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Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei ihrer Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause unterrichtet. Das Landgericht sprach gegen die Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.
Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, sind nicht ohne weiteres jenen Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei Fehlen einer religiösen Motivation vorsieht. Die Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren, muss jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung als eine übermäßige, seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion darstellen würde. Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch nur als letzter Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt zwischen staatlichen und religiösen Verhaltensanforderungen hinzunehmen.
Die Festsetzung einer Sanktion gegen die Beschwerdeführer ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die allgemeine Schulpflicht dient dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen.
Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des Gebots staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht erkennen. Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im Rahmen des Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.
Die Beschwerdeführer können nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt die Verfassung ein solches Recht nicht. Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten ungenutzt gelassen, den von ihnen empfundenen Konflikt zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen. Sie haben es unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnis um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule vorzutragen. Hinzu kommt, dass das vollständige Fernhalten ihrer Töchter vom Schulunterricht unverhältnismäßig war. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, weshalb nicht ein Fernbleiben ihrer Kinder nur von bestimmten Unterrichtseinheiten als milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen abzumelden.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 28.06.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 53/06 des BVerfG vom 20.06.2006
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Dokument-Nr. 2566
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