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Die Weigerung deutscher Gerichte, einem Vater den Umgang mit seinem mutmaßlichen leiblichen Sohn zu gewähren, dessen rechtlicher Vater der Ehemann der Kindesmutter ist, stellt eine Verletzung von Artikel 8, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Der Beschwerdeführer, Michael Schneider, ist deutscher Staatsangehöriger, 1958 geboren, und lebt in Fulda. Zwischen Mai 2002 und September 2003 hatte er eine Beziehung mit einer verheirateten Frau, Frau H., und behauptet, der leibliche
Während Frau H.’s Schwangerschaft begleitete Michael Schneider sie zu mindestens zwei ärztlichen Untersuchungen und erkannte beim Jugendamt die Vaterschaft des ungeborenen Kindes an. Nach F.’s Geburt, im August 2004, stellte Michael Schneider beim Amtsgericht-Familiengericht Fulda einen Antrag auf Umgang zweimal im Monat und auf regelmäßige Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Jungen. Das Gericht wies den Antrag im Oktober 2005 ab. Es befand, dass er, selbst unter der Annahme, er sei der biologische
Im Berufungsverfahren bestätigte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main das Urteil des Amtsgerichts. Im September 2006 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde Herrn Schneiders nicht zur Entscheidung an (Az. 1 BvR 1337/06). Es befand, dass die Beschwerde unzulässig sei, soweit sie sich gegen die Nichtfeststellung seiner Vaterschaft durch die Familiengerichte richtete, da er sein Begehren auf Kenntnis der Abstammung zuvor in einer gesonderten Anfechtungsklage hätte geltend machen müssen. Soweit seine Beschwerde sich gegen die Zurückweisung von Umgangs- und Auskunftsansprüchen richte, sei sie unbegründet, da das Grundgesetz die Beziehung des leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters zu seinem Kind nur schütze, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Bindung bestehe, die darauf beruhe, dass er zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen habe.
Unter Berufung insbesondere auf Artikel 8 rügte Michael Schneider die Weigerung der deutschen Gerichte, ihm Umgang mit seinem mutmaßlichen Sohn und Recht auf Auskunft zu gewähren. Weiter beschwerte er sich, dass die Gerichte den maßgeblichen Sachverhalt im Hinblick auf die Beziehung zu seinem Sohn nicht ausreichend aufgeklärt hätten, dass sie insbesondere keine Klärung der Vaterschaft angeordnet und nicht geprüft hätten, ob sein Umgangsrecht im Interesse des Kindeswohls läge. Unter Berufung auf Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) rügte er außerdem, dass er durch die Entscheidungen der deutschen Gerichte diskriminiert worden sei.
Die Beschwerde wurde am 4. April 2007 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.
Der Gerichtshof befand, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte, Michael Schneider Umgang mit seinem mutmaßlichen Sohn F. und Auskunft über dessen persönliche Verhältnisse zu verwehren, einen Eingriff in seine Rechte aus Artikel 8 darstellten. Da seine biologische Vaterschaft nicht nachgewiesen war und nie eine enge persönliche Bindung zwischen ihm und dem Kind bestanden hatte, gab es zwar kein bestehendes „Familienleben“. Dieser Umstand war Michael Schneider aber nicht anzulasten. In Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen des BGB hatten die deutschen Gerichte seine Vaterschaftsanerkennung für nicht wirksam erklärt, da Herrn H.’s Vaterschaft gelte. Eine gesonderte Anfechtungsklage gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB – die Michael Schneider nach Auffassung der deutschen Regierung hätte anstrengen können – wäre auf Grundlage des geltenden Rechts zum Scheitern verurteilt gewesen. Überdies hätte ein solches Verfahren darauf abgezielt, als rechtlicher
Auch wenn Michael Schneider und Frau H. nicht zusammengelebt hatten, war unbestritten, dass ihre ein Jahr und vier Monate dauernde Beziehung nicht bloß zufällig gewesen war. Michael Schneider hatte sein Interesse an F. hinlänglich deutlich gemacht, indem er das Kind gemeinsam mit Frau H. plante, sie zu ärztlichen Untersuchungen begleitete und die Vaterschaft noch vor der Geburt anerkannte. Der Gerichtshof schloss folglich nicht aus, dass Michael Schneiders Absicht, eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, in den Geltungsbereich des „Familienlebens“ gemäß Artikel 8 fiel. Selbst wenn die Frage, ob Michael Schneider ein Umgangs- und Auskunftsrecht beanspruchen konnte, nicht als „Familienleben“ gelten konnte, so betraf sie aber in jedem Fall einen wichtigen Teil seiner Identität und folglich sein „Privatleben“ im Sinne von Artikel 8.
Im Hinblick auf die Frage, ob der Eingriff in Michael Schneiders Rechte gerechtfertigt war, nahm der Gerichtshof zur Kenntnis, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte mit den maßgeblichen Bestimmungen des deutschen BGB in Einklang standen. Weiter zielten sie darauf ab, die Interessen des Ehepaares sowie der während der Ehe geborenen
Die deutschen Gerichte hatten Michael Schneider Umgang mit seinem mutmaßlichen Sohn und Auskunft über dessen persönliche Verhältnisse aber verwehrt, ohne zu untersuchen, ob ein solches Umgangs- und Auskunftsrecht unter den besonderen Umständen des Falls im Kindeswohlinteresse läge oder ob die Interessen Michael Schneiders als denjenigen der rechtlichen
In beiden Fällen waren die Gründe, warum der (mutmaßliche) biologische
Der Gerichtshof unterstrich, dass es Aufgabe der nationalen Gerichte ist – die mit allen Beteiligten in direktem Kontakt stehen - festzustellen, ob Kontakte zwischen einem biologischen
Im Hinblick auf seine Schlussfolgerungen unter Artikel 8 sah es der Gerichtshof nicht als notwendig an, darüber zu befinden, ob die Entscheidungen der deutschen Gerichte Michael Schneider unter Verstoß gegen Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 diskriminiert hatten.
Gemäß Artikel 41 (gerechte Entschädigung) entschied der Gerichtshof, dass Deutschland Michael Schneider 5.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 10.000 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 15.09.2011
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online
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Dokument-Nr. 12283
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