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Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, der fachgerichtliche Verfahren zu Grunde lagen, in denen der damals fünfzehnjährige Beschwerdeführer erfolglos die Feststellung begehrte, seine Unterbringung in einer kinder- und jugend-psychiatrischen Einrichtung sei rechtswidrig gewesen. Der Beschwerdeführer hatte während seiner Unterbringung erklärt, dass er eine zu diesem Zeitpunkt verhandelte Beschwerde auf die Änderung des Klinikortes beschränken wollte. Mehrere Umstände, die darauf hindeuten, dass er damit nicht die Unterbringung insgesamt „akzeptieren“ wollte, ließ das Oberlandesgericht später unberücksichtigt. Mit dieser Würdigung verkürzte es das Recht auf effektiven Rechtsschutz.
Der zum Zeitpunkt des fachgerichtlichen Verfahrens 15 Jahre alte Beschwerdeführer zeigte seit Mitte des Jahres 2019 psychische Auffälligkeiten. Es kam zu gewaltsamen Konflikten mit seinen Eltern, die ihn mehrmals in einem Bezirkskrankenhaus unterbringen ließen. Im Mai 2020 wandte sich der Vater des Beschwerdeführers an die Polizei und gab an, der Beschwerdeführer verhalte sich aggressiv und habe gedroht, sich das Leben zu nehmen. Der Beschwerdeführer wurde zunächst unter Berufung auf das bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in einem Bezirkskrankenhaus untergebracht. Die Eltern beantragten in der Folge die Genehmigung der Unterbringung ihres Sohnes beim Amtsgericht (Familiengericht).
Mit Beschluss vom 13. Mai 2020 (erster Unterbringungsbeschluss) genehmigte das Familiengericht im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung des Beschwerdeführers bis längstens zum 23. Juni 2020. Einer hiergegen gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers half es nicht ab. Eine Entscheidung des zuständigen Oberlandesgerichts erging zunächst nicht. Mit Beschluss vom 22. Juni 2020 (zweiter Unterbringungsbeschluss) verlängerte das Familiengericht in einem gesonderten Verfahren die Unterbringungsgenehmigung bis längstens zum 4. August 2020. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde ebenfalls dem Oberlandesgericht vorgelegt.
Zwischenzeitlich äußerte der Beschwerdeführer gegenüber seinen behandelnden Ärzten mehrfach den Wunsch, sich in einer anderen Klinik behandeln zu lassen. Die behandelnde Ärztin übersandte dem Oberlandesgericht darauf ein Schreiben mit der Bitte, den Beschluss hinsichtlich des Klinikortes abzuändern. Nach Angaben des Beschwerdeführers hatten ihm die behandelnden Ärzte zu verstehen gegeben, sie würden eine Verlegung nur veranlassen, wenn er seine Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss zurücknehme beziehungsweise sie auf die Änderung des Klinikortes beschränke. Am 15. Juli 2020 schrieb der Beschwerdeführer unter (alleiniger) Nennung der Aktenzeichen der Verfahren betreffend den zweiten Unterbringungsbeschluss eine Erklärung an das Oberlandesgericht. Er führte aus, eine Verlegung sei nach Auskunft der behandelnden Ärzte nur nach Absprache zwischen den beteiligten Kliniken und nur am morgigen Tag möglich. Da er die Verlegung für äußerst wichtig halte, nehme er seine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts unter der „Kondition“ zurück, dass der Beschluss auf eine geschlossene jugendpsychiatrische Einrichtung geändert werde.
Das Oberlandesgericht änderte den zweiten Unterbringungsbeschluss anschließend dahingehend ab, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer geschlossenen Abteilung einer (nicht mehr näher spezifizierten) jugendpsychiatrischen Einrichtung zu erfolgen habe. In einem Beschluss betreffend die Beschwerde gegen den ersten Unterbringungsbeschluss traf es lediglich eine Kostenentscheidung und führte zur Begründung aus, das (erste) Unterbringungsverfahren habe sich durch Zeitablauf erledigt.
Im September 2020 beantragte der Beschwerdeführer schließlich erfolglos beim Oberlandesgericht die Feststellung, dass der erste Unterbringungsbeschluss ihn in seinen Rechten verletzt habe. Das Oberlandesgericht führte zur Begründung aus, der Beschwerdeführer habe im hiesigen Verfahren „vor der abschließenden Entscheidung des Senats“ keinen Feststellungsantrag gestellt. Sein Antrag sei nunmehr jedoch als Gegenvorstellung auszulegen. Diese sei allerdings mangels Feststellungsinteresse unbegründet. Indem der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen den (zweiten) Unterbringungsbeschluss zurückgenommen habe, habe er „letztendlich die Unterbringung akzeptiert“.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Rechte des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Es ist bereits fraglich, ob der Ansatz des Oberlandesgerichts, den Antrag des Beschwerdeführers als Gegenvorstellung zu deuten, dem Gebot effektiven Rechtsschutzes tatsächlich genügt. Denn es standen möglicherweise rechtsschutzintensivere Instrumente zur Verfügung, mit deren Anwendbarkeit sich das Oberlandesgericht nicht auseinandergesetzt hat. Angesichts der unterbliebenen Belehrung über die Möglichkeit der Antragsumstellung hätte beispielsweise erwogen werden können, den Antrag des Beschwerdeführers als isolierten Feststellungsantrag zuzulassen.
2. Jedenfalls verkürzt die Würdigung des Oberlandesgerichts den dem Beschwerdeführer zustehenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Das Oberlandesgericht hat festgestellt, dass die Gegenvorstellung wegen fehlenden Feststellungsinteresses „jedenfalls unbegründet“ sei. Indem der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss zurückgenommen habe, habe er „letztendlich die Unterbringung akzeptiert“, sodass nicht ersichtlich sei, inwieweit er nach Erledigung der ersten Unterbringung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit haben könne. Das Oberlandesgericht hat in diesem Zusammenhang jedoch nicht hinreichend ermittelt, welches konkrete Rechtsschutzziel der Beschwerdeführer im hier allein maßgeblichen Verfahren betreffend den ersten Unterbringungsbeschluss verfolgte. Es hat schlicht die in einem anderen Verfahren - betreffend den zweiten Unterbringungsbeschluss - abgegebene Beschwerderücknahmeerklärung herangezogen, sich jedoch weder mit deren Inhalt und Kontext auseinandergesetzt noch nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Erklärungsaussage nach dem Willen des Beschwerdeführers für beide Verfahren gelten sollte und das Rechtsschutzziel jeweils identisch war.
b) Es deuten mehrere Umstände darauf hin, dass der Beschwerdeführer gerade nicht gewillt war, mit seiner Erklärung vom 15. Juli 2020 auch zur ersten Unterbringung beziehungsweise zur Unterbringung insgesamt Stellung zu nehmen und deren „Akzeptanz“ zu erklären.
Schon ihrem Wortlaut nach bezog sich die Erklärung vom 15. Juli 2020 allein auf das (Beschwerde-)Verfahren betreffend den zweiten Unterbringungsbeschluss. Der Beschwerdeführer nennt in seiner Erklärung ausschließlich die Aktenzeichen des zweiten Unterbringungsbeschlusses, nicht jedoch die des ersten. Die Unterbringung erfolgte darüber hinaus aufgrund des ersten Unterbringungsbeschlusses in der Klinik, aus der der Beschwerdeführer letztlich verlegt zu werden begehrte. Es spricht daher vieles dafür, dass er mit der dortigen Behandlung (auch) während des ersten Unterbringungszeitraums gerade nicht einverstanden war. Angesichts dessen leuchtet nicht ein, warum der Beschwerdeführer diese Unterbringung letztlich doch hätte „akzeptieren“ wollen. Schließlich bestehen Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beschwerdeführer in einer Drucksituation wähnte, als er die Erklärung vom 15. Juli 2020 abgab. Offenbar hatte er den Gesprächen mit seinen behandelnden Ärzten entnommen, dass eine Verlegung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt und ausschließlich dann durchgeführt werden könne, wenn er sein Beschwerdeverfahren nicht fortführe. Es erscheint naheliegend, dass der Beschwerdeführer sich einem infolgedessen empfundenen Druck beugte und die Rücknahme der Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss allein mit dem Ziel erklärte, wenigstens seine Verlegung in eine andere Klinik zu erreichen. Dass der Beschwerdeführer unter diesen Umständen darüber hinaus auch die vorangegangene Unterbringung vor Augen hatte und eine Erklärung abgeben wollte, die der Sache nach einen Rechtsmittelverzicht auch für diese vorangegangene Unterbringung beinhaltete, liegt jedenfalls nicht auf der Hand.
c) Die genannten Umstände hat das Oberlandesgericht unberücksichtigt gelassen. Es hat dem Beschwerdeführer ohne nähere Begründung schlicht unterstellt, die (gesamte) Unterbringung durch die Beschwerderücknahme „letztendlich akzeptiert“ zu haben, was im Ergebnis einem Rechtsmittelverzicht gleichkommt. Die Würdigung des Oberlandesgerichts genügt angesichts dessen nicht den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 09.09.2021
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)
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