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Die Bundesregierung darf bestimmte Auskünfte, so genannte "Kleine Anfragen" nicht mit dem Hinweis auf eine angebliche Geheimhaltungspflicht verweigern. Die Begründung ist verfassungsrechtlich nicht tragfähig und verletzt die Rechte des Deutschen Bundestages. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 6. Juni 2006, die sich u.a. auch mit der Klage von Abgeordneten des schwedischen Parlaments, die durch den schwedischen Geheimdienst bespitzelt worden waren, beschäftigte, war konkreter Anlass für ein Auskunftsbegehren von vier Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Diese fünf Antragsteller richteten am 13. Juni 2006 und am 1. August 2006 sog. Kleine Anfragen an die Bundesregierung, um zu erfahren, ob und ggf. welche Informationen der
Im Organstreitverfahren beantragten die vier Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als Antragsteller die Feststellung, dass die Bundesregierung mit ihren Antworten auf diese "Kleinen Anfragen" ihre und die Rechte des Deutschen Bundestages verletzt habe. Ferner begehren sie die Verpflichtung der Bundesregierung zur Erteilung der erbetenen Auskünfte, hilfsweise, die Auskünfte so weit und in einer Form zu erteilen, die den objektiven Geheimhaltungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland Rechnung tragen.
Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Beschluss vom 1. Juli 2009 fest, dass die Bundesregierung den Antragstellern die in den "Kleinen Anfragen" vom 13. Juni 2006 und vom 1. August 2006 erbetenen Auskünfte mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Begründungen verweigert und dadurch die Rechte der Antragsteller aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sowie des Deutschen Bundestages aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt hat. Insbesondere der Verweis auf eine Berichterstattung gegenüber anderen parlamentarischen Kontrollgremien entbindet die Bundesregierung nicht von ihrer Berichtspflicht gegenüber dem
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt und zwischen den Beteiligten nicht strittig, dass aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung folgt. An diesem haben die einzelnen Abgeordneten und die Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten nach Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages teil und es besteht grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung. Ebenso steht außer Frage, dass die Antwortpflicht der Bundesregierung Grenzen unterliegt. Die nähere Grenzziehung bedarf allerdings der Würdigung im Einzelfall. Insbesondere soweit Anfragen Umstände betreffen, die aus Gründen des Wohls des Bundes oder eines Landes (Staatswohl) geheimhaltungsbedürftig sind, stellt sich die Frage, ob und auf welche Weise dieses Anliegen mit dem jeweiligen parlamentarischen Informationsanspruch in Einklang gebracht werden kann.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen das Informationsrecht des Deutschen Bundestages in der Weise regeln dürfte, dass die Bundesregierung Auskünfte über die nachrichtendienstliche Tätigkeit des Bundes, die sie für geheimhaltungsbedürftig hält, nur einem bestimmten Gremium des Deutschen Bundestages zu erteilen hätte. Denn eine derartige Regelung besteht nicht: Das Parlamentarische Kontrollgremium ist ein zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle der Regierung, das parlamentarische Informationsrechte nicht verdrängt (vgl. auch BTDrucks 8/1599, S. 6). Denn sonst hätte sich der Deutsche
Soweit sich die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin auf andere Gremien des Deutschen Bundestages beziehen soll, gilt nichts anderes. Insbesondere wird das parlamentarische Fragerecht nicht durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses oder die Befassung des Ältestenrates (§ 6 GO-BT) mit diesen Fragestellungen verdrängt.
Im Ergebnis liegt auch ein Verstoß darin, die Verweigerung von Auskünften nur mit Geheimhaltungsbedürftigkeit zu begründen. Die Bundesregierung muss – auch im Hinblick auf das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme im Verhältnis zwischen Verfassungsorganen – den
Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass die von den Antragstellern erbetenen Informationen geheimhaltungsbedürftig sind, soweit die genannten Fragen Auskünfte über die Sammlung, Speicherung und Weitergabe von Daten über Abgeordnete des Deutschen Bundestages durch die Nachrichtendienste des Bundes betreffen. Es drängt sich nicht auf, dass mit der Beantwortung dieser Fragen eine, wie die Antragsgegnerin ausgeführt hat, Offenlegung von Einzelheiten zu Arbeitsweisen, Strategien, Methoden und Erkenntnisstand der Nachrichtendienste einherginge, die deren Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung gefährdete (BTDrucks 16/2098 zu Frage 5).
Die pauschale Behauptung, durch die Beantwortung der Fragen würden Rückschlüsse auf die Tätigkeit der Nachrichtendienste ermöglicht, die deren Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung gefährdeten, enthält keinerlei konkrete Angaben, die die Auskunftsverweigerung nachvollziehbar machen könnte. Die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten birgt erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung (Art. 21 GG) und damit für den Prozess demokratischer Willensbildung insgesamt. Das diesbezügliche Informationsbedürfnis des Parlaments hat hohes Gewicht. Soll sich demgegenüber der Geheimnisschutz als gegenläufiger Belang durchsetzen, bedarf es einer besonderen Begründung.
Die Antragsgegnerin hat die Antragsteller in ihren verfassungsmäßigen Rechten weiter dadurch verletzt, dass sie die Frage, ob ihr Fälle der Sammlung, Speicherung oder Weitergabe von Informationen über Abgeordnete bekannt seien, die andere Dienste, insbesondere Dienste der Länder, getätigt haben, dahin beantwortet hat, dass sie sich nicht zu Angelegenheiten äußere, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. Die Bundesregierung war zu einer nicht lediglich pauschalen, sondern zu einer eingehenden Begründung aufgrund der Fragestellungen verpflichtet, weil diese erkennbar auch auf den Verantwortungsbereich der Bundesregierung bezogen waren. Gegenstand der Anfragen war zum einen die Tätigkeit der der Antragsgegnerin unmittelbar nachgeordneten Behörden und zum anderen der Kenntnisstand der Antragsgegnerin zu Aktivitäten anderer Geheimdienste.
Auch der Hinweis auf gesetzliche Löschungspflichten reicht als Begründung für die Verweigerung der
Auch der Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Antwort innerhalb der in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehenen Frist lässt außer Betracht, dass die in § 104 Abs. 2 Halbsatz 1 GO-BT enthaltene Frist von 14 Tagen im Benehmen mit den Fragestellern verlängert werden kann (§ 104 Abs. 2 Halbsatz 2 GO-BT).
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 30.07.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 87/09 des BVerfG vom 30.07.2009
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