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Eine siebentägige Unterbringung eines Strafgefangenen ohne Bekleidung in einer Sicherheitszelle verstößt gegen Artikel 3 – Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung – der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls, Herbert Hellig, ist deutscher Staatsangehöriger, 1953 geboren, und lebt in Frankfurt am Main.
Während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe in der JVA Butzbach wurde Herbert Hellig im Oktober 2000 angewiesen, von einer Einzelzelle in einen Gemeinschaftshaftraum umzuziehen, in dem die Toilette durch keinerlei Wand oder Vorhang vom Rest der Zelle getrennt war. In einem Brief an den Leiter der JVA erklärte Herbert Hellig, dass er sich weigere, umzuziehen, und dass eine solche Unterbringung rechtswidrig wäre. Am 12. Oktober 2000 wiesen ihn Vollzugsbeamte an, seine Einzelzelle zu räumen, und drohten ihm Zwang an, sollte er der Anweisung nicht nachkommen. Als sich Herbert Hellig am Eingang des Gemeinschaftsraums dem Umzug erneut verweigerte, entwickelte sich ein Handgemenge zwischen ihm und den Beamten. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob Herbert Hellig trotz seines lediglich passiven Widerstandes von den Vollzugsbeamten geschlagen und getreten wurde oder ob er selbst nach den Beamten trat.
Herbert Hellig wurde anschließend in einem etwa 8m² großen besonders gesicherten
Nach seiner Verlegung in das Krankenhaus beantragte Herbert Hellig beim Landgericht Gießen eine gerichtliche Feststellung, dass seine Verlegung in die Sicherheitszelle und die von den Vollzugsbeamten gegen ihn angewandte Gewalt rechtswidrig gewesen seien.
Das Gericht wies den Antrag im April 2004 zurück. Es befand, dass aufgrund von Herbert Helligs Verhalten in erhöhtem Maß die Gefahr von Gewalttätigkeiten und der Verletzung anderer Personen bestanden habe. Dies hätten die Berichte von Vollzugsbeamten bestätigt, wonach Herbert Hellig damit begonnen habe, sie zu stoßen und zu schlagen. Nach Auffassung des Gerichts sei seine Unterbringung in der Sicherheitszelle verhältnismäßig gewesen, da eine besondere Gefahr bestanden habe, dass er sich seiner Verlegung in eine andere Zelle mit Gewalt widersetzen würde. Einem Bericht des Gefängnispsychologen zufolge habe er sich jedem Kompromiss verweigert. Weiterhin unterstrich das Gericht, dass eine Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum ohne Trennung der Toiletten durch Wände oder Vorhänge rechtswidrig gewesen wäre. Die Entscheidung des Landgerichts wurde im Berufungsverfahren bestätigt und das Bundesverfassungsgericht lehnte es am 28. Dezember 2004 ab, die Verfassungsbeschwerde Herbert Helligs zur Entscheidung anzunehmen.
Die von der Staatsanwaltschaft Gießen gegen die an der Verlegung Herbert Helligs in die Sicherheitszelle beteiligten Vollzugsbeamten eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden im März 2001 eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hob hervor, dass eine Röntgenuntersuchung Herbert Helligs wenige Tage nach seiner Verlegung keinerlei Brüche oder andere Knochenverletzungen festgestellt habe, und befand, dass sich nicht feststellen lasse, ob seine geringfügigen Verletzungen von den Vollzugsbeamten, insbesondere durch Tritte oder Schläge, verursacht worden oder unvermeidliche Folgen seiner erzwungenen Verlegung in die Sicherheitszelle gewesen seien.
Unter Berufung auf Artikel 3 rügte Herbert Hellig, dass er von den Vollzugsbeamten getreten und geschlagen worden sowie dass er in die Sicherheitszelle verbracht und dort sieben Tage lang untergebracht worden sei. Die Beschwerde wurde am 31. Mai 2005 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.
Der Gerichtshof erklärte zunächst die Beschwerde Herbert Helligs über die vermeintliche Misshandlung für offensichtlich unbegründet und damit unzulässig. Herbert Hellig hatte keine Beweise vorgelegt, die die Schlussfolgerung der deutschen Gerichte widerlegten, wonach er Gewalt gegen die Vollzugsbeamten angewendet habe. Da er zudem nur geringfügig verletzt worden war, hatte der Umgang mit ihm bei seiner Verlegung in die Sicherheitszelle nicht einen solchen Schweregrad erreicht, dass er als unmenschliche Behandlung gelten könnte.
Was Herbert Helligs Beschwerde über seine Verlegung in die Sicherheitszelle und die dortige Haft betraf, war der Gerichtshof der Auffassung, dass ihre dürftige Ausstattung die Zelle für einen längeren Aufenthalt ungeeignet machte. Allerdings war Herbert Helligs Verlegung dorthin nicht als langfristige Maßnahme gedacht, was sich darin zeigte, dass sich die Vollzugsbeamten und der Gefängnispsychologe darum bemüht hatten, Herbert Hellig zur Räumung der Zelle zu bewegen und ihn schließlich in das Krankenhaus verlegt hatten, da zu diesem Zeitpunkt offensichtlich keine Einzelzelle verfügbar war.
Aus den Eingaben der Parteien geht nicht eindeutig hervor, ob Herbert Hellig während seiner gesamten Unterbringung in der Sicherheitszelle unbekleidet war. Soweit ersichtlich, hatte er sich während seines dortigen Aufenthalts und in den Verfahren vor den deutschen Gerichten nicht ausdrücklich darüber beschwert, keine Kleidung zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Der Gerichtshof nahm aber die Angabe der Bundesregierung zur Kenntnis, wonach die Unterbringung von Häftlingen in solchen Hafträumen grundsätzlich unbekleidet erfolge, um sie vor Selbstverletzung zu schützen, solange ihr psychischer Zustand solche Handlungen befürchten lasse. Im Übrigen hatte der Gefängnispastor bei seinem Besuch drei Tage nach der Verlegung Herbert Helligs in die Sicherheitszelle berichtet, dass dieser nackt gewesen sei. Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass es ausreichend starke und übereinstimmende Hinweise darauf gab, dass Herbert Hellig während seines gesamten Aufenthalts in der Sicherheitszelle unbekleidet war. Die Behörden kannten diese Hinweise und hätten den Sachverhalt folglich genauer untersuchen können.
Der Gerichtshof war der Auffassung, dass der Entzug von Kleidung bei einem Häftling Gefühle der Angst und Minderwertigkeit auslösen konnte, die dazu angetan waren, ihn zu erniedrigen. Zwar zielte die Praxis, einen Häftling ohne Bekleidung in einer Sicherheitszelle unterzubringen, darauf ab, ihn vor Selbstverletzung zu schützen. Das Landgericht hatte aber nicht mit Sicherheit festgestellt, ob bei Herbert Hellig zum Zeitpunkt seiner Unterbringung in der Zelle eine ernsthafte Selbstverletzungs- oder Selbstmordgefahr bestand. Es deutete außerdem nichts darauf hin, dass die Verantwortlichen der Haftanstalt andere, weniger stark in die Privatsphäre eingreifende Maßnahmen erwogen hätten, wie etwa den Einsatz reißfester Kleidung, einer vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) empfohlenen Praxis.
Die siebentägige Unterbringung Herrn Helligs in der Sicherheitszelle als solche mochte durch die besonderen Umstände des Falls gerechtfertigt gewesen sein. Der Gerichtshof kam aber zu der Auffassung, dass keine ausreichenden Gründe vorlagen, die eine so harte Behandlung wie den Entzug von Kleidung während seines gesamten Aufenthalts in der Sicherheitszelle gerechtfertigt hätten. Folglich lag eine Verletzung von Artikel 3 vor.
Gemäß Artikel 41 (gerechte Entschädigung) entschied der Gerichtshof, dass Deutschland Herbert Hellig 10.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 3.500 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.07.2011
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrecht/ra-online
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