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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 12.05.2011
C-391/09 -

EuGH zur Umschrift von Vor- und Nachnamen von Unionsbürgern in Personenstandsurkunden

Betroffenen dürfen durch Weigerung des Mitgliedsstaates, Vor- und Nachnamen in Personenstandsurkunden zu ändern, keine schwerwiegenden Nachteile entstehen

Das Unionsrecht steht der Weigerung, Vor- und Nachnamen in Personenstandsurkunden zu ändern, nicht entgegen, sofern den Betroffenen daraus keine schwerwiegenden Nachteile erwachsen können. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Im hiesigen Fall ist Frau Malgozata Runeviè-Vardyn, geboren 1977 in Vilnius, litauische Staatsangehörige. Sie gehört der polnischen Minderheit Litauens an. Sie erklärt, von ihren Eltern den polnischen Vornamen "Malgorzata" und den Nachnamen ihres Vaters "Runiewicz" erhalten zu haben. Nach ihren Angaben war ihre Geburtsurkunde von 1977 in kyrillischen Buchstaben ausgestellt; erst in der Geburtsurkunde von 2003 sei angegeben, dass der Vor- und der Nachname in ihrer litauischen Schreibform eingetragen seien, nämlich als "Malgozata Runeviè". Derselbe Vorname und derselbe Nachname finden sich auch in ihrem 2002 ausgestellten litauischen Reisepass.

Nachname in Heiratsurkunde nach litauischen Schreibregeln

Nachdem sie eine gewisse Zeit in Polen gewohnt und gearbeitet hatte, heiratete sie 2007 den polnischen Staatsangehörigen Lukasz Pawel Wardyn. In der vom Standesamt Vilnius ausgestellten Heiratsurkunde wurde "Lukasz Pawel Wardyn" - nach den litauischen Schreibregeln ohne diakritische Zeichen - in "Lukasz Pawel Wardyn" umgeschrieben. Der Name der Ehefrau ist als "Malgozata Runevic-Vardyn" angegeben - es wurden nur litauische Buchstaben, zu denen das "W" nicht gehört, verwendet, und zwar auch für den ihrem eigenen Nachnamen hinzugefügten Nachnamen ihres Ehemanns. Die Ehegatten wohnen mit ihrem Sohn derzeit in Belgien.

Antragsteller beantragen Änderung der Schreibweise

2007 beantragte Frau Malgozata Runevic-Vardyn beim Standesamt Vilnius, den in ihrer Geburtsurkunde eingetragenen Namen "Malgozata Runevic" in "Malgorzata Runiewicz" und den in ihrer Heiratsurkunde eingetragenen Namens "Malgozata Runevic-Vardyn" in "Malgorzata Runiewicz-Wardyn" zu ändern. Nachdem dieser Antrag abgelehnt worden war, erhoben die Ehegatten Klage beim Vilniaus miesto 1 apylinkes teismas (Erstes Bezirksgericht der Stadt Vilnius, Litauen). Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Umschrift von Namen und Vornamen natürlicher Personen in Personenstandsurkunden dieses Staates in eine den Schreibregeln der offiziellen Landessprache entsprechende Form vorschreibt.

Umschrift in Personenstandsurkunden nicht mit Richtlinie des Gleichbehandlungsgrundsatzes anwendbar

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Richtlinie 2000/43/EG1 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft nicht auf den Fall der Ehegatten Wardyn anwendbar ist, da ihr Geltungsbereich eine nationale Regelung über die Umschrift von Vor- und Nachnamen in Personenstandsurkunden nicht umfasst. Zwar wird in der Richtlinie allgemein auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, Bezug genommen, doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche nationale Regelung unter den Begriff der "Dienstleistung" im Sinne der Richtlinie fällt.

Bei Vorschriften über Umschrift von Personenstandsurkunden ist Unionsrecht zu beachten

Sodann führt der Gerichtshof zu den Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft aus, dass Vorschriften über die Umschrift von Vor- und Nachnamen einer Person in Personenstandsurkunden beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese aber bei der Ausübung dieser Zuständigkeit gleichwohl das Unionsrecht beachten müssen, und zwar insbesondere die Vertragsbestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten.

Vor- und Nachname als Teil der Identität durch Grundrechte geschützt

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Vor- und der Nachname einer Person Teil ihrer Identität und ihres Privatlebens sind, deren Schutz in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist.

Gericht zur Änderung des Vor- und Mädchennamens der Antragstellerin

Der Gerichtshof äußert sich zum Antrag von Frau Malgozata Runevic-Vardyn auf Änderung ihres Vor- und ihres Mädchennamens in der litauischen Geburtsurkunde und in der litauischen Heiratsurkunde. Wenn sich ein Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat begibt und in der Folge mit einem Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats die Ehe schließt, liegt in dem Umstand, dass sein Nachname und sein Vorname, wie er sie bis zu seiner Eheschließung getragen hat, in den Personenstandsurkunden seines Herkunftsmitgliedstaats nur in Buchstaben der Sprache dieses Staats geändert und umgeschrieben werden dürfen, keine ungünstigere Behandlung liegt als die, die ihm zuteil wurde, bevor er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Dass ein entsprechendes Recht nicht besteht, kann den Unionsbürger also nicht davon abhalten, die durch den Vertrag verliehenen Freizügigkeitsrechte wahrzunehmen, und stellt somit keine Beschränkung dar.

Gericht schließt Nachteile für Betroffene bei Nichtänderung des Nachnamen nicht aus

In Bezug auf den Antrag der Ehegatten, in der litauischen Heiratsurkunde den dem Mädchennamen der Ehefrau hinzugefügten Nachnamen von Herrn Wardyn zu ändern (in Wardyn statt Vardyn), schließt der Gerichtshof nicht aus, dass die Weigerung, diese Änderung vorzunehmen, Nachteile für die Betroffenen bewirken kann. Eine solche Weigerung kann jedoch nur dann eine Beschränkung der durch den Vertrag verliehenen Freiheiten darstellen, wenn den Betroffenen daraus "schwerwiegende Nachteile" administrativer, beruflicher und privater Art erwachsen können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu ermitteln, ob die Weigerung, den den Ehegatten gemeinsamen Nachnamen zu ändern, für die Betroffenen solche Nachteile bewirken kann. Wenn dies der Fall ist, handelt es sich um eine Beschränkung der durch den Vertrag jedem Unionsbürger zuerkannten Freiheiten. Das nationale Gericht hat auch zu ermitteln, ob diese Weigerung unter diesen Umständen ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den zu berücksichtigenden Belangen wahrt, nämlich zum einen dem Recht der Ehegatten auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens und zum anderen dem legitimen Schutz, den der betroffene Mitgliedstaat seiner offiziellen Landessprache und seinen Traditionen zukommen lässt. Der Gerichtshof meint, dass sich im vorliegenden Fall die Unverhältnismäßigkeit der Ablehnung der von den Ehegatten gestellten Änderungsanträge möglicherweise daraus ergeben könnte, dass das Standesamt Vilnius diesen Namen in der Heiratsurkunde, was Herrn Wardyn betrifft, den fraglichen polnischen Schreibregeln entsprechend geschrieben hat.

Abgelehnte Änderung des Vornamens nach polnischen Schreibregeln birgt keine schwerwiegenden Nachteile für Betroffenen

Zum Antrag von Herrn Wardyn, seine Vornamen in der litauischen Heiratsurkunde in eine den polnischen Schreibregeln entsprechende Form, nämlich in "Lukasz Pawel" in polnischer Schreibweise (und nicht Lukasz Pawel in litauischer Schreibweise) umzuschreiben, stellt der Gerichtshof fest, dass der Unterschied zwischen diesen Umschriften darin liegen soll, dass die nicht in der litauischen Sprache verwendeten diakritischen Zeichen weggelassen wurden. Er führt in diesem Zusammenhang aus, dass diakritische Zeichen bei vielen Handlungen des täglichen Lebens aus technischen Gründen (wie z. B. objektiven Zwängen bestimmter Informatiksysteme) oft weggelassen werden. Außerdem kennt eine Person, die keine Fremdsprache beherrscht, die Bedeutung diakritischer Zeichen oftmals nicht. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass dem Betroffenen allein durch das Weglassen dieser Zeichen tatsächliche und schwerwiegende Nachteile erwachsen können, die geeignet sind, Zweifel an seiner Identität und an der Echtheit der von ihm vorgelegten Dokumente zu wecken. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die Weigerung, die Heiratsurkunde eines Unionsbürgers, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, zu ändern, damit seine Vornamen in dieser Urkunde mit diakritischen Zeichen so geschrieben werden, wie sie in den von seinem Herkunftsmitgliedstaat ausgestellten Personenstandsurkunden geschrieben sind und wie es den Schreibregeln der offiziellen Landessprache dieses Staates entspricht, keine Beschränkung der durch den Vertrag jedem Unionsbürger zuerkannten Freiheiten darstellt.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 12.05.2011
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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