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Die im Jahr 1997 an den Hochschulen Baden-Württembergs eingeführte Rückmeldegebühr ist verfassungswidrig. Die Bemessung dieser Gebühr in Höhe von 100 DM (= 51,13 €) überschreitet bei der gewählten Ausgestaltung des gesetzlichen Gebührentatbestands die Gesetzgebungskompetenz des Landes Baden-Württemberg. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen konkreter Normenkontrollverfahren und erklärte die Rechtsgrundlage im baden-württembergischen Universitätsgesetz insoweit rückwirkend vom Zeitpunkt des ersten In-Kraft-Tretens an für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig.
Die ebenfalls 1997 in Baden-Württemberg eingeführte Gebühr für die Immatrikulation in Höhe von DM 100 war nicht Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfarens; deren Rechtsgrundlage ist von der Nichtigerklärung ausgenommen. Die Einnahmen aus Immatrikulations-, Rückmelde- und Zulassungsgebühren betrugen im Haushaltsjahr 1997 insgesamt rund 39,2 Mio. DM, im Haushaltsjahr 1998 rund 27,9 Mio. DM. Der Einzug der Rückmeldegebühr war in Baden-Württemberg seit 29. Juli 1998 ausgesetzt.
In den Gründen der Entscheidung heißt es:
1. Das Land Baden-Württemberg hat dem Grunde nach die Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung einer Rückmeldegebühr der vorliegend bestimmten Art. Sie ist eine nichtsteuerliche Abgabe, für die sich die Gesetzgebungskompetenz aus den allgemeinen Regeln der Art. 70 ff. GG ergibt. Die Rückmeldegebühr ist dem Hochschulwesen und damit der "Kulturhoheit" zuzuordnen, die grundsätzlich in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt. Mit der Bemessung der Rückmeldegebühr in Höhe von 100 DM überschreitet der Landesgesetzgeber jedoch seine Gesetzgebungskompetenz. Die Höhe des Gebührensatzes widerspricht den Anforderungen, die bei der Erhebung und Bemessung aller nichtsteuerlichen Abgaben zu beachten sind. Sie ergeben sich aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der bundesstaatlichen Finanzverfassung.
Zu diesem Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung führt der Senat näher aus: Drei grundlegende Prinzipien der Finanzverfassung begrenzen die Zulässigkeit der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben: Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Sie müssen sich ihrer Art nach von der Steuer, die voraussetzungslos auferlegt und geschuldet wird, deutlich unterscheiden. Bei der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben muss weiter der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung getragen werden. Ferner ist der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans zu beachten.
Die zentrale Zulässigkeitsanforderung an nichtsteuerliche Abgaben, nämlich ihre besondere sachliche Rechtfertigung, wirkt in zweierlei Richtung. Die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben ist nicht nur dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach rechtfertigungsbedürftig. Die Bemessung der Gebühr ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn ihre Höhe durch zulässige Gebührenzwecke, die der Gesetzgeber bei der tatbestandlichen Ausgestaltung erkennbar verfolgt, legitimiert ist. Dabei kann es sich um die Zwecke der Kostendeckung, des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie um soziale Zwecke handeln.
Bei der Gebührenbemessung besitzt der Gesetzgeber einen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum. Zu dessen Wahrung ist die gerichtliche Kontrolldichte eingeschränkt. Eine Gebührenbemessung ist verfassungsrechtlich jedoch dann nicht sachlich gerechtfertigt, wenn sie in einem "groben Missverhältnis" zu den verfolgten legitimen Gebührenzwecken steht. In erster Linie hat der Gesetzgeber zu entscheiden, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er für eine individuell zurechenbare Leistung aufstellt und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke er mit einer Gebührenregelung anstrebt. Die verfassungsrechtliche Kontrolle der gesetzgeberischen Gebührenbemessung, die ihrerseits komplexe Kalkulationen, Bewertungen, Einschätzungen und Prognosen voraussetzt, darf daher nicht überspannt werden. Der Gesetzgeber darf in Massenverfahren wie regelmäßig bei der Gebührenerhebung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können.
Nicht jeder der genannten vier Zwecke kann beliebig zur sachlichen Rechtfertigung der konkreten Bemessung einer Gebühr herangezogen werden. Nur dann, wenn legitime Gebührenzwecke nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der konkreten Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden, sind sie auch geeignet, sachlich rechtfertigende Gründe für die Gebührenbemessung zu liefern. Dabei gilt der rechtsstaatliche Grundsatz der Normenklarheit. Der Gebührenpflichtige muss erkennen können, für welche öffentliche Leistung die Gebühr erhoben wird und welche Zwecke der Gesetzgeber mit der Gebührenbemessung verfolgt. Zur Normenklarheit gehört auch Normenwahrheit.
2. Diesen finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die im baden-württembergischen Universitätsgesetz geregelte Rückmeldegebühr nicht.
Die Bemessung dieser Gebühr steht in einem groben Mißverhältnis zu dem vom Gesetzgeber normierten Gebührenzweck der Kostendeckung. Auch die Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung oder soziale Zwecke können die Höhe des Gebührensatzes sachlich nicht rechtfertigen, da der Gebührentatbestand nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte eine gesetzgeberische Entscheidung insoweit nicht hinreichend klar erkennbar macht. Wesentliche Teile der Gebühr werden - funktional wie die Steuer - voraussetzungslos erhoben. Die für die Unterscheidung von der Steuer unerlässliche Abhängigkeit der Rückmeldegebühr von einer Gegenleistung geht infolge ihrer überhöhten Bemessung verloren. Die Rückmeldegebühr tritt insoweit als Mittel der staatlichen Einnahmenerzielung in Konkurrenz zur Steuer. Im Einzelnen führt der Senat hierzu aus:
Der Landesgesetzgeber verfolgte erkennbar den legitimen Gebührenzweck, Einnahmen zu erzielen, um die speziellen Kosten für die Bearbeitung jeder Rückmeldung zu decken. Diese betragen bei den Universitätsverwaltungen der Ausgangsverfahren durchschnittlich 8,33 DM. Damit kann der vom Gesetzgeber mit dem Gebührentatbestand geregelte Zweck der Kostendeckung die Gebührenhöhe von 100 DM nur zu einem geringen Teil sachlich rechtfertigen.
Die Rückmeldegebühr lässt sich auch nicht als eine allgemeine Verwaltungsgebühr zur Deckung aller Verwaltungskosten der Universitätsverwaltung sowie sonstiger Einrichtungen der Universität für studentenbezogene Leistungen rechtfertigen. Dagegen spricht bereits der Wortlaut der Regelung, wonach die Gebühr "für die Bearbeitung jeder Rückmeldung", nicht aber "bei" jeder Rückmeldung zu entrichten ist. Hätte der Gesetzgeber Kostendeckungszwecke verfolgen wollen, die über die speziellen Kosten für die Bearbeitung der Rückmeldung hinausgehen, hätte er dies nach dem Grundsatz der Normenklarheit im Gebührentatbestand mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen müssen. Weder eine systematische Auslegung noch die Gesetzesmaterialien ergeben Anhaltspunkte dafür, dass mit der Gebührenregelung über die Kosten der Bearbeitung der Rückmeldung hinausgehende Kosten für Verwaltungsleistungen der Universitätsverwaltung und ihre Einrichtungen gedeckt werden sollten.
Die Höhe der Rückmeldegebühr lässt sich auch nicht mit einem Ausgleich von Vorteilen rechtfertigen, die infolge der Bearbeitung der Rückmeldung mit der Aufrechterhaltung der Rechtsstellung "als Studierender" verbunden sind und die sich durch die mitgliedschaftlichen Rechte zum Besuch von Lehrveranstaltungen und zur Nutzung der Universitätseinrichtungen zum Zwecke des Studiums ergeben. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und systematische Auslegung der Rückmeldegebührenregelung sprechen gegen die Auslegung im Sinne einer "versteckten Studiengebühr".
Soweit die Abschöpfung von "monetären Vergünstigungen" auf Grund von Leistungen anderer öffentlicher Träger oder privater Dritter im Gesetzgebungsverfahren eine Rolle gespielt haben sollte, sind darauf ausgerichtete Zwecke jedenfalls nicht Gesetz geworden.
Zwecke der Verhaltenslenkung oder die Verfolgung sozialer Zwecke scheiden bei der Rückmeldegebühr zur sachlichen Rechtfertigung aus.
1. Die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung begründet verbindliche Vorgaben auch für die Gebühren als Erscheinungsform der nichtsteuerlichen Abgaben. Die grundgesetzliche Finanzverfassung verlöre ihren Sinn und ihre Funktion, wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenzen beliebig hohe Gebühren erhoben werden könnten; die Bemessung bedarf kompetenzrechtlich im Verhältnis zur Steuer einer besonderen, unterscheidungskräftigen Legitimation (Anschluss an BVerfGE 93, 319 ff.).
2. Nur dann, wenn legitime Gebührenzwecke nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden, sind sie auch geeignet, sachlich rechtfertigende Gründe für die Gebührenbemessung zu liefern. Wählt der Gesetzgeber einen im Wortlaut eng begrenzten Gebührentatbestand, kann nicht geltend gemacht werden, er habe auch noch weitere, ungenannte Gebührenzwecke verfolgt.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 20.01.2005
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 23/03 des BVerfG vom 19.03.2003
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Dokument-Nr. 4279
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