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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass die fehlende Möglichkeit der Stiefkindadoption in Österreich gleichgeschlechtliche Paare im Vergleich zu unverheirateten heterosexuellen Paaren diskriminiert. Der Gerichtshof rügte in seiner Entscheidung eine Verletzung des Diskriminierungsverbots (Artikel 14) und des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerinnen im Vergleich zu einem unverheirateten heterosexuellen Paar, bei dem ein Partner die Adoption des Kindes des anderen anstrebt, auf ihrer sexuellen Orientierung beruhte. Die österreichischen Gerichte hatten keine überzeugenden Argumente zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Ungleichbehandlung zum Schutz der Familie oder des Kindeswohls vorgebracht. Gleichzeitig unterstrich der Gerichtshof jedoch auch, dass die Konvention Staaten nicht verpflichtet, unverheirateten Paaren das Recht auf Stiefkindadoption einzuräumen.
Die Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls sind zwei österreichische Frauen ("die erste und dritte Beschwerdeführerin"), beide 1967 geboren, die in einer stabilen Beziehung zusammenleben sowie der Sohn einer der beiden Frauen ("der zweite Beschwerdeführer"), der 1995 außerehelich geboren wurde und für den seine Mutter (die dritte Beschwerdeführerin) das alleinige Sorgerecht hat. Die drei Beschwerdeführer leben in einem gemeinsamen Haushalt und die beiden Beschwerdeführerinnen kümmern sich gemeinsam um das Kind.
In der Absicht, eine familenrechtliche Beziehung zwischen der ersten Beschwerdeführerin und dem Kind herzustellen, ohne dabei dessen rechtliche Beziehung zu seiner leiblichen Mutter aufzuheben, beantragten die Beschwerdeführer 2005 beim zuständigen Bezirksgericht die Bewilligung eines Adoptionsantrages. Im Bewusstsein, dass sich die anwendbare Bestimmung, § 182 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), dahingehend auslegen ließ, dass die
Im Oktober 2005 wies das Bezirksgericht den Antrag mit der Begründung ab, § 182 ABGB sehe vor, dass bei einer
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung im Februar 2006. Ergänzend zur Argumentation des Bezirksgerichts stellte das Gericht fest, dass das österreichische Recht davon ausgehe, dass "Eltern", auch wenn der Begriff nicht präzise definiert sei, grundsätzlich zwei Personen verschiedenen Geschlechts bezeichnet. Wenn ein Kind, wie im vorliegenden Fall, beide Elternteile habe, bestehe keine Notwendigkeit, eines durch einen Adoptivelternteil zu ersetzen. In diesem Zusammenhang wies das Gericht darauf hin, dass das Kind regelmäßig Kontakt zu seinem Vater habe. Das Gericht befasste sich nicht mit der Frage ob, wie die Beschwerdeführerinnen geltend machten, Gründe für die Nichtberücksichtigung der mangelnden Zustimmung des Vaters zur
Im September 2006 wies der Oberste Gerichtshof die Berufung der Beschwerdeführer zurück, mit der Begründung, die
Unter Berufung auf Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 rügten die Beschwerdeführer sie würden aufgrund der sexuellen Orientierung der beiden Beschwerdeführerinnen diskriminiert. Sie machten geltend, es gebe keine vernünftige und objektive Rechtfertigung dafür, der
Der Gerichtshof bestätigte, dass die Beziehung zwischen den drei Beschwerdeführern nach seiner Rechtsprechung als "Familienleben" im Sinne von Artikel 8 zu gelten hat. Folglich war Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 in ihrem Fall anwendbar. Die österreichische Regierung hatte die Anwendbarkeit der beiden Artikel nicht in Frage gestellt.
In einem kürzlich ergangenen Urteil im Verfahren Gas und Dubois gegen Frankreich hatte der Gerichtshof die Auffasung vertreten, dass sich ein gleichgeschlechtliches Paar, bei dem ein Partner das Kind des anderen Partners adoptieren möchte, nicht in einer einem Ehepaar vergleichbaren Situation befand. Der Gerichtshof sah keinen Grund, von seiner Schlussfolgerung in diesem Fall abzuweichen. Er unterstrich, dass die Konvention Staaten nicht verpflichtet, gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit zu geben, zu heiraten. Wählt ein Staat eine andere Form der rechtlichen Anerkennung für
Der Gerichtshof gelangte zu dem Schluss, dass sich die Beschwerdeführerinnen im vorliegenden Fall nicht in einer einem Ehepaar vergleichbaren Situation befanden. Folglich lag im Vergleich der Situation der Beschwerdeführer mit derjenigen von verheirateten Paaren, bei denen ein Ehepartner das leibliche Kind des/der anderen adoptieren möchte, keine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 vor.
Der Gerichtshof erkannte in einem anderen Fall an, dass sich die Beschwerdeführer in einer einem unverheirateten heterosexuellen Paar vergleichbaren Situation befanden, bei dem ein Partner das Kind des anderen adoptieren möchte. Die österreichische Regierung hatte nicht behauptet, dass ein besonderer Status ein unverheiratetes heterosexuelles Paar von einem gleichgeschlechtlichen Paar unterscheide. Vielmehr hatte sie eingeräumt, dass
Nach österreichischem Recht ist die Stiefkindadoption bei unverheirateten heterosexuellen Paaren möglich. Nach dem ABGB können Einzelpersonen ein Kind adoptieren und bei unverheirateten heterosexuellen Paaren ist es einem Partner nicht verwehrt, das Kind des anderen Partners zu adoptieren, ohne dabei die rechtliche Beziehung des letzteren zum Kind aufzuheben. Im Gegensatz dazu ist die Stiefkindadoption bei einem gleichgeschlechtlichen Paar rechtlich unmöglich. Die anwendbaren Bestimmungen des ABGB sehen vor, dass der Adoptivelternteil den leiblichen Elternteil des gleichen Geschlechts ersetzt. Da die erste Beschwerdeführerin eine Frau ist, würde ihre
Der Gerichtshof war nicht vom Argument der österreichischen Regierung überzeugt, dass der Adoptionsantrag der Beschwerdeführer aus Gründen abgewiesen worden sei, die nichts mit ihrer sexuellen Orientierung zu tun hätten, und dass die Beschwerdeführer vom Gerichtshof folglich eine abstrakte Prüfung der rechtlichen Situation verlangten. Die österreichischen Gerichte hatten deutlich gemacht, dass eine
Da die rechtliche Unmöglichkeit der
Die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerinnen im Vergleich zu einem unverheirateten heterosexuellen Paar, bei dem ein Partner die
Aus Artikel 8 lässt sich keine Verpflichtung ableiten, unverheirateten Paaren das Recht auf Stiefkindadoption einzuräumen. Da die Stiefkindadoption nach österreichischem Recht aber für unverheiratete heterosexuelle Paare möglich ist, hatte der Gerichtshof zu prüfen, ob es einem legitimen Ziel diente und im Hinblick auf dieses Ziel verhältnismäßig war, (unverheirateten) gleichgeschlechtlichen Paaren dieses Recht zu verwehren.
Die österreichischen Gerichte und die Regierung hatten argumentiert, das österreichische Adoptionsrecht ziele darauf ab, die Lebensumstände einer leiblichen Familie nachzubilden. Der Gerichtshof erkannte an, dass der
Die österreichische Regierung hatte keine Beweise dafür erbracht, dass es für ein Kind schädlich wäre, von einem gleichgeschlechtlichen Paar großgezogen zu werden oder in rechtlicher Hinsicht zwei Mütter oder zwei Väter zu haben. Überdies war nach österreichischem Recht die
Die österreichische Regierung hatte außerdem argumentiert, es gebe keinen Konsens unter den Europarats-Mitgliedstaaten im Hinblick auf Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren und folglich hätten Staaten einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Regelung dieser Frage. Der Gerichtshof hatte aber nicht allgemein die Frage des Zugangs zur Stiefkindadoption für
Der Gerichtshof gelangte zu dem Schluss, dass die Regierung keine überzeugenden Gründe dafür vorgebracht hatte, dass es zum
Der Gerichtshof entschied, dass Österreich den Beschwerdeführern gemeinsam 10.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 28.420,88 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.
Richter Spielmann äußerte eine zustimmende Meinung. Die Richter Casadevall, Ziemele, Kovler, Joèiene, de Gaetano, Šikuta and Sicilianos äußerten eine gemeinsame abweichende Meinung.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 19.02.2013
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online
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