei Zusicherungen verlangt, um diese Gefahr abzuwenden. Sein Fall stellte eine außerordentliche Überstellung (extraordinary rendition) dar.

Vorgehen der mazedonischen Staatsanwaltschaft genügt Erwartungen an eine unabhängige Behörde nicht

Der Gerichtshof nahm zur Kenntnis, dass Herr El-Masri seine Misshandlungsvorwürfe der mazedonischen Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gebracht hatte, gestützt durch Beweise, die internationale und andere ausländische Ermittlungen ergeben hatten. Der Staat war daher verpflichtet gewesen, eine effektive Untersuchung durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft hatte aber lediglich das Innenministerium um Informationen ersucht und davon abgesehen keinerlei Ermittlungsschritte unternommen, um die Vorwürfe zu prüfen, bevor sie die Beschwerde wegen Mangels an Beweisen abwies. Insbesondere hatte sie weder Herrn El-Masri noch das Personal, das zur Zeit seiner Gefangenschaft in dem Hotel in Skopje arbeitete, befragt. Auch hatte sie keinerlei Schritte unternommen, um festzustellen, warum das mutmaßlich für den Transport Herrn El-Masris nach Afghanistan verwendete Flugzeug in Skopje gelandet war, oder um die Identität des Passagiers zu ermitteln, der an dem fraglichen Abend an Bord der Maschine gegangen war. Dass sich die Staatsanwaltschaft ausschließlich auf den Bericht des Ministeriums verlassen hatte – dessen Beamte unter Verdacht standen, an der mutmaßlichen Behandlung Herrn El-Masris beteiligt zu sein – genügte nicht den Erwartungen an eine unabhängige Behörde. Im Verfahren vor dem Gerichtshof hatte die Regierung zudem eingeräumt, dass die Untersuchung nicht effektiv war, dies allerdings damit begründet, dass die Anzeige spät erstattet worden sei und sich gegen unbekannt gerichtet habe.

Durchgeführte Ermittlungen zur Identifikation und Bestrafung der Verantwortlichen nicht effektiv und geeignet

Der Gerichtshof unterstrich, dass der Fall nicht nur für Herrn El-Masri von Bedeutung ist, sondern auch für andere Opfer ähnlicher Taten sowie für die allgemeine Öffentlichkeit, die ein Recht auf Kenntnis der Vorgänge hat. Er kam zu dem Schluss, dass die durchgeführten Ermittlungen nicht als effektiv und geeignet gelten konnten, zur Identifikation und Bestrafung der Verantwortlichen zu führen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Folglich lag eine weitere Verletzung von Artikel 3 aufgrund der mangelhaften Untersuchung der Vorwürfe Herrn El-Masris vor.

EGMR bejaht Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit

Der Gerichtshof befand, dass die Regierung der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" für die Verletzung der Rechte Herrn El-Masris nach Artikel 5 während seiner gesamten Gefangenschaft verantwortlich war. Es lag kein gerichtlicher Haftbefehl vor, wie nach nationalem Recht vorgeschrieben, und es gab kein Protokoll seines Arrests in dem Hotel, einem Haftort außerhalb jeglicher Rechtsordnung. Vollständig den Beamten ausgeliefert, die ihn festhielten, war ihm jegliche Möglichkeit vorenthalten worden, vor ein Gericht gebracht zu werden, das die Rechtmäßigkeit seiner Haft hätte überprüfen können. Zudem hätte es den mazedonischen Behörden klar sein müssen, dass Herr El-Masri aufgrund der Auslieferung an die Behörden der USA mit der konkreten Gefahr einer offenkundigen Verletzung seiner Rechte aus Artikel 5 rechnen musste. Schließlich bezog sich der Gerichtshof auf seine Schlussfolgerung, dass die Untersuchung der Misshandlungsvorwürfe Herrn El-Masris mangelhaft gewesen war, und befand, dass es, aus denselben Gründen, keine sinnvolle Untersuchung der Vorwürfe gab, er sei willkürlich inhaftiert worden. Darin lag eine weitere Verletzung von Artikel 5.

"Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" ebenfalls verantwortlich für Eingriff in Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

Angesichts seiner Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Verantwortung der "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien" für die Verstöße gegen Artikel 3 und Artikel 5 war der Gerichtshof der Ansicht, dass der Staat ebenfalls für den Eingriff in das Recht Herrn El-Masris auf Achtung des Privat- und Familienlebens verantwortlich war. In Anbetracht der ermittelten Beweise befand der Gerichtshof, dass dieser Eingriff rechtswidrig war und folglich Artikel 8 verletzte.

El-Masri wurde Recht auf wirksame Beschwerde verwehrt

Herrn El-Masris nach Artikel 3, 5 und 8 vorgebrachte Beschwerden waren nie Gegenstand ernsthafter Ermittlungen gewesen. Die Mängel der strafrechtlichen Ermittlungen untergruben zudem die Wirksamkeit jeglicher sonstiger Rechtsbehelfe, einschließlich einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage. Folglich war Herrn El-Masri das Recht auf wirksame Beschwerde verwehrt worden, unter Verletzung von Artikel 13.

"Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" zur Zahlung von 60.000 Euro für erlittenen immateriellen Schaden verpflichtet

Der Gerichtshof entschied, dass die "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" Herrn El-Masri 60.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden zu zahlen hat.

Separate Meinungen

Die Richter Tulkens, Spielmann, Sicilianos und Keller äußerten eine gemeinsame zustimmende Meinung. Die Richter Casadevall and López Guerra äußerten eine separate zustimmende Meinung. Die separaten Meinungen sind dem Urteil beigefügt.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 14.12.2012
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online

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