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Der Europäische Gerichtshof erläutert die Voraussetzungen, unter denen die Immunität der Europaabgeordneten in Bezug auf in Ausübung ihres Amtes erfolgte Äußerungen oder Abstimmungen eingreift.
Art. 9 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften stellt den Grundsatz der Immunität der Europaabgeordneten in Bezug auf in Ausübung ihres Amtes erfolgte Äußerungen und Abstimmungen auf.
Herr Marra, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments (EP), wurde von Herrn De Gregorio und Herrn Clemente vor mehreren italienischen Gerichten auf Ersatz des Schadens verklagt, den er ihnen durch die Verteilung eines Flugblatts mit sie beleidigenden Äußerungen zugefügt habe. Die mit der Sache befassten Gerichte waren nicht der Ansicht, dass die Handlungen von Herrn Marra im Rahmen seines Amtes als Europaabgeordneter erfolgte Äußerungen darstellten, und verurteilten ihn; dieser machte daraufhin vor der Corte di cassazione geltend, dass gegen die Geschäftsordnung des EP verstoßen worden sei, da ohne vorheriges Einholen einer "Zustimmung" Klage gegen ihn erhoben worden sei.
Die Corte die cassazione möchte mit ihrem Ersuchen an den Gerichtshof erstens wissen, ob das nationale Gericht, das über eine gegen einen Europaabgeordneten wegen dessen Äußerungen erhobene Schadensersatzklage zu entscheiden hat, über das Bestehen von dessen Immunität entscheiden kann, wenn es keine Informationen über einen Antrag dieses Abgeordneten beim EP auf Schutz seiner Immunität erhalten hat, zweitens, ob das nationale Gericht, wenn es darüber unterrichtet wird, dass der Abgeordnete einen solchen Antrag beim EP gestellt hat, dessen Entscheidung abwarten muss, bevor es das Verfahren gegen diesen Abgeordneten fortsetzen kann, und drittens, ob das nationale Gericht, wenn es das Bestehen dieser Immunität feststellt, deren Aufhebung beantragen muss, um das Gerichtsverfahren fortsetzen zu können. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die in Art. 9 des Protokolls vorgesehene Immunität die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Europaabgeordneten schützen soll und als absolute Immunität anzusehen ist, die jedem Gerichtsverfahren entgegensteht.
Die Prüfung, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dass diese Immunität eingreift, unterliegt der ausschließlichen Zuständigkeit des nationalen Gerichts; dieses ist nicht verpflichtet, die Frage dem EP vorzulegen, das - seinerseits - nicht dafür zuständig ist, zu prüfen, ob die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Hat das EP jedoch auf den Antrag des betreffenden Abgeordneten hin eine Entscheidung über den Schutz der genannten Immunität erlassen, so stellt diese für die nationalen Gerichte eine Stellungnahme ohne Bindungswirkung dar.
Der Gerichtshof stellt im vorliegenden Fall klar, dass, selbst wenn das nationale Parlament nach dem nationalen Recht befugt ist, zum Schutz seiner Mitglieder einzugreifen, wenn ein nationales Gericht die Immunität nicht beachtet, dies nicht bedeutet, dass das EP in Bezug auf die Europaabgeordneten dieses Staates dieselben Befugnisse hat, da das Protokoll dies nicht ausdrücklich vorsieht und auch nicht auf die Vorschriften des nationalen Rechts verweist. Wenn der Abgeordnete vor dem EP ein Verfahren zum Schutz der Immunität eingeleitet hat und dies dem nationalen Gericht mitgeteilt wurde, muss dieses - im Interesse einer loyalen Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaftsorganen und den nationalen Behörden - das Gerichtsverfahren aussetzen und das EP ersuchen, so rasch wie möglich Stellung zu nehmen. Hat das nationale Gericht festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der absoluten Immunität nach Art. 9 des Protokolls vorliegen, ist die Immunität von diesem Gericht wie vom EP zu wahren. Sie kann daher nicht vom EP aufgehoben werden, und die Klage gegen den betreffenden Europaabgeordneten ist abzuweisen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 23.10.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 76/08 des EuGH vom 21.10.2008
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Dokument-Nr. 6869
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